Vater des "Gottesteilchens": Nobelpreisträger Peter Higgs gestorben

Vater des "Gottesteilchens": Nobelpreisträger Peter Higgs gestorben
Das nach ihm benannte Higgs-Boson galt als "Entdeckung des Jahrhunderts".

Peter Higgs war die Zuerkennung des Physik-Nobelpreises etwas peinlich: Sein Name sei eher zufällig mit dem Higgs-Teilchen verbunden worden - es sei doch eine Gruppenleistung gewesen, sagte der bescheidene Brite damals im Nobelpreis-Rummel. Damals, ein halbes Jahrhundert nach seiner Theorie zum „Gottesteilchen“, bekamen er und Francois Englert die höchste Ehrung in der Physik.  „Ich bekomme den Preis für etwas, für das ich 1964 zwei oder drei Wochen gebraucht habe. Das war nur ein sehr kleiner Teil meines Lebens“, meinte Higgs. Nun ist Higgs 94-jährig gestorben.

Seine Idee damals: So wie Gravitation Dingen ihr Gewicht verleiht, geben Urteilchen ihnen ihre Masse. Die Idee kam ihm beim Wandern in Schottland. Nicht sofort wurde er ernst genommen. Sein erster Aufsatz darüber wurde in den „Physics Letters“ noch nicht einmal abgedruckt. Der Durchbruch gelang erst Jahrzehnte später, 2012, am Europäischen Kernforschungszentrum (CERN) in der Schweiz. „Manchmal ist es nett, recht zu haben“, meinte Higgs trocken im Fachblatt „New Scientist“.

„Die Entdeckung des Jahrhunderts“ nannte der Freiburger CERN-Physiker Karl Jakobs den Nachweis des Higgs-Teilchens. „Die Frage, wie man Masse von Elementarteilchen erklärt, war Jahrzehnte das größte Problem der Physik“, sagte er. Higgs Theorie zu beweisen sei die Hauptmotivation für den Bau des CERN-Teilchenbeschleunigers gewesen. Als die Entdeckung des Higgs-Teilchens am 4. Juli 2012 am CERN in Genf verkündet wurde, war Higgs dabei. Eine Sternstunde der Physik.

Was macht den Beweis seines Teilchens so spektakulär? Die Theorie von Higgs und Englert beantwortet eine wichtige Frage über das Universum: Was verleiht allen existierenden Dingen ihre Form und Größe? Oder anders: Ohne Higgs-Teilchen gäbe es keine Masse im Universum.

Der Higgs-Mechanismus funktioniert wie eine Art Sirup, der an Elementarteilchen klebt, sie abbremst und ihnen so Masse verleiht. Das Higgs-Feld, der Sirup, zeigt sich über das Higgs-Teilchen.

 

„Ich glaube, wir haben es“, sagte der damalige CERN-Generaldirektor Rolf Heuer am 4. Juli 2012. Das neu beobachtete Teilchen war demnach konsistent mit dem Higgs-Boson.

Dieses Teilchen ist äußerst schwer zu fassen. Der Physiknobelpreisträger Leon Ledermann soll es einmal als „goddamn particle“ („gottverdammtes Teilchen“) bezeichnet haben. Denn das Higgs zerfällt so schnell, dass es jeglicher Detektion entgeht. Nachweisen lassen sich in den Überresten der hochenergetischen Teilchenkollisionen im Large Hadron Collider (LHC) nur seine Zerfallsprodukte.
Als „mögliches Portal zur neuen Physik“ bezeichnet Andreas Hoecker das Higgs-Teilchen gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auch. Er ist Sprecher der Forschungskollaboration ATLAS, einem der vier großen Teilchendetektoren am LHC.

Nur ein Sekundenbruchteil nach dem Urknall kondensierte das Higgs-Feld im sich abkühlenden Universum - und seither verleiht es allen Elementarteilchen, die direkt mit ihm wechselwirken, eine Masse. „Ohne das Higgs-Feld wäre unser Universum ein komplett anderer Ort“, sagt Hoecker.

Der entsprechende Higgs-Mechanismus wurde bereits Jahrzehnte vor dem experimentellen Nachweis des Teilchens theoretisch vorhergesagt - unabhängig voneinander von Peter Higgs, François Englert und dessen inzwischen verstorbenem Kollegen Robert Brout. Der Mechanismus besagt: Je stärker ein Teilchen mit dem Higgs-Feld wechselwirkt, desto größer ist seine Masse. Das ist eine der wichtigsten Vorhersagen des Standardmodells.

Der „heilige Gral“ der Higgs-Forschung liegt laut dem Physiker Hoecker allerdings darin, die Form des sogenannten Higgs-Potentials zu ergründen. Dies ist zentral, um den Ursprung des Higgs-Mechanismus zu verstehen, dem eine fundamentale Rolle in der Geschichte des Universums zukommt.

Ungeliebter Name

Ein Verleger bezeichnete das Higgs-Boson reißerisch als „Gottesteilchen“. Das gefiel weder dem Namensgeber noch anderen Teilchenforschern. „Erstens bin ich Atheist“, begründete Higgs in einem BBC-Interview seine Ablehnung. „Zweitens ist mir bewusst, dass der Name als Witz gemeint war - und zwar kein besonders guter.“

Trotzdem: Das „Gottesteilchen“ ist vielen Menschen ein Begriff. Es war einer der letzten unbekannten Bausteine im Standardmodell der Teilchenphysik. Es gebe weitere offene Fragen, sagte Jakobs. Etwa, was die Natur der dunklen Materie ist oder wie die Asymmetrie zu erklären ist, das Fehlen vom Gegenstück der Materie, von Antimaterie. „Die Lösungen könnten sich in der exakteren Messung von Higgs-Teilchen verbergen.“

Higgs hat viele Preise und Ehrentitel gewonnen, aber den Ritterschlag zum „Sir“ lehnte er 1999 ab. Es sei zu früh dafür gewesen, sagte er später, und sowieso wolle er einen solchen Titel nicht. Auch sonst ist Higgs immer ein kritischer Geist gewesen: Als er 2004 in Israel mit dem Wolf-Preis ausgezeichnet wurde, blieb er der Verleihung aus Protest gegen die Palästinenser-Politik Israels fern. Er war ein Anhänger der Anti-Atomwaffen-Bewegung - aber als diese sich auch gegen die zivile Nutzung der Atomkraft richtete, war Schluss damit. Greenpeace unterstützte er bis zu dem Zeitpunkt, als die Organisation sich gegen den Einsatz der Gentechnik positionierte.
 

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