Brexit-Drama geht am Mittwoch in den nächsten Akt: Ende ist offen
Über 483 Kilometer schlängelt sich die Grenze in vielen Bögen durch die sattgrüne Landschaft. Beim Fahren und beim Gehen überschreitet man sie ständig ohne es zu merken – diese weiche Grenze zwischen der Republik Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Nordirland. Genau hier wird ab 30. März kommenden Jahres, dem Tag eins des Brexits, die einzige Landgrenze zwischen einem EU-Staat und Großbritannien verlaufen.
Dass aus dieser unsichtbaren Grenze keine Grenze mit Balken, Kontrollen und Sperren wird, ist der bis heute größte Knackpunkt der Scheidungsverhandlungen zwischen der EU und London. Und auch morgen Abend, beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel, dürfte die endgültige Lösung nicht gefunden werden. Einmal mehr wird die britische Premierministerin Theresa May die anderen EU-Granden informieren, was aus Sicht Londons dagegen spricht: Nordirland darf keinen Sonderstatus erhalten, der die Region weiter an die Regeln der EU binden und somit von Großbritannien entfremden würde.
Widerstand in London
Nur vorübergehend wäre denkbar, dass Nordirland, wie von der EU vorgeschlagen, im Binnenmarkt und in der Zollunion bleibt. Auch das restliche Großbritannien müsste demnach in der Zollunion bleiben – nur so wäre die irische Grenze weiter unsichtbar. Doch in London gibt es massiven Widerstand. Bei diesem Plan müsse es ein klares Ausstiegsdatum geben – was wiederum in Brüssel auf taube Ohren stößt.
Nahezu im Stundentakt wechseln einander derzeit zwischen Brüssel und London die Gerüchte ab: Die Gespräche stünden vor dem Scheitern, ein harter Brexit drohe – während von Seiten europäischer Regierungschefs vorsichtiger Optimismus zelebriert wird. „Wir sind einer Lösung sehr nahe“, sagt Kanzler Sebastian Kurz mit großer Gelassenheit. „95 Prozent aller Fragen des Austrittsabkommens sind geklärt.“ Und selbst Premierministerin May versicherte: Die Kontur eines Deals sei in den meisten Punkten sichtbar. „Ich glaube nicht, dass Großbritannien und die EU weit auseinander sind.“
Noch mehr Zeit
Einigen sich die 27 Staats- und Regierungschefs morgen auf einen Brexit-Gipfel Mitte November, wäre zumindest eines sicher: „Dann gibt man den Verhandlungen genug Zeit, um zu einem Ergebnis zu kommen“, meint ein mit den Gesprächen betrauter EU-Diplomat. Aber im Dezember sei "endgültig deadline", stellte Brexit-Chefunterhändler Michel Barnier am Dienstag klar: Großbritannien und die übrigen EU-Staaten müssen sich bis spätestens Dezember auf ein Austrittsabkommen einigen, um einen ungeordneten Brexit noch zu vermeiden.
Für den Fall eines Kollaps’ der Verhandlungen will man in Brüssel aber dennoch vorbereitet sein. Die Notfallvorbereitungen werden vorangetrieben. So soll gewährleistet sein, dass bei einem ungeregelten Ausstieg Großbritanniens aus der EU am 30. März nicht der gesamte Flugverkehr zusammenbricht.
Schwierige Themen stehen beim EU-Gipfel auch am Donnerstag auf dem Programm – von der ungelösten Migrationsfrage bis hin zur Reform der Eurozone. Jüngstes Sorgenkind ist hier Italien: Die populistische Regierung in Rom präsentierte der EU-Kommission einen Budgetentwurf, der in den anderen Euro-Ländern alle Alarmglocken zum Läuten bringt. Das mit 2300 Milliarden Euro verschuldete Italien nimmt weiter neue Schulden auf. Geplantes Budgetdefizit für 2019: 2,4 Prozent. Die Gegner eines weiteren Zusammenwachsens der Eurozone sehen sich durch Italiens Vorgehen in ihren Ängsten mehr als bestätigt.
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