"Twittersturm": Wie Rechte einem islamistischen Flashmob halfen
Am Sonntag um 18 Uhr kam es in Deutschland zu einer Explosion. Es war kein Anschlag, niemand wurde verletzt, nichts zerstört. Sie fand auf Twitter statt. Fast auf einen Schlag wurden zu dieser Zeit über 17.000 Tweets zu einem davor unwesentlichen Hashtag abgesetzt: #NichtOhneMeinKopftuch. Als am nächsten Morgen die Arbeitswoche begann, waren mindestens 77.000 Tweets zu dem Thema gepostet worden.
In der Debatte versammelten sich die üblichen Argumente, Provokationen und Beleidigungen der Kopftuch-Debatte im Internet. Die Befürworter sahen sich als Opfer einer politischen Kampagne gegen ihre Religion, die Gegner als Gelegenheits-Freiheitskämpfer abwechselnd der freien Welt, der kindlichen Unschuld oder der weiblichen Sexualität. Andere ließen auch schlicht ihrer Abneigung gegen Muslime freien Lauf. Der Anlass für all das: Wie zuvor in Österreich wurde kürzlich auch in Nordrhein-Westfalen über ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren gesprochen.
Ursprünglich war #NichtOhneMeinKopftuch als eine Art virtueller Polit-Flashmob dagegen angelegt. Er hatte das Ziel, in die "Twitter Trends" zu gelangen. Aktivisten versuchen so immer wieder im virtuellen Raum auf ein Thema hinzuweisen. Diesmal ging der Aufruf von einer Online-Plattform namens "Generation Islam" aus. Ihr Follower sollten sich "zu einem Wochenende der Empörung" per "Twitterstorm" versammeln. Für sie war die Debatte über ein Kopftuchverbot für Kinder bereits ein Angriff auf alle Muslime und "die freie Ausübung ihrer Religion".
Seite bastelt an Opfer-Geschichte für Muslime
Die Auslegung deutet schon an, dass die Initiatoren einer besonders konservativen Form des Islams folgen. Für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) ist das Kopftuch für Mädchen aus religiösen Regeln überhaupt nicht ableitbar und auch Erwachsene sollten es nur freiwillig tragen.
"Generation Islam" operiert nach Eigenangaben aus Hamburg mit einem Team, "das für das unveräußerliche Glaubensfundament und die Werte des Islam einsteht". Sie veröffentlichen Texte und Videos mit Titeln wie "Der neue Jude: der ewige Muslim", "Hassen Muslime Juden?", "Islamic Dating" und "Wie man Pornosucht überwindet". Oft werden von der Plattform die Benachteiligungen von Muslimen in westlichen Gesellschaften beklagt. Auch internationale Konflikte wie in Syrien oder um die bangladeschischen Rohingya, in denen Muslime Opfer sind, werden besprochen. Und immer wieder werden auch westliche Geopolitik und gesellschaftliche Dekadenz angeprangert.
Eine Einteilung des Islams in unterschiedliche Gruppen mit Wörtern wie "radikal", "islamistisch" oder "moderat" und "zeitgemäß" lehnt man bei "Generation Islam" als Spaltungsversuche ab. Muslime werden stets als homogene Gruppe dargestellt, die von der Mehrheitsgesellschaft nicht erwünscht und zunehmend unterdrückt werde. Daraus leiten die Betreiber wie viele ähnliche Seiten auch den Versuch ab, mit ihrer Auslegung für alle Muslime zu sprechen.
Leute, die derartige Differenzierungen nicht ablehnen, beschreiben "Generation Islam" als islamistisch. "In islamischen Kreisen gilt dieses Projekt als Propagandaprojekt der Hizb ut-Tahrir", sagt der Politologe Thomas Schmidinger. Die Zugehörigkeit, über die auch auf Twitter seit Sonntag immer wieder gemunkelt wurde, sei zwar nicht offensichtlich und ist nicht beweisbar, die Inhalte "entsprechen allerdings genau" der in Deutschland verbotenen Organisation. "Das Bekenntnis zu einem islamischen Staat, wie er den Vorstellungen der HuT entspricht dringt ebenso immer wieder durch, wie die Ablehnung des individuellen Terrors. Insofern ist die Zuordnung zum Umfeld der HuT und deren Ideologie sehr glaubhaft."
Dass "Generation Islam" tatsächlich für eine ganze Generation von Muslimen spricht, lässt sich zahlenmäßig nicht behaupten. Auf Facebook folgen der Seite permanent 62.000 Accounts, auf Youtube 21.000 und auf Twitter - wo der "Twitterstorm" abgehalten wurde - auch heute nur knapp 1800 Accounts. Das ist beachtlich, aber nicht herausragend viel. Die Splittergruppe der rechtextremen Identitären hat in Deutschland ähnliche Reichweiten. Beide erreichen mit einzelnen Videos aber deutlich mehr Menschen.
