Pflegefamilien für Flüchtlingskinder
Das Schicksal eines Flüchtlingsbuben aus Syrien hat viele Österreicher schockiert und eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Der 12-jährige Shiar war vor einigen Wochen alleine auf dem Wiener Westbahnhof aufgegriffen worden. Die Mutter und zwei Geschwister waren mit dem Zug nach Deutschland weitergereist. Bei der "Drehscheibe Augarten", die den Buben betreut, meldeten sich daraufhin Menschen aus ganz Österreich, die Shiar bei sich aufnehmen wollten.
Und das brachte Norbert Ceipek, den Chef der Drehscheibe, auf eine Idee: "Das ist ja nur ein Fall. Es gibt Hunderte Kinder und Jugendliche, die allein auf der Flucht sind. Was ist mit den 500 Kindern, die ohne Eltern in Traiskirchen sitzen?"
Er hat einen Lösungsvorschlag: "Was wäre, wenn wir für sie Plätze bei Pflegeeltern suchen?" Dass das keine Lösung für alle Flüchtlingskinder ist, ist ihm bewusst. "Aber wenn sich 50 Plätze in ganz Österreich finden, ist das ein Anfang." Und damit hätte man gleich mehrere Probleme vom Tisch: "Die Kinder sind gut versorgt, haben einen fixen Ansprechpartner, familiäre Strukturen, sie werden automatisch integriert und wachsen nicht in einem Getto auf. Zusätzlich verteilen sich die Kinder damit automatisch auf die Bundesländer."
Denn bisher erfüllen nur Wien und Niederösterreich die Asylwerber-Quote. Die restlichen Bundesländer haben Nachholbedarf.
Am Geld kann es nicht scheitern, ist Ceipek überzeugt. "Ein betreuter Wohnplatz für unter 14-Jährige kostet 77 Euro täglich. Das braucht eine Pflegefamilie nicht." Außerdem dauere "das Asylverfahren bei Kindern ein halbes bis dreiviertel Jahr. Das ist verlorene Zeit, in der bereits viel Vorarbeit geleistet werden kann", sagt Ceipek. "Es müssen von der ersten Minute an integrative Maßnahmen gesetzt werden." Und dazu gehört auch eine schulische Ausbildung – die war bisher in der Erstaufnahmestelle in Traiskirchen auf Deutschkurse beschränkt.
Traiskirchen: Der Nikolo steht auf dem Unterrichtsplan
Das kleine Mädchen setzt eine Totenkopf-Maske auf und wirft einen neugierigen Blick aus der Tür. Musik kommt aus dem Rekorder. Die Helferinnen bereiten Kleinigkeiten zum Essen vor. Gesprochen wird Deutsch. Im Flüchtlingslager Traiskirchen wird gefeiert. Zu Halloween haben die Kinder und Jugendlichen Girlanden aus Papier-Kürbissen gebastelt. Auch die vielen Burschen lassen sich mit den Totenkopf-Masken aus der Reserve locken. Sie posieren für die Besucher.
Kinder und Jugendliche als Flüchtlinge sind längst keine Ausnahme mehr. Allein in der Erstaufnahmestelle in Traiskirchen sind mehr als ein Drittel der Flüchtlinge Minderjährige, die sich alleine bis Österreich durchgeschlagen haben. "Das hat sich im Lauf des Jahres deutlich gesteigert", sagt Andreas Piribauer, stellvertretender Leiter der Betreuungsstelle Ost. Die meisten kommen aus Afghanistan. 560 Flüchtlinge sind unbegleitete Minderjährige, 34 davon sind unter zehn Jahre alt.
Um ihre Betreuung ist in den vergangenen Tagen eine Diskussion entbrannt. Denn: "Kinder sind erst nach sechs Monaten Aufenthalt in Österreich schulpflichtig", sagt Karl-Heinz Grundböck, Sprecher des Innenministeriums. Und so lange bleiben sie nicht in Traiskirchen. "Wir sind ja nur ein Durchgangslager. Nach spätestens zwei Monaten sind sie ja schon in der Grundversorgung", sagt Piribauer, oft in Wohngemeinschaften.
Zwei Klassen
Dennoch: Für die Kinder und Jugendlichen werden jetzt zwei Klassenräume eingerichtet. Die Zimmer werden in den derzeitigen Schulungsräumen entstehen. Traiskirchens Bürgermeister Fritz Knotzer hat sich bereit erklärt, die Schulmöbel zur Verfügung zu stellen. Auf dem Stundenplan werden die Fächer Deutsch und Integration stehen. "Damit sie etwas über Österreich lernen", sagt Innenministerin Johanna Mikl-Leitner. Piribauer konkretisiert: "Zum Beispiel wird zu Nikolo gebastelt – die Kinder kennen das aus ihrer Kultur ja gar nicht. Und zu Weihnachten kommt das Christkind." Der Unterricht wird freiwillig sein.
Schon jetzt gibt es tägliche Deutschkurse. "Die werden gut besucht. Wir haben täglich 60 bis 70 Teilnehmer", erklärt Piribauer. Sogar der Reinigungsworkshop erfreut sich einer regen Nachfrage. "In Afghanistan kennt man eben keinen Meister Proper. Das muss man erklären – auch wenn das manche komisch finden."
Die Minderjährigen sind in eigenen Gebäuden untergebracht. Zu viert oder zu sechst teilen sie sich ein Zimmer. Die Einrichtung ist zweckmäßig. Bett, Tisch, Sessel, Kasten. "Wie beim Bundesheer", sagt Piribauer. Poster sind nicht erlaubt. Und auch Teppiche nicht – wegen des Brandschutzes.
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