Anzahl der Hundertjährigen verzehnfacht sich bis 2050
Der demografische Wandel spitzt sich weiter zu: Bis zum Jahr 2050 wird sich die Anzahl der Hundertjährigen weltweit verzehnfachen. 50 Prozent des Geburtsjahrganges 2013 werden wohl ihren hundertsten Geburtstag erleben.
Aktuell gibt es nach Schätzungen der Vereinten Nationen rund 343.000 Hundertjährige weltweit, bis zum Jahr 2050 dürften es mit 3,2 Millionen rund zehnmal so viele sein. Dann wird die Bevölkerung in 64 Ländern der Welt zu einem Drittel aus Senioren bestehen. Das einzige Land der Welt, wo dieses Szenario schon heute Realität ist, ist Japan.
Nach Ansicht der Experten wird Japan auch in Zukunft die Nation mit den meisten 100-Jährigen bleiben: Im Jahr 2050 dürfte dort knapp ein Prozent der Gesamtbevölkerung 100 Jahre oder älter sein. In Österreich, wo derzeit knapp über ein Fünftel der Bevölkerung älter als 60 Jahre alt ist, dürfte dieses Niveau in rund 20 Jahren erreicht sein. In Österreich leben derzeit etwa 1.400 Einwohner, die bereits ihren 100. Geburtstag gefeiert haben. Tendenz stark steigend. "Durchschnittlich jedes zweite Neugeborene in Österreich dürfte seinen 100. Geburtstag erleben", so ein Experte der Allianz-Versicherung.
Noch äußerst gering ist die Zahl der sogenannten "Supercentenarians", also der Menschen, die älter als 110 Jahre sind. Heute werden weltweit lediglich 70 Über-110-jährige Personen aufgeführt. Sieben der weltweit 70 Über-110-Jährigen sind in Italien geboren.
Warnung vor Folgen der Überalterung
Die steigende Überalterung der Bevölkerung hat weitreichende Folgen: So ist eine signifikante Steigerung der Sozialkosten zu erwarten. Bereits 2011 waren die öffentlichen Ausgaben für einen Menschen, der 65 Jahre oder älter ist, etwa sechsmal höher als für eine jungen Menschen. Angesichts der drohenden Überaltung werden Staaten außerdem mehr denn je auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sein.
Erst kürzlich hat die Ratingagentur Fitch vor weiteren Folgen der Überalterung in vielen Industrienationen gewarnt. Ohne "weitreichende Reformen der Pensionssysteme" drohe diesen Ländern "langfristig eine zweite Finanzkrise", heißt es in einer Studie, die Mitte Jänner in Paris veröffentlicht wurde. Österreich zählt diesbezüglich sogar zu den zehn verwundbarsten Ländern der Welt. Dass hierzulande oftmals zu jung in den Ruhestand gewechselt wird, ist für Ältere Privileg und Bumerang zugleich (mehr dazu hier).
Nach Berechnungen der Ratingagentur könnte das durchschnittliche Verhältnis zwischen der öffentlichen Verschuldung und dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) in der EU ohne tiefgreifende Pensionsreformen bis 2020 um fast sieben Prozent ansteigen und bis 2050 um gut 119 Prozent. Für die Eurozone sei bis 2050 mit einem Anstieg um fast 111,5 Prozent zu rechnen. In einigen Staaten drohe das Verhältnis zwischen Schuldenberg und BIP zu "explodieren".
Besonders betroffen sind Japan, Irland und Zypern. Langfristig drohen Luxemburg, Belgien, Malta und Slowenien die schwerwiegendsten Auswirkungen. Für Deutschland rechnet die Agentur trotz der Überalterung der Bevölkerung mit geringeren Folgen für den Staatshaushalt.
