Bei dem von Mion erwähnten Treffen 2010 waren auch Ex-Aspi-Vorstand Giovanni Castellucci und Gilberto Benetton anwesend. Es hieß damals, die Brücke weise einen Planungsfehler auf, der früher oder später zum Einsturz führen würde.
„Ich fragte ob es jemanden gäbe, der die Befahrbarkeit der Brücke bestätige, und Riccardo Mollo (damaliger Generaldirektor von Aspi) antwortete: ,Das zertifizieren wir selbst.‘ Ich sagte nichts. Und das bereitet mir bis heute großen Kummer.“
Man würde meinen, diese Nachricht habe in Italien für Entsetzen gesorgt. Dem ist aber nicht wirklich so: Freilich empörte man sich, und die Medien berichteten auf den Titelseiten darüber, es herrscht aber auch Resignation.
Mittlerweile steht eine neue Brücke, und was die Tragödie betrifft, geht die Mehrheit davon aus, dass die Mächtigen sowieso nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
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Das hört man auch aus der Stellungnahme von Egle Possetti heraus. Sie ist Vertreterin des Opferverbands Ponte Morandi und hat ihre Schwester Claudia, den 9-jährigen Neffen Emanuele und die 12-jährige Nichte Camilla verloren.
„Die Aussage kommt viel zu spät“, sagt sie. „Die wollten kein Geld verlieren, das ist die Wahrheit. An Mions Stelle hätte ich nicht geschwiegen.“
Mions Aussage ist nur der letzte Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Die Benettons sind nämlich äußerst glimpflich weggekommen. Vor Prozessbeginn im Juli 2022 hatte die Familie mit dem Gericht einen Vergleich erzielt: Aspi zahlte 30 Millionen Euro Buße und war aus dem Verfahren. Heute ist Aspi teilverstaatlicht, wofür die Benettons 8 Milliarden Euro erhielten.
Ob Mion nun vom Zeugen zum Angeklagten wird, muss das Gericht erst entscheiden. Die Italiener fragen sich: „Sieht so Gerechtigkeit aus?“ – und beschäftigen sich wieder mit ihren Alltagssorgen.
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