Rohstoffhunger: Warum Bergbau in der Tiefsee für Kontroversen sorgt

Akkus, E-Autos, Photovoltaikanlagen – für all diese Dinge und für viele mehr braucht die Menschheit Rohstoffe. Und das in rauen Mengen, wollen wir raus aus Öl und Gas. Die Begehrlichkeiten steigen, der Blick richtet sich auf bisher ungenützte Vorkommen. Sie liegen auf dem Meeresgrund, in Tausenden Metern Tiefe, in bisher wenig erforschten Ökosystemen. Enthalten sind sie in sogenannten Manganknollen. Die kleinsten sind so groß wie Erdäpfel, die größten ungefähr in Karfiol-Dimensionen.

Manganknollen enthalten Kupfer,Kobalt, Nickel, Mangan und teilweise weitere Metalle. In Jahrmillionen lagerten sich Mineralien an einem Keim an. Die Clarion-Clipperton-Zone ist das weltweit größte Manganknollengebiet mit einer Fläche von rund 9 Millionen Quadratkilometern, was in etwa der Größe Europas entspricht.
Die Frage, die sich stellt, ist simpel: Sollen sie die Menschen abbauen, um den Klimawandel einzubremsen – auch wenn die Folgen für die Umwelt nicht absehbar sind? Die Antworten darauf sind nicht einfach. Das zeigt schon eine Tatsache: Die Welt hatte zwei Jahre Zeit, den Tiefseebergbau zu regulieren. Diese Frist verstreicht heute, Sonntag. Ungenützt. Regelwerk gibt es keines.
Und jetzt? Jetzt können bei der Internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) erstmals Anträge gestellt werden – für kommerziellen Abbau von Rohstoffen am Boden internationaler Gewässer. Ob sie genehmigt werden oder nicht, wird ab Montag im auf Jamaika tagenden ISA-Rat verhandelt.
Manche Mitgliedstaaten wollen den Bergbau vorantreiben, andere fordern ein Moratorium, eine vorsorgliche Pause. Die Interessen sind vielseitig und die Meeresbodenbehörde – sie hat ein Gebiet zu managen, das keinen Hoheitsrechten unterliegt – ist Kritik ausgesetzt.
Nauru, ein Inselstaat im Pazifik, hat jedenfalls die Dynamik ausgelöst. Die kleinste Republik der Erde wollte mit ihrem Antrag 2021 gemeinsam mit dem kanadischen Unternehmen The Metals Company, die weltweit erste Abbau-Lizenz erwirken. Für Naurus Wirtschaft könnte einerseits der Erlös aus der Gewinnung der Rohstoffe bedeutend sein. Als Staat, der durch den steigenden Meeresspiegel betroffen ist, will man andererseits auf klimaneutrales Wirtschaften setzen.
Langsame Welt
Die Bedenken wiegen allerdings schwer. Denn entscheidend sind Auswirkungen auf die Umwelt: Der Abbau kann zum Problem für die Tiefseeorganismen werden. Die Lebewesen seien an konstante Bedingungen angepasst – klares, kaltes Wasser, erklärte Meeresbiologe Gerhard J. Herndl von der Uni Wien in einem früheren Interview mit dem KURIER. Sie wachsen nicht schnell, weil wenig Nahrung in die Tiefe kommt. Sie werden groß, alt und pflanzen sich nur langsam fort.

Fische, Schlangensterne, Seegurken, Garnelen, Quallen oder Bakterien: Viele Tiere leben in 4.000 Metern Tiefe. Auf ihnen lastet ein Druck der 400 Mal so hoch ist, wie der Atmosphärendruck. Der Tiefsee-Anglerfisch (oben) lebt in 1.000 Metern Tiefe. Er muss den Druckunterschied von 100 Atmosphären tolerieren können. In der Tiefsee ist es stockdunkel und die Temperaturen liegen bei zwei bis drei Grad Celsius
Wer glaubt, es ist nicht viel los auf 4.000 bis 6.000 Metern in der Tiefe, irrt. Es gibt eine Fülle von Leben. Etwa 90 Prozent der Tiefsee sind Experten zufolge noch unerforscht. Man rotte unter Umständen Spezien aus, von denen man noch gar nicht wisse, dass es sie gibt, sagt Markus Trebuch von der Meeresschutzorganisation Sea Shepherd. NGOs wie Greenpeace und der WWF starteten Kampagnen gegen den Abbau in der Tiefe. Damit bekannt wird, was weit weg von besiedeltem Gebiet umgesetzt werden könnte.

