Wüste Gartengestaltung: Widerstand gegen "Psychopathengärten"

Wüste Gartengestaltung:  Widerstand gegen "Psychopathengärten"
Der Garten ist ein Rückzugsort in der Corona-Krise. Am Aussehen scheiden sich die Geister. Mit Schotter und Thujen, oder doch naturnah?

„Griaß di Gott, Thujenzaun, Pfiat di Gott, Hollerstaudn“ Biermösl Blosn (1985)

Ob im Wiener Umland oder sonst wo in Österreich. Es ist einerlei. In vielen Gärten der Neubausiedlungen ziehen Rasenroboter ihre Runden. Die grünen Flächen sind begrenzt von Thujen und Drahtzäunen, von mannshohen Schottermauern. Im Vorgarten Kies.

Was für die einen der Traum vom eigenen Refugium ist – gerade in Zeiten von Corona –, bringt bei anderen das Blut schnell in Wallung. „Gärten des Grauens“ nennt Ulf Soltau so etwas. Sie, die „naturfeindlichen Psychopathengärten aller Art“, sollen gesellschaftlich unmöglich gemacht werden. Nicht nur, wenn es nach dem deutschen Biologen geht.

In seiner Facebook-Gruppe „Gärten des Grauens“ folgen ihm 70.000 Menschen, auch Österreicher. Er nähert sich dem Thema satirisch – und mit vielen Bildern. Es gibt genug abzulichten: 15 Prozent der deutschen Vorgärten seien geschottert.

Das ist aus der Sicht des Biologen schlecht. Denn es geht um den Erhalt der Artenvielfalt. Auf Kiesbetten und in Thujenhecken finden Tiere keinen Unterschlupf und keine Nahrung. Und wenn Räume landwirtschaftlich stark genützt werden, sind die Balkone und Gärten der Städte und stadtnahen Siedlungen wichtige Rückzugsorte für Tiere und Pflanzen. Auch ein englischer Rasen bietet keine Möglichkeit für Fauna und Flora. Er ist wie eine grüne Wüste.

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Land der Zäune

Dahinter steht ein Einfamilienhaus

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Vorgarten mit Schotter

Bäumchen inmitten von Steinchen

Wüste Gartengestaltung:  Widerstand gegen "Psychopathengärten"

Enge Gänge

Wunsch nach Ordnung

Die Motivation, geschotterte Gärten und Mauern zu bauen, sieht Soltau in dem Wunsch nach Ordnung. „Die Menschen legen sich Outdoor-Wohnzimmer an, und im Wohnzimmer will man keine Spinnweben.“ Oder man will sich einfach nicht reinschauen lassen. Oder es gefällt. Oder beides. Und da greift mancher schon mal zum Metallwerkzeug.

Wie im oö. Innviertel, wo ein Hausbesitzer stolz vor einer cremefarbenen Blechwand mit eingestanztem Muster steht, die er selbst entworfen hat. Geschmäcker sind eben wie die Gärten: verschieden. „Steinmauern haben schon so viele“, sagt er.

Woher kommt überhaupt der Trend, der aus den Gartenbesitzern Zaunkönige, Mauerbauer und Schotterbarone macht? „Aus dem Bauhaus“, antwortet Lilli Lička, Professorin für Landschaftsarchitektur an der Universität für Bodenkultur Wien, lapidar. Dass Stile und Elemente, die für etwas Besonderes stehen, kopiert werden, sei nicht neu – „Ikonen auf Wanderschaft“, quasi. Was jetzt dazukomme, sei die schnelle Zugänglichkeit. „Man kann einen repräsentativen Garten vorgaukeln.“

Wohlfühlfaktor

Verbote, wie sie manche Kommunen in Deutschland aussprechen, hält Lička für nicht zielführend. Eher solle man aufklären, was man anderen damit antue. Ein Garten soll – wie auch das Haus – einen Betrag zum ästhetischen Erscheinen des Ortes liefern.

Ästhetik sei aber nicht das Einzige, was ein gelungener Garten bieten müsse: Das Wohlfühlen sei auch ein Muss: „Es stellt sich die Frage der Temperatur, blendet es, erzeugt der Wind Staub?“ Steine wären per se nichts Verdammenswertes. „Im Hochgebirge über Baumgrenze kann das ein schönes Erlebnis sein.“ Dann gäbe es Gärten mit künstlerischem Mehrwert oder philosophischer Bedeutung. Oder wie es Andreas Vass von der Österreichischen Gesellschaft für Architektur akademisch formuliert: „In einem Zen-Zentrum ist ein Steingarten ein meditativer Raum. Paraphrasiert man aus einer spirituellen Idee, wird sie verkehrt.“

Der Garten ist  ein Spiegel der Seele. Schottergärten zeigen
ein seelisches Problem ihrer Besitzer“

von Ulf Soltau

Biologe und Gartenaktivist

Auch in Naturgärten gibt es Ordnung, Raum für Gestaltung. „Sie können und dürfen nicht nur wild und verwunschen aussehen, sondern können durchaus eine klare Formensprache zeigen“, erklärt Katja Batakovic von der niederösterreichischen Initiative „Natur im Garten“. Seit mehr als 20 Jahren versucht die Bewegung, die Natur in die Gärten zurückzuholen und Thujen wegzubekommen. „Wichtig ist für das Funktionieren der Naturgärten aber in jedem Fall: eine große Vielfalt.“

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Bunte Hecken

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Blüten für Insekten

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Erholungsraum

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Rückzugsraum

Pflegeleicht

Oft ins Treffen geführt wird: Ein Schottergarten sei pflegeleichter. Das sieht Aktivist Soltau nicht. Auch auf diesen Flächen suchen sich Pflanzen ihren Weg.„Es ist ein steter Kampf gegen die Natur.“ Seiner Erfahrung nach greifen die Menschen, um Unkraut loszuwerden, dann auf chemische Keulen zurück. Auch bei der Einzäunung des Grundstücks seien Hecken und Sträucher langfristig pflegeleichter als Holz- oder Metallzäune, erklärt Batakovic.

Soltaus einfaches Rezept für alle Gärtner: Es brauche Mut zur Unordnung. „Lasst die Natur doch machen!“

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