Was Richtern Schmerzen wert sind

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Regionale Unterschiede: In Ried im Innkreis bekommt man pro Tag bis zu 400 Euro, in Linz aber nur 300

Ein Jungrind, das sich von der Weide auf die Inntalautobahn verirrt hatte, löste einen katastrophalen Autounfall aus. Ein 25-jähriger Kärntner überschlug sich mit seinem Wagen und erlitt schwere Verletzungen am Schädel sowie an der linken Hand. Im Prozess gegen den Landwirt, der die Weidefläche nicht genügend abgesichert hatte, attestierte der medizinische Sachverständige dem Verletzten sieben Tage starke, 14 Tage mittelstarke und 12 Wochen leichte Schmerzen. Dazu kommen noch weitere 38 Tage leichte seelische Schmerzen als Folge der depressiven Reaktion nach dem Unfall.

Das Landesgericht Innsbruck sprach dem Autofahrer global 25.000 Euro Schmerzensgeld zu. Das war ihm zu wenig. Er verwies auf Vergleichsfälle: 30.000 Euro für eine Verletzung des linken Armes, 40.000 für einen offenen Oberarmbruch. Der Oberste Gerichtshof ließ nicht mit sich feilschen, es müssten stets die besonderen Umstände des Einzelfalles gewürdigt werden. Der hier "eher knapp ausgemittelte" Betrag von 25.000 Euro halte sich "gerade noch im Rahmen" richterlichen Ermessensspielraumes, von einer "eklatanten Fehlbemessung" sei nicht auszugehen.

Wäre der Fall in Linz verhandelt worden und hätte der Richter so entschieden, wie es in diesem Gerichtssprengel durchschnittlich üblich ist, wäre der auf der Inntalautobahn verunglückte Kärntner womöglich mit 17.000 Euro abgespeist worden.

So eklatant sind die regionalen Unterschiede in Österreich bei der Berechnung der Schmerzensgeldbeträge.

Hypochonder

Die Schmerzgrade werden seit 1975 in drei Klassen eingeteilt. Sie gehen auf den legendären Vorstand der einst berühmten Wiener Gerichtsmedizin, Wilhelm Holczabek, zurück: Ein starker Schmerz fesselt den Betroffenen oft ans Bett. Bei einem mittelstarken Schmerz kann sich der Verletzte schon etwas davon distanzieren. Und mit leichten Schmerzen kann man eventuell schon wieder arbeiten gehen. Dieser Schmerzkatalog muss einheitlich sein, erkärt der Senatspräsident beim Obersten Gerichtshof (OGH) und Experte für Schmerzensgeld, Karl-Heinz Danzl, dem KURIER: "Unabhängig davon, ob jemand ein Indianer ist, der alles aushält oder ein Hypochonder."

Die Gerichte multiplizieren die einzelnen Tage mit einem bestimmten Tagessatz. Der (inzwischen pensionierte) Präsident des Landesgerichts Korneuburg, Franz Hartl, gibt eine (im Österreichischen Anwaltsblatt bei Manz veröffentlichte) Tabelle über die Schmerzensgeldsätze heraus, die sich in den Gerichtssprengeln entwickelt haben.

Die Gerichte berechnen einen Tag leichte Schmerzen mit Beträgen zwischen 100 Euro (Linz, Wels), 110 Euro (Wien, Graz, Eisenstadt) und 150 Euro (Innsbruck). Ein Tag mittlere Schmerzen ist zwischen 200 (Linz), 220 (St. Pölten, Klagenfurt) und 260 Euro (Ried im Innkreis) "wert", ein Tag starke Schmerzen zwischen 300 (Linz), 330 (Korneuburg, Salzburg, Leoben) und 400 Euro (wieder Ried/Innkreis).

Die Tabelle von Hartl sei "mit Vorsicht zu genießen", sagt Höchstrichter Danzl. Sie sei keine "Rechenformel", nur eine Berechnungshilfe. In die global zugesprochenen Beträge müssten anderen Parameter miteinbezogen werden, wie der Beruf des Betroffenen, das Freizeitverhalten, der Heilungsverlauf.

Unterschiedliche Beträge in unterschiedlichen Gerichtssprengeln liegen für Danzl im "richterlichen Ermessen": Wenn ein Anwalt meint, eine Bemessung sei krass außerhalb des Rahmens, "dann soll er Berufung an den OGH machen."

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