Phantombildzeichner Andreas Fussel über seine Arbeit, den Umgang mit Zeugen und spektakuläre, gelöste Fälle.
06.02.21, 06:00
Abteilungsinspektor Andreas Fussel vom Landeskriminalamt Niederösterreich gibt für die Dunklen Spuren einen seltenen Einblick in seine Arbeit als Phantombildzeichner. Er erklärt, an welche Details sich die Menschen am meisten erinnern, wie viele Täter aufgrund eines Phantombilds gefasst werden und ob ihm auch schon einmal ein Bild misslungen ist.
Herr Fussel, wo fängt man bei einem Phantombild an? Nase? Ohren? Mund? Andreas Fussel: Wir in Niederösterreich handhaben das so, dass wir mit Startbildern beginnen. Die setzen sich aus sieben Komponenten zusammen. Gesichtsform, Haare, Augenbrauen, Augen, Mund, Nase und Ohren. Der Zeuge entscheidet dann, ob er auf den Bildern irgendeine Komponenten sieht, die zum Täter passen.
Der Zeuge sagt dann: „So einen Mund hat der Täter“?
Genau. Dieser Mund wird dann fixiert und bei allen weiteren Startbildern ist der Mund immer gleich und alles andere verändert sich. Das machen wir so lange, bis wir ein Bild haben, das dem Täter schon sehr ähnlich sieht. Das wird dann übernommen und dann beginnt die Feinarbeit mit dem Zeichenwerkzeug.
Früher wurden ja alle Phantombilder händisch gezeichnet. Gibt es das noch?
Ja, früher wurde alles händisch gezeichnet. Dann hat man eine Zeit lang mit Schablonen gearbeitet. Aber das gibt es schon lange nicht mehr. In der Regel finden wir mit dem Phantombild-Programm das Auslangen. Es gab bis vor kurzem auf der Polizeiinspektion St. Valentin einen Kollegen, der Künstler und Karikaturist ist. Der hat immer wieder das Phantombild händisch gezeichnet, wenn es erforderlich war. Er ist mittlerweile im Ruhestand. Aber so wie ich ihn kenne, wird er uns sicher aushelfen, wenn es notwendig wäre.
Sie haben ja ein eigens entwickeltes Programm, wie viele Nasen, Münder, Augen haben sie da im System?
Wir haben zirka 550 Nasen, rund 200 Münder, 700 Augenpaare, 1500 Frisuren, über 200 Augenbrauen und um die 300 Gesichtsformen, die wir alle aber noch mit unserem Werkzeug verändern können.
Wie lange braucht man für ein Phantombild?
In der Regel eine bis eineinhalb Stunden, bis die Zeugen wirklich zufrieden sind. Es gibt natürlich immer wieder Ausreißer, die nach einer Viertelstunde schon fertig sind.
Wie gut muss sich denn ein Zeuge erinnern können? Denn ein Zeuge sieht den Täter ja meist maximal zwei Sekunden?
Ja ich bin immer wieder überrascht, wie gut manche Zeugen Personenbeschreibungen abgeben können. Wir haben voriges Jahr einen Fall gehabt, bei dem eine 84-jährigen Dame, die Malerin war, nach 11 Monaten ein perfektes Phantombild beschreiben konnte. Wenn der Zeuge der Meinung ist, er könnte den Täter wiedererkennen, dann sollte das für eine Personenbeschreibung genügen.
Wo treffen Sie die Zeugen?
Es wird mit dem Zeugen oder Opfer ein Termin vereinbart und ausgemacht, ob man es auf einer Dienststelle, bei ihm zu Hause oder in einer Tankstelle machen will.
Hilft es, wenn man mehrere Zeugen hat?
Ja, dann ist es aber so, dass wir mit jedem Zeugen ein eigenes Phantombild zeichnen, weil sich die sonst widersprechen und beeinflussen. Aber mehrere Zeugen sind grundsätzlich besser.
Gibt es Unterschiede, an was sich Männer und Frauen erinnern?