Der Österreicher Johann Prader arbeitet seit 25 Jahren beim Internationalen Währungsfonds in Washington und leitet seit November 2012 eine neu geschaffene zentraleuropäische Stimmrechtsgruppe. Darin sind neben Österreich auch die Türkei, die Slowakei, Slowenien, Ungarn, Kosovo, Tschechien und Weißrussland vertreten.
KURIER: Zwischen EU-Ländern und der Türkei ist das Verhältnis gespannt. Warum ist die Türkei in dieser Gruppe auch vertreten?
Johann Prader: Wir vollziehen nur nach, was in der Investmentstrategie der Banken passiert. In deren Portfolio „Zentral- und Osteuropa“ ist die Türkei dabei. Wenn Sie die Bewegung der Wiener Börse anschauen, dann hat noch vor den Erschütterungen 2008 jedes Problem der Türkei auch Wien bewegt.
Wie ist die externe Sicht auf Österreich?
Österreich zählt zu den 25 Ländern, wo der Bankensektor so relevant ist, dass er Auswirkungen auf die Weltfinanzwirtschaft haben kann.
Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugmann hat 2009 vor einer möglichen Pleite Österreichs wegen des Banken-Ostrisikos gewarnt. War das falsch?
Wenn Sie überlegen, was sich auf den Finanzmärkten damals abgespielt hat, war es nichts Neues. Das wurde zu sehr hochgespielt.
Wäre ein Staatsbankrott Österreichs realistisch gewesen?
Nein, aber Möglichkeiten gibt’s immer, wenn man ein bestimmtes Ausmaß an Staatsverschuldung hat und gleichzeitig Garantien für die Banken abgibt, die der Steuerzahler tragen muss.
Ist Osteuropa für Österreich mehr Risiko oder mehr Chance?
Österreich hatte in der Vergangenheit einen ungeheuren Erfolg in der Region. Profit ohne Risiko gibt es aber nicht. Seit 2008 ist das Risiko natürlich gestiegen. Ökonomen und Beamte schauen auf das Risiko, doch Unternehmer leben vom Risiko. Österreich profitiert davon, dass es Leute gibt, die über ihr Land hinausgehen.
Nun hat sich die Situation in Osteuropa wieder stabilisiert.
Ja, aber solange die Eurozone stagniert, so lange besteht ein Risiko für Osteuropa und alle, die dort engagiert sind, weil osteuropäische Länder vom Export nach Westeuropa abhängig sind.
Wobei die meisten dennoch höhere Wachstumsraten aufweisen als „alte“ EU-Länder.
Ja, sicher, weil die Arbeitskosten niedriger sind. Aber es gibt auch ein politisches Risiko, etwa in der Ukraine oder in Ungarn. Dort ist es durch die EU-Mitgliedschaft aber gemildert.
Was muss geschehen, damit die Krise in der Eurozone bewältigt wird? Fürs Erste hat jetzt die EZB die Geldschleusen geöffnet.
Man muss Fortschritte wie bei der europäischen Bankenunion und der fiskalpolitischen Integration weiter ausbauen und darf nicht in Selbstgefälligkeit verfallen.
Der IWF hat vor Kurzem gemeint, man habe die Folgen der harten Spar-Auflagen – dramatisch steigende Arbeitslosigkeit – unterschätzt. War das eine Kurskorrektur?
Kurskorrektor würde ich nicht sagen. Bedenken Sie, dass der IWF eine Institution mit Hauptquartier in den USA ist. Daher sind die wirtschaftspolitischen Ansichten der US-Debatte nicht ohne Auswirkungen auf den IWF.
Waren die Auflagen zu hart für die europäischen Krisenländer?
Das Problem mit Griechenland ist , dass Länder wie Lettland viel höhere Sparanstrengungen gemacht haben. Vor allem vor Wahlen sind nicht einmal Steuern eingehoben worden.
Die Spar-Auflagen waren also nicht zu hart?
Wenn Sie anschauen, was Europa für Griechenland getan hat, nein. Europa hat 120 Milliarden in eine Wirtschaft gesteckt, die nur 180 Milliarden wert ist.
