Warum die Katalysator-Pflicht Leben rettete
Kaum eine Todesart löst so viel Betroffenheit aus wie der Selbstmord. Das zeigte zuletzt der tragische Tod von Hollywood-Legende Robin Williams. Allein im Jahr 2012 starben in Österreich 1275 Personen durch Suizid. Die gute Nachricht: Seit Jahrzehnten geht die Suizid-Rate kontinuierlich zurück. Und das vor allem in den Städten. Letzteres geht aus einer aktuellen Anfragebeantwortung durch Gesundheitsminister Alois Stöger hervor. Der KURIER sprach mit Nestor Kapusta von der Wiener Uniklinik für Psychoanalyse und -therapie. Er ist Mitautor des ersten österreichischen Suizid-Berichts.
KURIER: Seit 1986 ging die Suizid-Rate in Österreich um rund 40 Prozent zurück. Worauf ist das zurückzuführen?
Nestor Kapusta: Natürlich spielen hier Verbesserungen in der Behandlung von psychischen Erkrankungen wie Depressionen eine Rolle. So hat sich in den vergangenen Jahrzehnten die Versorgungsdichte an Psychiatern und Psychotherapeuten insgesamt deutlich erhöht. Und die Psychiatriereform hat zu einer Entstigmatisierung der Patienten geführt. Seit 1987 gibt es zudem Medienrichtlinien, die zu einer sensibleren Berichterstattung über Suizide geführt haben. Damit sollen Imitationssuizide verhindert werden.
Gibt es weitere Faktoren?
Den ersten Rückgang der Suizid-Raten gab es nach 1987, als bestimmte Schlafmittel vom Markt genommen wurden, die sehr leicht überdosiert werden konnten. Zeitgleich kamen moderne Antidepressiva auf, die ältere, relativ toxische Mittel zunehmend verdrängten. Eine wichtige Rolle spielte auch die Verschärfung des Waffengesetzes Ende der 90er-Jahre. Was weniger bekannt ist: Seit neue Autos verpflichtend einen Katalysator haben müssen, also seit 1988, ist es deutlich schwieriger, sich mit den Abgasen das Leben zu nehmen. Wir beobachten auch da einen Rückgang solcher Suizide.
Warum ist bei Frauen der Rückgang der Suizid-Rate mit 54 Prozent deutlich höher als bei den Männern?
Frauen wählen häufiger Vergiften als Suizid-Methode. Deshalb hat gerade bei ihnen der Wegfall toxischer Arzneien einen positiven Effekt auf die Suizid-Rate gehabt. Frauen nehmen aber auch häufiger professionelle Hilfe in Anspruch. So beträgt der Frauen-Anteil in den meisten psychosozialen Beratungsstellen etwa 70 Prozent. Männer hingegen scheuen sich, wegen derartiger Beschwerden Hilfe zu suchen, auch wenn es zu einer langsamen Angleichung an Frauen kommt. Man könnte Männer besser erreichen, wenn man sie gezielt auf die körperlichen Beschwerden einer Depression – etwa Schlafstörungen oder Erschöpfung – anspricht.
Wirkt sich die Wirtschaftskrise auf die Suizid-Rate aus?
In nahezu allen westlichen Ländern kam es zu einem Anstieg der Suizidrate seit Beginn der Krise. Österreich wird aber von internationalen Forschern als eine Ausnahme hervorgehoben. Wir beobachten keinen Anstieg, sondern bloß eine Verlangsamung des Rückgangs der Suizidrate. Dass Österreich hier relativ gut abschneidet, liegt wohl daran, dass es gelungen ist, die Arbeitslosenrate relativ niedrig zu halten.
Wo gibt es noch Versorgungsmängel in Österreich?
In den 70er-Jahren waren die Suizid-Raten in den ländlichen Regionen niedriger als in der Stadt. Mittlerweile hat sich das umgekehrt. Das hat mit der Abwanderung der Jungen in die Städte zu tun. Die ältere Bevölkerung, die ohnehin ein höheres Suizidrisiko hat, bleibt zurück und wird zunehmend sozial isoliert. Dazu kommt: Die psychiatrische Versorgung am Land ist verbesserungsbedürftig. Hier braucht es Maßnahmen – etwa Gruppenpraxen oder finanzielle Anreize für Mediziner und andere psychosoziale Berufe, die am Land eine Praxis aufsperren. Wir entwickeln soeben im Rahmen des nationalen Suizidpräventionsprogrammes ein Gatekeeper-Trainingspaket, um niedergelassene Kollegen mit einem Leitfaden beim Umgang mit Suizidalität zu unterstützen. Das Wichtigste dabei ist eine Vernetzung mit psychosozialen Angeboten, deren Ausbau gerade in Krisenzeiten vorangetrieben werden sollte. Ein Ziel wäre auch, die Bevölkerung darüber aufzuklären, wo man anrufen kann. Es hilft, mit jemandem darüber zu sprechen, wenn Suizidgedanken auftreten.
Telefonseelsorge (bundesweit), 142, www.telefonseelsorge.at
Rat auf Draht (bundesweit, für Kinder und Jugendliche), 147, www.rataufdraht.orf.at
Vergiftungsinformationszentrale GÖG (bundesweit), 01 / 406 43 43, www.goeg.at/de/VIZ
Sozialpsychiatrischer Notdienst / PSD (Wien), 01 / 313 30, www.psd-wien.at/psd
Krisentelefon (NÖ), 0800 / 20 20 16
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