Parallelen zur Lainzer Mordserie

Parallelen zur Lainzer Mordserie
Tod im Spital: In Deutschland soll ein Pfleger mehr als 90 Patienten ermordert haben. Wie auch die Mordschwestern von Lainz in den 1980er-Jahren verwendete er Medikamente in Überdosierung. Seither gibt es mehr Kontrollen.

Die Meldungen über den deutschen Krankenpfleger Niels H., der mehr als 90 Patienten ermordet haben soll (siehe unten), lassen Erinnerungen an die "Lainzer Mordschwestern" wach werden: Vier Stationsgehilfinnen im Alter zwischen 25 und 50 haben in den 1980er Jahren im Wiener Krankenhaus Lainz mindestens 42 betagte Patienten ermordet.

Hier wie da wurden überdosierte Medikamente verabreichte, entweder um sich als Retter aufzuspielen oder um "lästige" Patienten "ruhigzustellen" bzw. loszuwerden. Die Lainz-Schwestern spritzen Menschen, die nicht an Diabetes litten, Insulin, verabreichten anderen das Schlafmittel Rohypnol, alles in vielfachen Mengen. Und sie führten eine sogenannte "Mundpflege" durch, wie sie die Prozedur zynisch nannten, bei der Patienten mit herunter gedrückter Zunge und zugehaltener Nase ein Glas Wasser eingeflößt wurde, bis sie erstickten.

Hier wie da hätte mehr Aufmerksamkeit des verantwortlichen Klinikpersonals das Schlimmste vielleicht verhindern können: Im deutschen Fall gab es Gerüchte, dass auffällig viele Personen während den Schichten von Niels H. starben, aber niemand ging ihnen nach. In Lainz starben während der Dienste der späteren Hauptangeklagten Waltraud W. sechs Mal mehr Patienten als bei anderen, aber niemand überprüfte das.

Parallelen zur Lainzer Mordserie
Aufnahmedatum 14.05.1992 Mord, Krankenhaus Lainz, Krankenschwester, Prozess, ohne Reihenfolge, Angeklagte, Anklagebank, Waltraud Wagner, Irene Leidolf, Stefanija Mayer, Maria Gruber
Die vier "Lainzer Mordschwestern" wurden 1991 zu zwei Mal lebenslanger bzw. 20 und zwölf Jahren Haft verurteilt. 2008 wurden die letzten beiden nach mehr als 19 abgesessenen Jahren bedingt entlassen, die beiden anderen waren bereits davor freigekommen. Sie änderten ihre Namen, ließen sich vom AMS umschulen und nahmen andere Jobs an. Eine könnte Masseurin geworden sein, sie wollte weiter als Stationsgehilfin arbeiten, zumindest aber etwas "mit Menschen zu tun haben", wie sie damals sagte.

Die Lehren aus der Mordserie reichten von einer Umbenennung des Krankenhauses Lainz und des benachbarten Pflegeheims in Krankenhaus Hietzing und Geriatriezentrum am Wienerwald bis zu einem Fünf-Jahres-Plan des damaligen Wiener Gesundheitsstadtrates Sepp Rieder: Man baute Pflegezentren aus und installierte Senioren-Aufnahmestationen in Spitälern.

"Qualitätssprung"

"Wir haben aus Lainz gelernt", sagte die Wiener Gesundheitsstadträtin Sandra Frauenberger (SPÖ). Vor allem bei der Aufnhame des Pflegepersonals gab es –allerdings nicht speziell wegen der Vorfälle in Lainz – in den vergangenen Jahren einen "Qualitätssprung".

Wer in Wiener Spitälern Krankenschwester oder Krankenpfleger werden will, muss ein mehrstufiges Auswahlverfahren absolvieren. Zuerst ist ein zweiteiliger schriftlicher Test abzulegen. Danach gibt es ein mehrstündiges Gespräch vor einer Kommission. "Es werden nicht nur kognitive Fähigkeiten abgeprüft, sondern auch die psychische Verfassung der Bewerber", sagt ein Sprecher der Stadträtin.

