Wundermittel oder Gefahr: Der Hype um die Eisschwimmer

Der neueste Lockdown-Trend nennt sich Eisschwimmen. Hier zwei eifrige Eisschwimmer bei einer Veranstaltung in der Seestadt.
In Österreich gibt es immer mehr Eisschwimmer. An der Alten Donau in Wien gehören sie quasi zum Stadtbild.

Bei klirrender Kälte und strömendem Regen stehen 20 Menschen am Asperner See in der Seestadt. Manche haben Zelte mit, andere ihre Kinder. Manche sind aus Niederösterreich, andere gar aus Kärnten angereist. Sie ziehen sich bis auf die Badekleidung aus und schnallen sich eine leuchtende Boje um. Dann geht es ins eiskalte Wasser.

Links leuchtet die Seestadt-Skyline, rechts die U2. Die Eisschwimmer fangen an, heftig zu atmen, manche stöhnen auch. Die Kälte verlangt dem Körper alles ab. „Verrückt“, denken sich wohl die Polizisten, die Abstände und Maskenpflicht kontrollieren und eher skeptisch dreinblicken. Angemeldet ist das Event, das Donnerstagabend stattgefunden hat, nämlich als Demo: „Eisschwimmen gegen soziale Kälte“ nennen es die Veranstalter.

Wundermittel oder Gefahr: Der Hype um die Eisschwimmer

Donnerstagabend schwammen Eisschwimmer in der Seestadt gegen die „soziale Kälte“.

Kalt ist es wahrlich: Draußen hat es 3 Grad, das Wasser hat 2,8 Grad. Die Definition von Eisschwimmen verlangt eine Wassertemperatur unter 5 Grad.

Hinter dem Event steckt ein Mann mit Durchhaltevermögen: Josef Köberl. Als kleiner Junge verlor er seinen Vater und seine Schwester. Seine Kraft weiterzumachen fand er im Sport. Früher war es das Laufen, jetzt ist es das Eiswasser. Wenn Josef Köberl etwas will, dann erreicht er es auch. Er ist quasi Österreichs neuer "Schwarzenegger", denn auch er ist Steirer. Er ist der Gruppen-Guru und Präsident des Eisschwimmverbandes.

 

Wundermittel oder Gefahr: Der Hype um die Eisschwimmer

Im Dezember brach der Franzose Romain Vandendorpe den Rekord von Josef Köberl (Zwei Stunden, 35 Minuten und 43 Sekunden im Eis). Noch dieses Jahr will der "Eis-Mann" den Rekord erneut brechen.

2018 gab es 50 Eisschwimmer österreichweit, jetzt sind es Tausende. Köberl durchschwamm den Ärmelkanal, dieses Jahr will er zum dritten Mal den Weltrekord in Las Vegas brechen: Als Mensch, der am längsten in Vollkörperkontakt mit Eis stehen kann. Sein Ziel: drei Stunden. 

Hotspot Uferplatz

Immer mehr Menschen schwören auf die Randsportart. Der Kagraner Uferplatz im 22. Bezirk, direkt an der Alten Donau, ist der Hotspot der Eisschwimmer in Wien. Jeden Samstag und Sonntag sieht man dort bei den Lockdown’schen Spaziergängen – und bei egal welchem Wetter – Menschen im nassen Kühl schwimmen. Sie stoßen an ihre Grenzen, sie überwinden sie. Oft gemeinsam, wie in einer Hippie-Bewegung. „Wer es einmal macht, hört nicht mehr auf“, erzählt ein Mann. Ein anderer, der derzeit vier Kinder im Homeschooling betreut, sagt, er komme jeden Tag zum Ausgleich her.

Wundermittel oder Gefahr: Der Hype um die Eisschwimmer

„Wer es einmal macht, hört nicht mehr auf“, erzählt ein Mann.

Orte zum Eisschwimmen
Rund ums Strandbad Gänsehäufel, Alte Donau (Kagraner Uferplatz/ U1 Alte Donau), Donauinsel 

Mögliche Ausstattung
Badehaube, Schwimmbrille, Ohrenstöpsel, Schwimmboje.
Erhältlich etwa bei Schwimmsport Steiner

Gefahren beachten
Keine Medikamente oder Drogen, kein Kaffee und kein schweres Essen. Man sollte sich  vorab über das Gewässer erkundigen und nie alleine ins Wasser gehen

Nach dem Lockdown 
Der Eisschwimm-Verein IISA  organisiert sich über die Facebook-Gruppe namens IISA 

 

Eisiges Antidepressiva

Wie sich das anfühlt, ins Eiswasser zu gehen?

Am Anfang wie tausend Nadelstiche. Keinen Schritt will man weitergehen. Fünf Atemzüge, dann ein kleiner Schritt, rät Guru Köberl. Die Schmerzen sind anfangs größer als gedacht: Die Schnappatmung startet, der Körper kämpft um sein Leben, dann bleibt der Atem weg.

Doch wer langsam weitergeht und seine Angst überwindet, spürt den Moment der Erlösung und ein Stück weit fühlt man sich wie neu geboren. Nach dem Eisschock zittert man sich wieder warm, der Körper fühlt sich gut an – trotz roter Gänsehaut. Kein Stress, man ist im Hier und Jetzt. Eisschwimmen soll tatsächlich gesund sein und fit machen. Das bestätigt auch Psychotherapeutin Barbara Haid. Sie beruft sich auf die Schweizer Studie „Cold Water Swimming“ von Beat Knechtle. Stoffe wie Dopamin, Adrenalin und Noradrenalin werden dabei aktiviert. „Dieselben finden wir in Antidepressiva“, erklärt sie.

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Das Gefühl danach: die Haut ist rot, Gänsehaut stellt sich ein. Innen breitet sich eine Wärme aus.

Aber nicht allen, die Eisschwimmen, geht es gut. Ein junger Mann an der Alten Donau übergibt sich, er war zu schnell im Wasser, hatte kurz davor etwas gegessen. Auch beim Vollmondschwimmen in der Seestadt kommt es zu einem Zwischenfall: Eine Frau verliert kurzzeitig ihr Gedächtnis. Michael Kunze, Sozialmediziner an der MedUni Wien, erklärt: „Hirninfarkt, Hirnblutungen oder Schlaganfälle können durch die enorme Belastung durch den erhöhten Blutdruck ausgelöst werden.“

Köberl weiß das. Er empfiehlt, nicht ohne Vorbereitung ins Wasser zu gehen: eine ärztliche Voruntersuchung mit EKG und Kreislauf-Überprüfung sei absolut notwendig.

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