Der Gauleiter in der arisierten Villa: Brennpunkt einer Familiengeschichte

Der Gauleiter in der arisierten Villa: Brennpunkt einer Familiengeschichte
Die Nazis brachten die jüdische Familie Schindler um Besitz und Heimat. Deren Villa gehört heute der Uni Innsbruck, die nun die Geschichte des Hauses sichtbar macht

Meriel Schindler steht Freitagmittag lächelnd in der Herbstsonne an die Terrassentür einer Villa am Innsbrucker Rennweg gelehnt, die ihr Großvater Hugo Schindler 1927 im englischen Landhausstil errichten ließ. 

In diesem Anwesen verdichtet sich ein Stück Geschichte – jene der jüdischen Familie Schindler, aber auch ein dunkles Kapitel der Historie Tirols und Innsbrucks.

Im Frühjahr 1938 ist der Vater von Meriel Schindler, Kurt Schindler, allein zu Hause, als es klingelt. Der 12-Jährige öffnet die Tür, an der ein großgewachsener Mann in Uniform steht und den Burschen bittet, ihn durch die Villa zu führen. Der tut das nach einigem Zögern auch. Erst später wird er erfahren, dass er Gauleiter Franz Hofer ins Haus gelassen hat.

Gedenktafel enthüllt

Meriel Schindler trägt  diese Episode aus ihrem autobiografischen Buch  „Café Schindler: Meine jüdische Familie, zwei Kriege und die Suche nach Wahrheit“ vor, indem die Londoner Anwältin der Geschichte ihrer Familie nachgespürt hat.

Der Gauleiter in der arisierten Villa: Brennpunkt einer Familiengeschichte

Meriel Schindler vor der von ihrem Großvater erbauten Villa am Rennweg in Innsbruck

Kurz darauf enthüllt sie vor Festaktgästen eine Gedenktafel an der Straße vor dem Haus, das heute im Besitz der Universität Innsbruck steht. Die hat sich dazu entschieden, die Geschichte der „Villa Schindler“ sichtbar zu machen. 

Zu der gehört auch, dass Gauleiter Hofer sich diese nach dem Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland unter den Nagel gerissen hat. Er wohnt bereits mit seiner Familie in dem Haus, als in der Pogromnacht vom 9. November 1938 seine Schergen gezielt Jagd auf jüdische Familien in Innsbruck machen. 

"Sie wollten auch meinen Großvater umbringen"

Vier Mitglieder der relativ kleinen jüdischen Gemeinde in Innsbruck verlieren ihr Leben, zahlreiche weitere werden verletzt. „Meinen Großvater wollten sie auch umbringen“, sagt Meriel Schindler. 

Der Gauleiter in der arisierten Villa: Brennpunkt einer Familiengeschichte

Kurt Schindler, Vater von Meriel, als Kind im Garten vor der Villa

Ein NS-Schlägertrupp überfällt ihn in jener Nacht, die sich am Samstag zum 86. Mal jährt, in seiner Wohnung. Der Unternehmer, dem zuvor schon seine Villa, aber auch sein legendäres Tanzcafé Schindler in der Maria-Theresien-Straße sowie seine Spirituosen- und Marmeladenfabrik abgejagt wurden, wird halb tot geschlagen

Seine Frau Edith und sein Sohn Kurt sind da bereits nach London geflohen, wo in den 1960er-Jahren auch Meriel Schindler geboren wird. Und wo die Buchautorin heute als Anwältin tätig ist. „Wir müssen jeden Tag gegen die Wiederkehr dieser Zeiten kämpfen“, mahnt sie. 

Trotz aufkommendem Antisemitismus optimistisch

Aber wie geht es ihr damit, dass der Antisemitismus wieder in ganz Europa zunimmt? Dass etwa am Vorabend dieser Gedenkveranstaltung in Innsbruck propalästinensische Jugendliche offenbar aktiv Jagd auf israelische Fußballfans in Amsterdam gemacht haben?

„Natürlich ist es unfassbar, dass man noch solche Sachen sieht“, sagt die Britin im KURIER-Gespräch. „Die einzige Möglichkeit, die es gibt, ist mit Bildung dagegen anzukämpfen.“ Die Hoffnung, dass sich die Dinge zum Positiven ändern, will sie nicht aufgeben: „Ich bin immer optimistisch.“

Ihr Großvater hat den Überfall der Nazi-Schläger überlebt, folgte danach seiner Familie ins Exil nach England. Nach dem Krieg ist er einer der wenigen jüdischen Unternehmer, die nach Innsbruck zurückkehren. In einem Restitutionsverfahren gelingt es Hugo Schindler, sein Café zurückzuerhalten, das er wiedereröffnet.

Der Gauleiter in der arisierten Villa: Brennpunkt einer Familiengeschichte

Mondäner Treffpunkt

Das Café Schindler in Innsbruck in den 1930er-Jahren. 1922 eröffnet galt es für Jahre als Hotspot des kulturellen und sozialen Lebens in Innsbruck.

Der Gauleiter in der arisierten Villa: Brennpunkt einer Familiengeschichte

Der Judenhass entlädt sich

Im April 1938 wird das Café mit antisemitischen Parolen beschmiert. Zwei Passantinnen posieren lächelnd.

Auch die Villa, die 1945 zunächst von US-Besatzungstruppen beschlagnahmt und später von ihnen an die französische Militärregierung übergeben wird, geht wieder an die Familie zurück. Hugo Schindler erlebt das allerdings nicht mehr. Er stirbt 1952 an einem Schlaganfall. 

Seine Frau verkauft die Besitztümer in Innsbruck und wandert mit ihrem Sohn endgültig nach England aus. Die Geschichte der Familie bleibt indes für immer mit jener der Landeshauptstadt verwoben.

"Ein stummer Zeuge von Vernichtung und Vertreibung"

„Es war uns ein wichtiges Anliegen, die Vergangenheit dieser Villa öffentlich sichtbar zu machen und an die Geschehnisse von damals zu erinnern“, sagte Veronika Sexl, Rektorin der Universität Innsbruck, die am Freitag die Gedenktafel mit Meriel Schindler gemeinsam enthüllte.

Der Gauleiter in der arisierten Villa: Brennpunkt einer Familiengeschichte

Hugo Schindlers Enkelin Meriel Schindler und Veronika Sexl, Rektorin der Universität Innsbruck, enthüllen die Gedenktafel vor dem Haus

"Wir haben dieses Haus übertragen bekommen und nutzen es für die wissenschaftliche Arbeit. Als stummer Zeuge von Vernichtung und Vertreibung steht es aber auch für ein dunkles Stück Geschichte dieser Stadt", so die Rektorin weiter.

Mehrfacher Besitzwechsel

Im Jahr 1990 hatte die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) die Villa und richtete in ihr das Forschungsinstitut für Biomedizinische Alternsforschung ein. 2002 wurde das Haus generalsaniert, mit umfangreichen Eingriffen in die Fassade und die innere Struktur des Gebäudes. 

2013 übertrug die ÖAW das Institut und die Liegenschaft der Universität Innsbruck.

Kommentare