Die "Persönlichkeitsstruktur" der Bewerber werde überprüft. Sie müssen etwa eine Einschätzung darüber abgeben, welche Persönlichkeitsmerkmale relevant für ihren Beruf sind. Konkret wird beispielsweise abgeklärt, ob die Bewerber empathiefähig sind und ob sie Aversionen hegen. Außerdem müssen sie ein Leumundszeugnis und ein ärztliches Attest über die körperliche Eignung vorweisen.

Die Verabreichung von starken Medikamenten ist im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) geregelt. Der Schrank, in dem Medikamente aufbewahrt werden, sei versperrt. Die Entnahme werde geprüft und kontrolliert. Es herrsche das Vier-Augen-Prinzip. "Dieses Prozedere verhindert Vorfälle wie in Deutschland oder auch Lainz", heißt es aus dem KAV.

Wie hoch die Dosis ist, die dem Patienten verabreicht wird, entscheide ein Arzt. Außerdem werde Protokoll geführt: Darüber, wer Medikamente entnimmt, welchem Patienten welche Medikamente verabreicht wurden sowie von wem welche Menge eines Medikaments und und wann (inklusive Angabe des Datums und der Uhrzeit) verabreicht wurde.

Interview

Der KURIER sprach mit Patientenanwältin Sigrid Pilz über Vertrauen und Kontrolle.

KURIER: Wie ist es um die Patientensicherheit in Wiens Spitälern bestellt?

Parallelen zur Lainzer Mordserie
Streitgespräch zwischen der Wiener Patientenanwältin Sigrid Pilz und Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres am 28.11.2014 in Wien
Sigrid Pilz: Patientensicherheit ist ein Thema, das sehr hoch gehängt wird. Ich habe nicht das Gefühl, dass die Spitäler Fehler unter den Tisch kehren wollen. Aber was es jedenfalls braucht, ist Transparenz.

Inwiefern?

Die Übersicht über den Medikamentenstock ist eine indiskutable Aufgabe des Managements. Wenn in einer Abteilung oder bei einer Pflegekraft Übersterblichkeit auftritt, dann ist das ein absolutes Warnsignal. Genauso, wenn übermäßig viele Komplikationen nach Operationen auftreten. Oder wenn plötzlich viele alte Menschen an einem Herzversagen sterben, wie das auch in Deutschland der Fall war.

Was können Pfleger oder Krankenschwestern tun, wenn ihnen das Verhalten von Kollegen verdächtig erscheint?

Es muss eine Teamstruktur geben, in der die Leute keine Angst haben. Man muss so viel Vertrauen zum Vorgesetzten haben, dass man Dinge ansprechen kann, auch wenn sie sich später nicht als wahr herausstellen.

Grundsätzlich vertrauen Patienten wohl dem Personal im Spital. Was können sie tun, wenn sie sich unbehaglich fühlen?

Mitdenken der Patienten macht Sinn. Wenn sie bemerken, dass womöglich ein Fehler passiert, sollen sie das melden. Etwa wenn tagelang dasselbe Flascherl Infusion angehängt wird, und plötzlich ist es ein anderes. Oder wenn man täglich eine Tablette zur Einnahme bekommt, und auf einmal sind es drei und es gab keine Aufklärung darüber, dass die Dosis erhöht wurde.

Deutschland

Der ehemalige deutsche Krankenpfleger Niels H., 40, hat laut Ermittlern der Polizei insgesamt mindestens 90 Morde an schwer kranken Klinikpatienten begangen.
Die Ergebnisse der toxikologischen Analysen von 41 exhumierten Patienten stehen noch aus. Nach Angaben der Ermittler handelt es sich jedenfalls um einen in der bundesdeutschen Kriminalgeschichte einmaligen Fall. Die Dimension der Verbrechen von H. mache „fassungslos“, sagte Oldenburgs Polizeipräsident Johann Kühme. Er betonte zugleich, dass die Gesamtzahl der von H. verübten Taten womöglich noch viel höher sein könnte, aber nicht mehr sicher nachweisbar sei.

Wegen sechs Taten sitzt der Ex-Pfleger bereits lebenslang in Haft. Ende dieses oder Anfang kommenden Jahres will die Staatsanwaltschaft erneut Anklage erheben. Die Mordserie könnte die längste der deutschen Nachkriegsgeschichte sein, die Ermittler sind fassungslos: „Die Erkenntnisse erschrecken noch immer – ja, sie sprengen jegliche Vorstellungskraft“, sagte Kühme.

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