Nicht nur die Biodiversität ist dabei ein Thema. Auch der Lärm könnte problematisch werden. Die Maschinen werden die Manganknollen aufsaugen – und damit auch Lebewesen. Sie werden den Meeresboden aufwirbeln, auf dem sich über viele Millionen Jahre Kleinstpartikel abgelagert haben. Folgen? Unklar.

Wissenschafter warnen zudem davor, dass im Boden gebundenes CO2 durch das Aufwühlen des Bodens in die Atmosphäre entweicht. Und dass die Renaturierung des Ozeangrundes schwieriger sei als am Land. Der Meeresboden könnte sich erst nach Millionen Jahren wieder stabilisieren, fürchtet Antje Boetius, Direktorin des Alfred‐Wegener-Instituts für Meeresforschung. Sie plädiert dafür, erst einmal Rohstoff-Ressourcen an Land zu nutzen.
Besser im Meer als an Land?
Es werden allerdings auch andere Einschätzungen getroffen: „Die gesamten Klimaauswirkungen der Produktion dieser Metalle aus Manganknollen ist im Vergleich zu den derzeitigen Projekten an Land um 27 Prozent geringer“, heißt es in einer Studie der Uni Pforzheim.
Nicht nur die Umwelt spielt eine Rolle. Indigene Aktivisten aus verschiedenen Ländern reichten im März bei der ISA eine Petition ein, den Tiefseebergbau zu verbieten. „Die Tiefsee ist unser heiliger Ort der Schöpfung“, sagte Solomon Pili Kaho’ohalahala über die Mythologie der Ureinwohner seiner Heimat Hawaii. „Wenn Bergbauunternehmen beginnen, den Meeresboden aus Profitgründen zu nutzen, dann tun sie dies in dem Wissen, dass sie damit heilige und kulturelle Verbindungen dezimieren.“
Die Positionen sind also bezogen. Doch wie der Wirtschaftskrimi um die Milliardenschätze in der Tiefsee enden wird, weiß noch niemand.
Das Meer ist in unterschiedliche Zonen eingeteilt. „The Area“ – der Seeboden in internationalen Gewässern – ist eine von ihnen. Sie bedeckt mehr als 40 Prozent der Erdoberfläche. Genau hier finden sich auch die Manganknollen. Das Gebiet liegt außerhalb der nationalen Hoheitsgebiete. „The Area gehört der internationalen Gemeinschaft“, erklärt die Politikwissenschafterin Alice Vadrot. Die Forscherin beschäftigt sich an der Universität Wien mit internationalen Beziehungen im Bereich der Umweltpolitik.
Doch wie schaut es mit den Rohstoffen am Grund des Ozeans aus? Im Jahr 1994 wurde die ISA, die Internationale Meeresbodenbehörde, gegründet. „Sie hat die Aufgabe, die mineralischen Ressourcen für die Internationale Gemeinschaft am Meeresboden zu verwalten.“
Ihr kommt damit die besondere Rolle in der Entscheidung über den Tiefseebergbau zu. Sie müsse, so Vadrot, die Ressourcen für die Gemeinschaft erhalten. Der Abbau habe ökologisch nachhaltig zu erfolgen und die Gewinne müssten gerecht verteilt werden, sodass alle davon profitieren – jetzige und künftige Generationen. Gemäß dem Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) sind das Gebiet und seine Bodenschätze das gemeinsame Erbe der Menschheit. Einige Staaten drängen auf den Start des Tiefseebergbaus, denn ein Teil der Einnahmen muss in einen internationalen Fonds gehen. Die Behörde ist dafür verantwortlich, den Interessensausgleich zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern sicherzustellen.
167 Staaten und die Europäische Union sind Mitglied bei der ISA. Bisher gibt es zwar noch keine Abbaugenehmigungen, aber die Behörde hat Lizenzen erteilt, Gebiete zu erforschen. China, Indien und viele andere Staaten sind bereits in den Gebieten aktiv. Seit dem Jahr 2006 verfügt auch Deutschland über ein 75.000 Quadratkilometer großes Lizenzgebiet im Pazifik, in dem sich der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) zufolge in mehreren Tausend Metern Tiefe große Mengen Manganknollen befinden.
Die Meeresbodenbehörde ist umstritten: Die Deep Sea Conservation Coalition – eine Koalition von mehr als 100 Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – wirft ihr mangelnde Transparenz vor. Es gibt noch mehr Vorwürfe wie etwa die Beeinflussung von Delegierten oder Verflechtung mit interessierten Firmen.
Kommentare