Deutscher Virologe: "Gehen sehr unvorbereitet" in den Herbst

Deutscher Virologe: "Gehen sehr unvorbereitet" in den Herbst
Virologe Hendrik Streeck sieht Deutschland nur unzureichend für die nächsten Pandemiemonate gewappnet.

Deutschland ist aus Sicht des Virologen Hendrik Streeck unzureichend für die nächsten Pandemiemonate gewappnet. "Wir gehen leider erneut sehr unvorbereitet in Herbst und Winter", sagte der Direktor des Virologie-Instituts der Universität Bonn der Deutschen Presse-Agentur.

"Entspannt sehe ich das nicht: Die Kapazitäten auf Intensivstationen sind reduziert, wir können gegebenenfalls auch wieder mit einer Grippewelle rechnen, wir haben keine gute Erfassung des Infektionsgeschehens, aber wieder eine höhere Mobilität." Mit dem breiten Angebot kostenloser Schnelltests habe es ein gutes Standbein zum Erkennen von Infektionen gegeben, betonte Streeck. Nun darauf zu verzichten, halte er für falsch.

"Den Rat zur Impfung kann man nicht oft genug geben", sagte Streeck. Auch die berichteten Ansteckungen bei Geimpften seien kein Argument dagegen. "Das Ziel bei der Impfstoffentwicklung war nicht in erster Linie, eine Immunantwort auszulösen, die vor jeglicher Infektion schützt. Es ging immer im Kern um den Schutz vor schweren Verläufen." Wegen sogenannter Durchbruchinfektionen könne man keinesfalls von einem Versagen der Impfstoffe sprechen.

Flächendeckende Drittimpfungen derzeit nicht nötig

Eine Ausweitung des Angebots von Drittimpfungen auf die breite Bevölkerung hält Streeck derzeit nicht für nötig. "Booster sind sinnvoll für die Gruppen, denen dies bereits empfohlen wird", also etwa Immungeschwächten und Menschen ab 70. "Alle anderen sind nach der Zweitimpfung in der Regel sehr gut vor einem schweren Verlauf geschützt. Wichtiger als Auffrischungen bei ihnen ist das Schließen der Impflücken bei den über 60-Jährigen." Auch würden die Impfdosen in anderen Ländern dringlicher benötigt.

Operationen gefährdet

Der Präsident der deutschen Intensivmediziner-Vereinigung, Gernot Marx, erwartet im Winter eine ähnlich starke Belastung der Intensivstationen wie im vergangenen Jahr. "Wir erwarten keinen Winter, der sich groß von den letzten zwei erlebten unterscheidet", sagte Marx dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Freitag). Er gehe jedoch davon aus, dass alle Patientinnen und Patienten in Deutschland vollumfänglich versorgt werden könnten.

"Aber es werden hierzu wieder Operationen abgesagt wie auch Pflegepersonal aus anderen Bereichen abgezogen werden müssen", bekräftigte er frühere Aussagen. Das Divi-Präsidiumsmitglied Uwe Janssens kritisierte das geplante Auslaufen des Rechtsstatus der epidemischen Notlage. Die Politik in Deutschland habe ein "unkluges Signal" gesetzt, sagte er dem Fernsehsender Phoenix. "Das hat das Gefühl erzeugt, es ist vorbei." Neben vielen erkrankten Ungeimpften erwartet er aber mehr Infektionen auch bei Geimpften, weil die Wirkung der Impfungen nachlasse. "Es sind so viele Punkte, die dagegen sprechen, dass wir in eine beruhigte Zone einbrechen."
 

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