"Gefangen" in eigener Wohnung: Hohe Brandschutzkosten bereiten Briten Sorgen
Sechs Jahre nach der Brand-Katastrophe im Grenfell Tower leben Tausende Briten in unsicheren Gebäuden. Unterdessen wurde der erste Wohnblock nur für Frauen genehmigt.
Als Sophie Bichener 2017 ihre Wohnung in Hertfordshire kaufte, war sie überglücklich. Es war ein schicker 15-stöckiger Wohnturm und sie war die erste im Freundeskreis, die sich ein Eigentum leisten konnte.
Doch ein Monat später ereignete sich in einem Hochhaus in London ein Brand, der alles ändern würde. Danach erhielt Bichener einen Bericht über mangelnden Brandschutz in ihrem Wohnhaus. Drei Jahre später, inmitten der Pandemie, kam die Rechnung: Umgerechnet 243.000 Euro für notwendige Feuerschutzmaßnahmen.
Heute nennt die 31-jährige Britin die Wohnung nicht mehr ihr Zuhause, sondern ihr „Gefängnis“. Sie bereut den Kauf, kämpft mit Panikattacken und hat immer öfter des Gefühl, keine Luft zu bekommen. Wie Sophie geht es Tausenden Briten.
„Diese Krise hat uns sechs Jahre unseres Lebens geraubt“, schrieb die Initiative „End Our Cladding Scandal“ (Beenden Sie unseren Cladding-Skandal, dt.) diese Woche in einem offenen Brief an Wohnbau-Minister Michael Gove. „Wir alle wissen, dass die Krise der Gebäudesicherheit komplex ist, aber sie ist lösbar, wenn der politische Wille vorhanden ist.“ Sechs Jahre nach dem Grenfell-Brand habe sich für viele kaum etwas geändert.
Das ist damals passiert
Das ausschlaggebende Unglück ereignete sich am 14. Juni 2017. Kurz nach Mitternacht fing ein defekter Kühlschrank im vierten Stock des 24-stöckigen Wohnblocks Grenfell Towers Feuer. Rasant schoss es an der Außenfassade in die Höhe, und tödlicher Rauch zog in alle Stockwerke. 72 Personen starben damals in den Flammen, zwei weitere im Spital; 70 Menschen wurden verletzt. Es war Großbritanniens schlimmster Wohnhausbrand seit dem Zweiten Weltkrieg.
Hauptschuld am schnellen Ausbreiten der Flammen war die Verkleidung des Hochhauses, ein brennbares Aluminium-Verbundmaterial. Ein Material, das auch Hunderte andere Hochhäusern im Land verkleidete. Die Regierung versprach, sie von allen Wohnblöcken entfernen zu lassen. Bis Dezember 2022 wurden auch bei 463 von 487 dieser Gebäude Sanierungsarbeiten begonnen oder abgeschlossen. Doch laut Evening Standard gibt es weiter in zwei Drittel der Londoner Bezirke mindestens einen Wohnturm, bei dem die Arbeiten noch nicht begonnen wurden.
Arbeit hat noch immer nicht begonnen
Auch Bichener wartet weiter darauf. Denn obwohl den 73 Wohnungseigentümern die Rechnung von insgesamt 17 Millionen Euro vor zwei Jahren gestellt wurden, ist die entzündliche Verkleidung bis dato noch nicht abgenommen worden. Es ist der erste Fall, bei dem die Regierung aktiv wurde: das Wohnbau-Ministerium legte rechtliche Schritte gegen einen Hochhauseigentümer ein. Ein Sprecher des Eigentümers versicherte der BBC im Oktober zwar, die Sicherheit der Anwohner habe „oberste Priorität“, aber ein Dreivierteljahr später haben die Arbeiten weiterhin nicht begonnen.
Vorzeigeprojekt
Doch nicht alle Wohnblöcke sorgen derzeit für Kritik. Im Bezirk Ealing wurde der erste Wohnblock für Frauen genehmigt. Im 15-stöckigen Turm sollen alle der 102 Wohnungen zu leistbaren Preisen alleinstehenden Frauen zur Verfügung gestellt werden, die Missbrauch, Benachteiligung oder Ungerechtigkeit erfahren haben.
Der Bedarf ist hoch: In London sind etwa 20 Prozent der Wohnungen gefördert (in Wien sind es 60 Prozent). Der durchschnittliche Mietpreis beträgt 2.386 Euro. Und so stehen alleine in Ealing über 600 alleinstehende Frauen auf der Warteliste für Sozialwohnungen.
Ein bisschen Aufatmen konnte Sophie Bichener in der Zwischenzeit doch. Die Regierung hat eine Obergrenze eingeführt, mit der Wohnauseigentümer bei Schutzmaßnahmen maximal belastet werden dürfen. Bichener soll maximal 11.700 Euro zahlen. Doch darauf verlassen will sich die Britin nicht. Und so wird weiter jeder Penny zur Seite gelegt.
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