Ja, wir haben die Erfahrung gemacht, dass sich Frauen besser erinnern können und dass das Zeichnen mit Frauen länger dauert, weil die noch viel mehr ins Detail gehen. Von einem männlichen Zeugen habe ich dafür mal etwas Lustiges gehört: Dass er sich an das Gesicht zwar nicht so genau erinnern kann. Die Figur der Täterin hätte ihm aber sehr gefallen.
Als Phantombildzeichner muss man immer nachfragen. Aber wie verhindert man, dass man die Zeugen unabsichtlich beeinflusst?
Indem man ihm einfach Zeit gibt, sich die Bilder durchzuschauen, dass man Pausen macht und keinen Druck aufbaut.
Was können Sie mit dem Tool noch machen, etwa eine Narbe einfügen?
Ja. Es gibt zusätzliche Komponenten, die ich über das Phantombild drüber legen kann: Hüte, Brillen, verschiedenste Bärte oder Schmuck wie Ohrringe oder Nasenstecker
Wie viele Phantombilder machen Sie denn pro Jahr?
Wir machen zirka 30 bis 50 pro Jahr.
Also fast jede Woche eins?
Das ist sehr unterschiedlich. Manchmal haben wir zwei bis drei Phantombilder am Tag zu zeichnen. Und dann zwei, drei Wochen wieder gar nichts.
Was passiert als erster Schritt mit einem Phantombild?
Das wird den Ermittlern gegeben, die uns postwendend ersuchen, dass wir das an alle Dienstelle in Niederösterreich oder österreichweit aussenden.
Bei welchen Delikte gibt es die meisten Phantombilder?
Meistens sind das Raub, Betrug, Sexualdelikte oder Diebstähle.
Auf welches Phantombild sind Sie denn am meisten stolz? Gibt es eines, wo sie den Täter wirklich gut getroffen haben?
Ja, immer wieder gibt es Phantombilder, die wirklich perfekt wie Fotos sind. Wir hatten schon einen Täter oder mehrere Täter, die sich aufgrund des Phantombilds selbst gestellt haben.
Wie viel Anteil haben die Phantombilder an der Aufklärung von Verbrechen. Wenn man ein Phantombild hat, ist man wirklich einen großen Schritt weiter?
Ja schon, das Phantombild wird dem Ermittler zur Verfügung gestellt, der entscheidet dann auch über eine Veröffentlichung. Wir haben aber auch die Möglichkeit, dass wir das Phantombild mit den gespeicherten Bildern in erkennungsdienstlichen Evidenz abgleichen lassen.
Das heißt, da kann man ältere Fälle, die schon zurückliegen, wo es schon ein Phantombild gibt, abgleichen, ob das der gleiche Täter ist?
Genau. Die Software vergleicht das Bild auch mit realen Bildern von Tätern, die sie in der Evidenz haben und schaut, ob es da Übereinstimmungen gibt.
Wie viele Phantombild führen zu keinem Fahndungserfolg?
Ja, das ist leider sicher bei zwei Drittel so. Aber rund 30 bis 40 Prozent führen zur Ausforschung des Täters.
Ist ihnen ein Phantombild auch schon mal gänzlich misslungen, wo sie nachher gesagt haben, der Täter schaut ja ganz anders aus?
Gänzlich misslungen ist noch kein Phantombild. Nachdem wir ja vorher schon abklären, ob der Zeuge eine Beschreibung abgeben kann, ist es eigentlich eher unwahrscheinlich, dass das Phantombild komplett misslingt.
Wenn Sie sehen, dass der Zeuge wirklich überhaupt keine Erinnerungen hat oder wirklich nur herumdreht, dann würden Sie das auch abbrechen?
Genau so ist es. Das kommt auch immer wieder vorher.
Was war denn bis dato ihr spektakulärster Fall?
Einen der spektakulärsten Fälle hat es voriges Jahr im Herbst gegeben. Da hat es innerhalb von neun Tagen sieben sexuelle Übergriffe auf junge Frauen am Bahnhof in Gänserndorf gegeben. Wir haben dann ein unterstützendes Phantombild angefertigt und schon am nächsten Tag ist im Zuge einer Observation eine Person festgestellt worden, die dem Phantombild sehr ähnlich gesehen hat und die Festnahme gelang.
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