"Covid-19 existiert nicht mehr": WHO kritisiert italienischen Arzt
"Noch vor einem Monat behaupteten Epidemiologen, Italien würde Anfang Juni eine neue Epidemiewelle drohen. Das ist lächerlich. Das Virus existiert vom klinischen Standpunkt betrachtet nicht mehr."
Diesen griffigen Sager über den Coronavirus lieferte Mediziner Alberto Zangrillo, Leiter der Abteilung für Intensivtherapien der San Raffaele-Klinik in Mailand, am Sonntag in einem Interview gegenüber RAI 3.
WHO rät zur Vorsicht
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wies diese Äußerung scharf zurück. "Wir müssen ganz besonders vorsichtig sein, nicht den Eindruck zu vermitteln, dass das Virus von sich aus plötzlich beschlossen hat, weniger krank zu machen", sagte der WHO-Experte Michael Ryan am Montag. "Das ist überhaupt nicht der Fall", so Ryan in einer virtuellen Pressekonferenz in Genf.
"Die in den vergangenen zehn Tagen entnommenen Abstriche haben gezeigt, das die Viruslast quantitativ im Vergleich zu der vor ein oder zwei Monaten absolut unendlich klein ist", sagte Zangrillo und fügte hinzu, es sei an der "Zeit, dieses Land nicht mehr zu terrorisieren". Zangrillo ist auch als Hausarzt des ehemaligen Premiers Silvio Berlusconi bekannt geworden.
"Oberflächlich und irreführend"
Mit seinen Äußerungen löste Zangrillo, der als Hausarzt von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi bekannt wurde, in Italien eine heftige Debatte aus. "Während wir auf wissenschaftliche Beweise warten, die die These vom Verschwinden des Virus stützen, fordere ich diejenigen, die von dieser These überzeugt sind, auf, keine Verwirrung unter den Italienern zu stiften", erklärte Gesundheitsstaatssekretärin Sandra Zampa.
Italiens Oberster Gesundheitsrat Agostino Miozzo kritisierte Zangrillo ebenfalls scharf. Dessen Aussagen seien "oberflächlich und irreführend", so Miozzo, der die italienische Regierung in CoV-Angelegenheiten berät.
"Kein Ende der Pandemie"
"Es gibt keine wissenschaftlichen Beweise für Zangrillos Aussagen. Am Sonntag wurden noch 80 Todesopfer und Hunderte neue Infektionsfälle in Italien gemeldet, 50 Prozent davon in der Lombardei, Zangrillos Region", kommentierte Miozzo, demnach sei die Pandemie in Italien noch nicht zu Ende.
CTS-Präsident Franco Locatelli bestritt, dass seine Behörde, Italien "terrorisiert" habe, wie Zangrillo behauptet. Italien habe die Zahl der Plätze auf den Intensivstationen aufgestockt. "Dies ist ein enormer Verdienst des italienischen Gesundheitssystems. Somit wurde eine angemessene Antwort auf die Anforderungen der Patienten geben. Die Plätze auf den Intensivstationen werden auch in Zukunft zur Verfügung stehen", so Locatelli.
"Niemand darf das Drama vergessen"
"Wir sollten darüber erfreut sein, dass die Lockdown-Maßnahmen die erhofften Resultate gebracht und die Verbreitung der Epidemie eingegrenzt haben. Damit konnten viele Menschenleben gerettet werden. Dies soll uns weiterhin zu verantwortungsbewusstem individuellen Verhalten bewegen", so Locatelli.
Er bezeichnete Zangrillos Aussagen als "gefährlich". "Niemand darf das Drama vergessen, das Italien erlebt hat", sagte der CTS-Präsident.
Locatelli, sagte, es reiche schon ein Blick auf die Zahl der täglichen Neuinfektionen "um festzustellen, dass das neuartige Coronavirus in Italien weiter umgeht". Zuletzt schwankte die Zahl der Neuinfektionen zwischen 300 und 500 pro Tag.
An dem neuartigen Coronavirus sind in Italien binnen drei Monaten fast 33.500 Menschen gestorben. Nachdem das Virus Ende 2019 zunächst in China aufgetaucht war, wurde Italien zeitweise zum Zentrum der Pandemie in Europa. Die meisten Fälle gab es im Norden des Landes und dort vor allem in der Lombardei, deren Hauptstadt Mailand ist.
Am Montag registrierte der italienische Zivilschutz eine Reihe von ermutigenden Zahlen: Es gab nur 178 Neuinfektionen binnen eines Tages, die Zahl der Corona-Todesfälle war mit 60 ebenfalls rückläufig. 424 Covid-19-Patienten lagen noch auf der Intensivstation. Auch diese Zahl ging somit weiter zurück.
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