"Würden wir heute handeln"
„Je öfter ich hier bin, desto bedrückender wird es.“
Wie oft Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers in Mauthausen bereits besucht hat, kann er nicht sagen. Als Geschichtsprofessor am Gymnasium war er mit seinen Klassen häufig hier. Bei einem Rundgang mit 14-jährigen Schülern der Neuen Mittelschule Großraming (OÖ) zeigt sich Sobotka nach dem Verlassen des Krematoriumsbereich im Keller der ehemaligen Krankenstation angeschlagen. Wie auch manche Schüler. Ein Mädchen aus der Gruppe weint und wird von der Lehrerin gestützt.
Wie und Warum Gemeinsam mit der Leiterin des
Mauthausen Memorial, Barbara Glück, geht Sobotka beim zweistündigen Rundgang mit den Schüler dem „Wie“ und „Warum“ nach.Hier wird heuer ein besonderes Gedenkjahr begangen. Neben der morgen, Sonntag, stattfindenden großen Feier zum Gedenken an die Befreiung des KZ am 5.Mai 1945 durch US-Truppen steht auch das Jahr 1938 im Mittelpunkt. Kurz nach dem Anschluss an Nazi-Deutschland im März 38 wurde das KZ am 8. August schon bezogen.
„Leute vergast“Trotz der nasskalten Witterung sind die Schüler aufmerksam. Wo es denn derzeit, so wie früher hier im KZ Mauthausen Leid und Tod auf der Welt gebe, möchte Sobotka wissen. Die Gasangriffe auf die Bevölkerung in Syrien werden ihm als Beispiel genannt. „Und was ist hier im KZ passiert“, bohrt er weiter. „Hierher wurden Juden gebracht und es wurden Leute vergast“, lautet eine Antwort. Die Schüler, die im Unterricht auf den Besuch in Mauthausen vorbereitet wurden, erfahren auf ihrer Tour durch das Mauthausen Memorial mehr als andere Gruppen. In Österreichs größtem KZ mit seinen 50 Außenlagern haben die NS-Totenkopfschergen an die 100.000 Menschen ermordet. Auch in Großraming im Ennstal seien in einem Lager rund um den Bau des dortigen Kraftwerks 250 Gefangene gestorben, berichtet
Glück. Später wird sie den Kindern noch eine Karte des aus der Weltkriegszeit stammenden Brettspiels „DKT“ zeigen, das das Großraminger Kraftwerk zeigt.
Fußballspiele Entlang der Lagerstraße geht es vorbei am ehemaligen Fußballplatz. Dort spielte die SS-Mannschaft in der oberösterreichischen Regionalliga etwa auch gegen den LASK. „Da saßen dann Zuschauer direkt neben dem Stacheldraht hinter dem sich die Gefangenen befanden. „Was glaubt ihr. Kann man sagen, dass man von all dem was hier passiert ist, nichts gewusst hat“, will Glück die Schüler sensibilisieren. „Der Grund warum man das KZ hier angelegt hat war der Steinbruch“, erklärt Sobotka. Die SS der
NSDAP habe auch gnadenlose wirtschaftliche Interessen gehabt und sogar eine Gmbh. für den Handel der hier geschlagenen Granitsteine gegründet. „Es kann gut sein, dass Pflastersteine und Straßenrandsteine, die ihr irgendwo seht und die es überall gibt, von hier stammen“, meint der Nationalratspräsident.
Am Aussichtsplatz über dem Steinbruch, dem sogenannten „Wiener Graben“ mit der schrecklichen Todesstiege werden wieder Bilder und Texte Überlebender analysiert. Todesqualen, kaltblütige Exekutionen, spärlich bekleidete völlig unterernährte Männer wurden zu Schwerstarbeit gezwungen, schildern Glück und Sobotka. Entlarvende harmlose Propaganda-Bilder der Nazis aus dem Steinbruch, die die Gräuel verschweigen, sollen den Kindern die Augen öffnen.
Später in einer der Baracken, wo Hunderte Gefangenen zusammengepfercht hausen mussten, liest auch Sobotka im Kreis der Schüler beklemmende Schilderungen von Menschen, die Mauthausen überlebt haben.
Unmenschlicher Todesterror auf der einen Seite, andererseits normales Leben in und rund um Mauthausen, wo die Kolonnen von Todgeweihten zum KZ durcheskortiert wurden. Auch Hochzeiten und Feste gab es innerhalb der Lagermannschaft.
Rechtsfreier Raum „Wie konnte das passieren, dass man so mit Menschen umgegangen ist“, fragen Glück und Sobotka. „Als der erste SS-Wachmann einen Menschen getötet hat, ohne dafür bestraft zu werden, hatte das unglaubliche Folgen. Jeder konnte sehen, dass man nichts zu befürchten hatte, egal wie grausam man mit Menschen auch umgeht. Das war der Knackpunkt. Da gab es plötzlich einen unmenschlichen und rechtsfreier Raum ohne Konsequenzen“, analysiert Sobotka das Werden totalitärer Regime. Dabei zitiert er den deutschen Historiker Jörg Baberowski und sein Buch „Räume der Gewalt “.
Stille In Stille folgt die Besichtigung des Krematoriums und der wiederaufgebauten Gaskammer, in der 3500 Menschen ermordet wurden. Am Weg dorthin lernt auch der mit Mauthausen vertraute Historiker Sobotka dazu. Das zynische Schild „Arbeit macht frei“ hat es am Lagereingang Mauthausen nicht gegeben. Die ihrer Persönlichkeit beraubten, kahl geschorenen Gefangenen erhielten hier anstelle ihres Namens eine Lagernummer nicht in den Oberarm tätowiert. Sie trugen die Ziffern außen auf der Bluse.
Um so beeindruckender der in meditatives Licht getauchte „Raum der Namen“. „Hier haben wir 81.000 Opfern, die hier getötet wurden, wieder ihren Namen zurückgegeben“, erklärt Gedenkstättenleiterin Glück. Dieser emotional bedrückende Abschnitt geht auch dem 14-jährigen Mario Kopf nahe. „Interessant und intensiv“, sei die Exkursion. In der Schule seien er und sein Mitschüler darauf gut vorgebereitet worden, meint er.
Unter den vielen an der als „Klagemauer“ bezeichneten Außenmauer des ehemaligen KZ’s errichteten Gedenkstellen für Opfer steuert Sobotka eine an und nimmt persönliche Auszeit. Auch der Bundeskanzler und Staatsvertragsaußenminister Leopold Figl sei von den Nazis verfolgt und auch hier in Mauthausen gefangen gehalten worden , erklärt er den Schülern.
Persönliches In der Diskussion, dass die NS-Gräuel in
Österreich nach dem Krieg eher verschämt verschwiegen wurden, erzählt Sobotka auch Persönliches. Erst nach vielen Jahren habe er erfahren, dass sein 1943 gestorbener Großvater ebenfalls Nationalsozialist war. Sein Vater musste als 17-Jähriger in den Krieg und sei als Invalider heimgekommen. Zu den oftmaligen Anregungen wachsam zu sein gibt der Nationalratspräsident den Jugendlichen auch eine Frage mit auf den Weg: „Wie würden wir heute handeln. Hätten wird den Mut so ein Unrecht aufzuzeigen, etwas dagegen zu sagen?“.
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