War das ein Fehler?
Würde ich nicht sagen. Hätte man Griechenland aus der Eurozone entfernt, wären die Auswirkungen auf die Finanzmärkte wahrscheinlich größer als die Kosten der Durchfinanzierung.
Zahlen für die Krise jetzt nicht alle Sparer, auch in Österreich? Deren Geld schrumpft durch niedrige Sparzinsen.
Die Frage ist, wie man mit hoher Staatsverschuldung umgeht. Alle reden über die Eurokrise, aber auch die Amerikaner haben ein Schuldenproblem.
Geht der Schulden-Abbau in Österreich rasch genug?
In der Vergangenheit hätte der IWF gesagt, es geht nicht schnell genug. Das hat sich geändert. Der Kurs ist in Ordnung – weil Österreich innerhalb Europas zu den wenigen Ländern zählt, wo nur ein milder Konsolidierungskurs erforderlich ist.
Die Ratingagentur Fitch hat uns aber erst kürzlich attestiert, zu den zehn am meisten gefährdeten Ländern bezüglich hoher Pensionslasten zu zählen.
Es gibt Studien, wonach die Pensions- und Gesundheitskrise auf die G7-Länder vier Mal so große Auswirkungen haben wird wie die Finanzkrise. Die wachsenden Kosten für das Gesundheitswesen werden unterschätzt. Eine Finanzkrise dauert laut Experten rund sieben Jahre. Danach kommt langfristig die Pensionskrise.
Wir sind erst in der Mitte der Finanzkrise und dann folgt die Alterungskrise?
Unter Ökonomen ist das derzeit Standardweisheit.
Und ist diese auch in Österreich angekommen?
Österreich hat sein eigenes Mikroklima. Offensichtlich haben viele Leute für sich den Schluss gezogen, dass es besser ist, früher in Pension zu gehen. Aber jede einzelne Entscheidung verschärft das Problem für alle. Trotz vieler Reformen erhöht sich das Pensionsalter kaum. Historisch betrachtet, hat Österreich Erfahrung mit Pensionskrisen. Es war das erste Land, das in den Zwanzigerjahren ein Stabilisierungsprogramm des Völkerbundes für die Nachfolgestaaten der Monarchie hatte. Das verschärfte sich, weil Österreich der Handel mit Deutschland verboten war.
Also Ja zur Globalisierung?
Zu glauben, dass in Österreich ohne Globalisierung alles besser wäre, ist eine Riesen-Illusion. Zwei Drittel des Bruttoinlandsprodukts hängen von der Exportnachfrage ab. Man muss sich vorstellen, wie arm Österreich wäre, wenn es unter den Bedingungen der Handelssysteme und der geschrumpften Märkte der Zwischenkriegszeit agieren müsste. Leider herrscht nicht nur in Österreich die ganz große Gefahr des zunehmenden Nationalismus und Protektionismus.
Von welchen Ländern könnte man lernen?
Wenn Sie die Erfinder des Wohlfahrtsstaates, die Schweden betrachten, dann haben diese schon in den Achtziger- und Neunzigerjahren große Krisen und Veränderungen durchgemacht.
Und zum Beispiel ihr Pensionssystem verändert.
Ja, Österreich und einige Länder in Kerneuropa sollten die nordischen Länder studieren. Aber das ist schwierig, wenn es allen Leuten so gut geht. Den Sozialstaat anzupassen, wäre hierzulande Sache der Sozialpartnerschaft. Das ist eine Stärke Österreichs.
Erleben wir gerade einen Tanz auf dem Vulkan?
Das Leben ist immer gefährlich (lacht). Die Krise ist noch nicht vorbei. Die Märkte unterschätzen momentan das Risiko, wodurch der Druck auf die Politik sinkt. Die Zeit jetzt muss aber für Reformen genützt werden.
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