Wie viele echte Menschen hinter diesen Follower-Accounts stecken, ist schwer zu sagen. Ein ziemlich großer Teil jener Twitteraccounts, die an #NichtOhneMeinKopftuch teilnahmen, wurde jedenfalls erst kurz vor dem Protest angelegt. "Das beweist nicht, dass sie falsch sind", erklärt Datenanalyst Luca Hammer, der Posts zwischen Sonntag und Montagmorgen aus der Twitter-Datenbank zu diesem Phänomen ausgewertet hat. Es könne auch zeigen, wie organisiert dieser Protest sei.
Tatsächlich hatte "Generation Islam" im vor allem über Facebook verbreiteten Protestaufruf angeregt, sich einen Account anzulegen. Hammer geht deshalb davon aus, dass tatsächlich viele einzelne Personen hinter den einzelnen Accounts stecken, dass diese aber vermutlich nach dieser Aktion wieder ungenutzt brachliegen werden. Manche der Accounts waren jedenfalls besonders aktiv. So haben sieben Accounts jeweils mehr als 300 Tweets zu dem Thema abgesetzt. Zumindest die Hälfte der untersuchten Tweets stammt von nur etwa 500 Accounts.
30 Prozent der Accounts stammen von Rechten
Der Datenanalyst hat die Beziehungen der teilnehmenden Accounts zueinander untersucht und sie in fünf grobe Gruppen eingeteilt. Die größte Gruppe, die er dabei ausmachen konnte, waren aber nicht Islamisten oder sympathisierende Muslime, sondern deutsche Rechte. 30 Prozent der Accounts, die über #NichtOhneMeinKopftuch twitterten, fallen in diese Kategorie. Dass wegen der vielen Rechten, die sich beteiligten, die Aktion von manchen für eine "False Flag Operation" von Rechtsradikalen gehalten wurde, führte bei den Initiatoren zu spöttischen Bemerkungen.
Was auch stimmt: Zwar waren nur 21 Prozent der Teilnehmer über "Generation Islam" und ähnliche Plattformen vernetzt. Diese posteten allerdings besonders oft. Beinahe vier von fünf aller Tweets stammen aus dieser Gruppe. "Es war eine gezielte Aktion einer kleinen Gruppe, die sehr laut war. Ähnlich wie man es bisher bei den Rechten auf Twitter beobachten konnte", sagt Hammer.
Andere Teilnahmen kamen von türkischsprachigen Accounts (14 Prozent) und stark mit türkischen Account vernetzten Deutschen (5 Prozent). Noch einmal 15 Prozent kamen von einer sehr vielfältigen Gruppe, für die laut Hammer "deutschsprachiger Rest" nachträglich die passendere Bezeichnung wäre, als das in seiner Grafik gewählte Label "Liberale und Trolle".
"Extreme ernähren sich voneinander"
Nachdem in Österreich FPÖ und ÖVP ein vergleichsweise unwichtiges Thema auf die Agenda gesetzt und deutsche Politiker es aufgegriffen haben, haben deutsche Rechtsradikale also dazu beigetragen, dass eine Gruppe von islamistischen Islamisten eine rein zahlenmäßig erfolgreiche Gegen-Kampagne stricken konnten. Sie feiern einen "vollen Erfolg", das Ziel ihres digitalen Flashmobs wurde erreicht: Nämlich mit ihrem Hashtag in die Twittercharts und zu Aufmerksamkeit zu kommen. "So lasst uns gemeinsam den Sturm, den wir entfacht haben zu einem Orkan werden lassen, der die Einheit in die Köpfe und Herzen der Muslime weht und sie mit Mut und Selbstvertrauen ausstattet", heißt es in einem Statement von "Generation Islam".
Der Wiener Soziologe Kenan Güngör hat zwar den konkreten Anlass nicht verfolgt, für ihn ist diese hilfreiche Dynamik zwischen Islamisten und der radikalen Rechten aber keine große Überraschung. "Die Extreme ernähren sich voneinander", sagt er. "Sie bestätigen einander".
Gewisse radikale Teile der muslimischen Bevölkerung böten tatsächlich die "ideale Projektionsfläche" für die Rechtsradikalen. Im Prinzip beschweren sich die Rechtsextremen der einen Gruppe über die Rechtsextremen der anderen. Dazwischen gefangen sei die große Mehrheit der offenen Gesellschaft, die durch diese Konflikte nach und nach destabilisiert würde. Oder die zumindest für kurze Zeit in den Twitter-Trends unter dem #Tatort und #AnneWill damit konfrontiert wird.
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