Warum Mädchen in den Dschihad ziehen
37 Euro für das Zugticket nach Graz, einen Koffer voll mit Kleidung und eine naive Vorstellung vom Kalifat. So wollte Christine K. (Name geändert), 14, aufbrechen – in den Irak, zur Terrorgruppe Islamischer Staat, in ein neues Leben. Staatsschützer holten die Wienerin und ihre Freundin in Graz ab, nachdem die Mutter eines dritten Mädchens Alarm geschlagen hatte.
Christine K. ist nicht gefährlich. Die mutmaßliche Dschihadistin, bringt es ihr Betreuer auf den Punkt, "weiß nicht mal genau, wo der Irak ist". Wie K. von Graz weitergereist wäre, bohrte der Staatsschützer nach. "Darüber hatten wir uns noch keine Gedanken gemacht." Ihre Vorstellungen seien "diffus", sagt der Betreuer, der weder seinen noch den Namen der Einrichtung in der Zeitung lesen will.
Fälle mehren sich
Die Geschichte von Sabina,16, und Samra, 15, liefert vielleicht ein Erklärstück dafür. Am 10. April brachen die Schülerinnen von Wien nach Syrien auf. Sie ließen verzweifelte Eltern und verblüffte Ermittler zurück. Denn es fanden sich in ihrem Umfeld keine Anzeichen für eine Radikalisierung. Beide hatten bereits Freunde, kleideten sich westlich, trugen kein Kopftuch. Einem Gerücht zufolge ist eine der beiden tot. Glaubt man den Einträgen in sozialen Netzwerken, dann sind sie verheiratet, schwanger und leben gottgefällig.
Samra, Sabina, Christine. In dieser Reihe könnte Honorata stehen. Die 16-Jährige konvertierte zum Islam, gilt als verschwunden. Einen Gang nach Syrien schließt die Polizei nicht aus. Die Fälle lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Wer Antworten will, muss nach den individuellen Motiven suchen. "Die Motive sind immer psychisch und sozial begründet. Sie finden sie in dieser Ideologie, die aber einfach durch eine andere austauschbar ist", erklärt Moussa Al-Hassan Diaw vom "Netzwerk sozialer Zusammenhalt". Der Verein ist die einzige Anlaufstelle für radikalisierte Jugendliche und ihre Familien.
"Simplifizierung"
Junge Tschetschenen nahmen sie auf, vermittelten ihr Zugehörigkeit, sie las in einschlägigen Blogs und besuchte Moscheen. Der Psychotherapeut erklärt: "Diese Ideen bieten ihr klare Regeln und Strukturen. Wir haben für Fragen wie etwa nach dem Sinn des Lebens keine einfachen Antworten anzubieten. Für viele Jugendliche ist die Simplifizierung eine große Verlockung."
Der Dschihad bleibt eine Männerdomäne. Auffällig sei laut Diaw, dass "Frauen immer jünger werden". Oft spiele auch ein "Schuss Romantik" mit, das Kennenlernen starker Männer, die für die "rechte Sache" eintreten. Eine Exit-Strategie haben viele nicht. "Was viele nicht bedenken, ist, dass Frauen stärker Opfer werden als Männer", erklärt Diaw. Das beschränkte religiöse Verständnis der Gruppe Islamischer Staat sieht Frauen als "Hausfrauen. Die freie Entscheidung funktioniert vor Ort nicht mehr."
K. lebt einen Widerspruch: Sie pocht gegenüber Betreuern auf ihre Freiheiten, die ihr radikale Gruppen absprechen würden. Und sie ertappt sich öfters bei einem "unislamischen" Verhalten. Zuletzt legte sie im Bus das Kopftuch ab. Es war ihr zu heiß.
Integrationsminister Sebastian Kurz hatte schon vor Kurzem mit einem Plan gegen Dschihadismus aufhorchen lassen. Nun schlägt er vor, im Islamgesetz auch eine einheitliche deutsche Koran-Übersetzung für Österreich zu verankern. Dies sagte er am Samstag im Ö1-"Mittagsjournal". "Offizielle Stelle" dafür solle die Islamische Glaubensgemeinschaftin Österreich (IGGiÖ) sein, führte er aus. Denn auch sie leide unter "teilweisen Fehlinterpretationen" des Koran, die Extremismus fördern könnten.
Die IGGiÖ sei für die Regierung der "wichtigste Partner" in der Bekämpfung von islamistischen Entwicklungen, betonte Kurz weiters - auch wenn er verstehe, dass sie "die Erwartungen nicht zu hoch legen möchte". Zuletzt hatte der Vorsitzende der Glaubensgemeinschaft, Fuat Sanac, ja deren Einfluss auf radikale Strömungen in Österreich als nur begrenzt geschildert.
"Bedeutungsspektrum"
Die IGGIÖ hat den Vorstoß dann auch vorsichtig kommentiert. Es gebe ein "gemeinsames Interesse" gegen den Missbrauch religiöser Texte und Begriffe, sagte Sprecherin Carla Amina Baghajati am Samstag zur APA. Doch es sei kaum möglich, die eine, "richtige" Koran-Übersetzung zu finden. Man führe mit Kurz einen offenen Dialog in "positiver Stimmung" und werde dies daher beim nächsten Treffen mit dem Integrationsminister erörtern, so Baghajati. Es handle sich aber um ein "sehr komplexes Thema", das auch innerhalb der Glaubensgemeinschaft besprochen werden müsse. Komplex nicht zuletzt aus linguistischen Gründen: Im Arabischen hätten Wörter oft ein viel größeres "Bedeutungsspektrum", eine allgemeingültige Übersetzung sei da kaum zu finden.
Wichtig sei es daher, sowohl die Exegese, also die Auslegung der Schriften, als auch den Kontext miteinzubeziehen. Mit der Bibel verhalte es sich ja ähnlich, argumentiert man - seit Jahrhunderten werden theologische wie linguistische Diskussionen über deren Texte geführt. Bedürfnis nach entsprechenden Empfehlungen gebe es aber unter den Gläubigen, berichtete Baghajati. Nicht zuletzt deshalb und weil man des Ministers Wunsch, "hier mehr Transparenz zu schaffen", für "nachvollziehbar" hält, will die IGGiÖ darüber sprechen. "Es muss ein gemeinsames Interesse geben, dass man Extremismus auch dadurch verhindert, dass man dem Missbrauch von islamischen Wörtern, von religiösen Grundsätzen, entgegentritt", hielt Baghajati fest.
"Skurril"
FPÖ und Grüne werfen der Regierung vor, Radikalisierungstendenzen hilflos gegenüber zu stehen. Die Grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun nannte Kurz' Ansinnen in einer Aussendung "skurril", FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache würde dies zu wenig weit gehen. Er forderte "Null Toleranz gegenüber radikal-islamischen Strömungen und Einrichtungen in Österreich". Korun dagegen findet es "grenzenlos naiv", anzunehmen, "dass Hetzer zuerst in einem Gesetz nachschauen, bevor sie ihre menschenverachtende Propaganda starten.
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