Sie gab sich als deutsche Erbin aus, als Millionärin – und ließ sich doch alles bezahlen. Lügen, Fälschungen und Frechheit siegten. Zumindest eine Zeit lang bewegte sich Anna Sorokin – die sich Anna Delvey nannte – unter den Schönen und Reichen New Yorks und lebte auf deren Kosten. Ihre wahren Wurzeln sind wenig glamourös: Als sie 16 Jahre alt war, zog ihre Familie von Russland nach Deutschland. Ihr Vater arbeitet als Lkw-Fahrer.
Doch die Schickeria wollte der Hochstaplerin glauben, bis es auch den echten Millionären zu viel wurde. Einmal zu oft hat ihre Kreditkarte – ups – nicht funktioniert. 2017 wurde Anna Sorokin verhaftet und 2019 wegen Betrugs zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Jetzt ist sie schon wieder frei. Und wird noch berühmter. Netflix sicherte sich die Rechte an ihrer Geschichte. Am 11. Februar startete die Miniserie „Inventing Anna“. Für 275.000 Dollar Schaden verurteilte sie der Richter – der ergaunerte Betrag soll um ein Vielfaches höher gewesen sein –, 300.000 Dollar soll sie vom Streamingdienst bekommen haben. Lügen lohnt sich.
Auf Instagram wurde die heute 31-Jährige gleich nach ihrer Haft wieder aktiv. In Interviews zeigte sie wenig Reue. Auf die Frage der New York Times, ob sie es wieder machen würde, antwortete sie: „Vermutlich schon!“
Die Maschen der berühmten Hochstapler
Warum glauben Menschen Betrügern und Betrügerinnen so lange, warum sind wir nicht davor gefeit hereinzufallen?
„Der wahre Hochstapler zwingt uns nicht, irgendetwas zu tun, er macht uns zum Komplizen. Er stiehlt nicht, wir geben“, analysierte die Psychologin Maria Konnikova im KURIER. Sie schrieb das Buch „Täuschend echt und glatt gelogen“. „Wir glauben ihm, weil wir ihm glauben wollen.“
Das passt wohl auch für Elizabeth Holmes, die vorgab, ein Gerät erfunden zu haben: Mit nur wenigen Tropfen Blut könne es viele Krankheiten erkennen. Investoren pulverten Millionen in das Unternehmen. Das Ding funktionierte nie und Holmes wurde heuer verurteilt. Eines müssen Hochstapler als Voraussetzung jedenfalls mitbringen: Sie erkennen die Schwachstellen ihrer Opfer. In Holmes’ Fall Geldgier.
Ihre Geschichte würde sich auch für eine Verfilmung eignen. Jene von Frank Abagnale ging um die Welt – er wurde vor allem in der Gestalt Leonardo DiCaprios berühmt. Der Hollywoodstar verkörperte den Hochstapler und Trickbetrüger in „Catch Me if You Can“ unter der Regie Steven Spielbergs. Der Film erzählt die wahre Geschichte eines jungen Mannes, der sich perfekt in gesellschaftliche Rollen einfühlen kann. „Hochstapler müssen Bedürfnisse ablesen können, sie müssen sie spüren“, erklärt die Medizinerin, Therapeutin und Trainerin Michaela Muthig. Sie seien, wie Konnikova sagt, charismatische Persönlichkeiten, mit denen man unbedingt befreundet sein will. Wie von DiCaprio gespielt, flog der als interessant geltende Abagnale als Pilot Flugzeuge, praktizierte als Arzt oder Rechtsanwalt. Und das, ohne jemals einen dieser Berufe erlernt zu haben.
Leonardo DiCaprio als Gauner
Schon vor seinem 21. Lebensjahr hatte er als Hochstapler Ende der 60er in allen 50 Bundesstaaten der USA sowie in 26 weiteren Ländern Millionenschaden angerichtet. „Ich habe nie getrunken, keine Drogen genommen“, sagte Abagnale einmal, „aber ich liebe Frauen“. Und die seien nun mal teuer. Nach der Hochstapler-Karriere machte er sich selbstständig. Als Inhaber eines Büros, das Dokumenten- und Urkundenbegutachtung sowie Risiko-Management durchführt.
Und noch ein bekannter Fall: Der grenzgeniale Regisseur Helmut Dietl hat Anfang der 90er in „Schtonk!“ die Veröffentlichung der gefälschten Hitler-Tagebücher verfilmt. Wirklich kreativ musste er nicht sein. Die Wahrheit war schräg genug. Der Künstler Konrad Paul Kujau war über Altnazis mit dem dubiosen Hamburger Reporter Gerd Heidemann in Kontakt. Über diesen verkaufte Kujau dem Nachrichtenmagazin Stern insgesamt 62 Bände sogenannter Hitler-Tagebücher für 9,3 Millionen Deutsche Mark. RTL+ hat den Fall im Vorjahr mit der Miniserie „Faking Hitler“ mit Lars Eidinger und Moritz Bleibtreu noch einmal aufgegriffen.
