Aufwischen statt aufmischen: Wettputzen in der Pariser Vorstadt

Das Umland der französischen Hauptstadt ist berüchtigt für seine Gangs – so manche putzen jetzt aber statt zu schießen.

Der Verein heißt „Jeunesse dorée“ (Vergoldete Jugend), aber vergnügungssüchtige Sprösslinge wohlhabender Familien, die üblicherweise so bezeichnet werden, kann man im Pariser Vorort Stains lange suchen. Über ein Drittel der Haushalte müssen hier mit einem Einkommen unter der offiziellen Armutsgrenze auskommen.

Trotzdem verleihen großzügig angelegte Grünanlagen zwischen den höchstens fünfstöckigen, meistens renovierten Wohnsiedlungen dem Ort ein anheimelndes Antlitz – wäre da nicht der Abfall, der so manchen Gehsteig säumt.

Nachhilfe und putzen

Bei der „Jeunesse Dorée“ will man das nicht länger hinnehmen. Vereinsleiter Bolli Omar erklärt das so: „Wir packen unsere Probleme an. Wir bieten Kindern Nachhilfe-Unterricht und künstlerische Aktivitäten. Wir organisieren den Dialog zwischen Religionen und Generationen. Und natürlich machen wir bei der Clean-Challenge mit“.

Die besagte „Challenge“ hat bereits in Dutzenden Vorstadtsiedlungen Reinigungstrupps ausschwärmen lassen. Mit dem Slogan „Ma cité va briller“ (Meine Siedlung wird glänzen) rivalisieren jetzt Jugendliche und Halbwüchsige in Brennpunkt-Vierteln um die Sauberkeit ihrer Wohngegend.

"Etwas Positives entgegensetzen"

Die Initiatorin Hind Ayadi, von Beruf Dekorateurin, wollte ursprünglich bloß in ihrem Umkreis in der Satellitenstadt Garges den gefährlichen Fehden zwischen Jugendlichen aus verschiedenen Vierteln „etwas Positives entgegensetzen“. Aber ihre auf Facebook verbreitete Idee eines Wettkampfs ums Reinemachen fand weitaus breitere Resonanz als erwartet.

Dass sich Cliquen von Heranwachsenden aneinander reiben, ist nichts Neues. Aber in den letzten Jahren verschärften sich die Zusammenstöße. Im Web wird mit Videos über Prügelorgien und Misshandlungen geprahlt, per Snapchat oder Instagram stacheln sich benachbarte Viertel gegenseitig auf.

Müllsäcke statt Waffen

Oft wissen die Beteiligten gar nicht mehr, weshalb sie mit dem anderen Viertel im Clinch liegen. Eine Provokation löst die nächste ab, eine Rache die andere – aus post-pubertärem Macho-Gehabe kann schnell bitterer Ernst werden.

"Battles"

Hind Ayadi beschloss, die Aufrufe zu den „Battles“ (so der aus dem US-Jargon übernommene Begriff für diverses Kräftemessen) umzufunktionieren. Dabei nahm sie sich die Selfies zum Vorbild, auf denen sich Jung-Machos mit Waffen in Szene setzten. „Ich habe von ein paar Burschen verlangt, dass sie genauso auftreten, aber dabei Reinigungsmittel und Müllzangen schwenken. Sie haben sich zuerst gesträubt, weil dann ihre Street-Credibility, wie sie sagten, im Eimer wäre. Aber sie haben es doch gemacht und Nachahmer gefunden.“

Tatsächlich zögern die vor dem Vereinslokal der „Jeunesse dorée“ in Stains versammelten jungen Leute und Kinder keinen Augenblick, sondern posieren stolz mit Müllzangen und Abfallsäcken, bevor sie durch die Gassen touren. Von Balkonen tönt Zustimmung, nur ein Passant schimpft: „Das ist sinnlos, die Leute hier wird man nie davon abbringen, ihren Dreck beim Fenster raus zu schmeißen“. Ungerührt machen die Aufräumer weiter. Ein Halbwüchsiger gibt sich zuversichtlich: „Die Älteren werden auch noch dahinter kommen.“

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