Wer nach Hochstaplern sucht, wird in allen Epochen fündig. Fruchtbarstes Land, eingebettet zwischen Palmen, Flüssen, mächtigen Bergen und malerischen Stränden. Kurzum: ein wahres Tropenparadies war das Land Poyais laut Gregor MacGregors Schilderungen. Mit einem 300-seitigen Buch warb der charismatische „Fürst von Poyais“ um 1820 in London um neue Untertanen. Viele Menschen waren begeistert von dieser Mischung aus El-Dorado und Schlaraffenland. Allein, den Staat gab es nicht. Viele verloren Geld mit angeblichen Staatsanleihen.
Andere machten sich tatsächlich auf ins gelobte Land – ein Fleckchen Land in Honduras und Nicaragua. Statt fruchtbarer Böden gab es Schlamm, Dschungel und Insekten – viele starben. Als der Betrug aufflog, setzte sich MacGregor nach Paris ab – und machte dort weiter. Bis er angeklagt wurde. Nach kurzer U-Haft kam er aber wieder frei und zog nach Venezuela, wo er ein paradiesisches Leben führen konnte.
Hochstapler müssen nicht nur Schaden anrichten, sondern können auch produktiv sein – wie Johann Friedrich Böttger. Der Apotheker und Alchemist konnte Gold herstellen – behauptete er jedenfalls. Dabei war er so glaubwürdig, dass der preußische König Friedrich I. hinter ihm her war. Da der Erfolg nicht so groß war wie behauptet, suchte Böttger Unterschlupf bei August dem Starken in Sachsen. Der sperrte ihn in ein Verlies, später in ein schönes Haus. Dort ließ es sich der charismatische Erfinder gut gehen, aß toll oder amüsierte sich mit Hofdamen. Nur Gold konnte er nicht machen. Allerdings erkannte er mit anderen Forschern, wie man weißes Porzellan herstellen konnte. Es war wertvoll wie Gold. Lange konnte Böttger den Ruhm nicht genießen. Er starb 1719 mit 37 Jahren – wohl an den giftigen Dämpfen, die er zeit seines Lebens eingeatmet hatte.
Das Thema Gold zieht. Auch der Oberösterreicher Karl Schappeller behauptete, aus Blei Gold herstellen zu können – unter anderem. Das wollten die Menschen auch noch in den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts glauben, darunter Vertreter der Kirche und der Politik. Heute ist er kaum noch bekannt, aber vor mehr als 100 Jahren sorgte der Postbote aus einer armen Familie für Schlagzeilen. Er wollte die „Raumkraft“ entdeckt haben und versprach dem ehemaligen deutschen Kaiser Wilhelm II., mit der Raumkraft-Technik der Monarchie wieder Macht zu verschaffen. Das funktionierte bekanntlich nie – und trotzdem geisterte die Idee noch Jahre herum.
Schappeller konnte Geld für seine Projekte lukrieren und sich ein komfortables Leben samt Entourage im Schloss Aurolzmünster leisten. Ach ja: Er will auch den Hunnenschatz im Innviertel gefunden haben. Das nutzte nichts: Er starb verarmt.
Die falsche Zarentochter
In manchen Fällen wird man nie wissen, ob sie Hochstapler waren oder wirklich daran glaubten, eine andere Person zu sein. Anna Anderson war so ein Fall. Sie behauptete, Anastasia, das vierte Kind von Zar Nikolaus zu sein. Eigentlich hieß sie Franziska Schanzkowsky. Sie gab sich das Pseudonym Anna Anderson. Die Frau spielte die Rolle für viele überzeugend, sie beschäftigte Anwälte, führte Prozesse zur Anerkennung ihres Titels. Erst zehn Jahre nach ihrem Tod 1984 stand eindeutig fest, dass sie nicht mit dem Zarengeschlecht der Romanows verwandt war.
Viele Hochstapler glauben jedenfalls, dass sie einfach alles verdienen. Mehr als jeder andere. Sie denken, sie seien besser als die Menschen mit Doktortitel, um ein Beispiel zu nennen – und fälschen ihn daher, erklärt Muthig. Eines ist klar, sie leiden nicht unter dem Hochstapler-Syndrom. Denn das bezeichnet das Gegenteil. Menschen glauben nur, etwas vorzugeben, was sie nicht sind. Der Grund ist mangelnder Selbstwert. Das kommt oft vor. Selbst bei Promis. „Als Jodie Foster ihren Oscar gewonnen hat, dachte sie, dass es sich um einen Irrtum handelt und schon bald jemand an ihrer Tür klopft und ihn ihr wegnimmt“, so Muthig. Sie hat ihn noch, sogar in doppelter Ausführung.
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