True Crime hautnah: Der Fall Jens Söring – Doppelmörder oder Justizopfer?

„Ich bin 1985 durch Wien gekommen, damals war ich in der Oper und habe den Rosenkavalier gesehen“, erzählt Jens Söring ganz beiläufig. Klingt nach der Erinnerung an eine nette Städtereise, doch der damals 19-Jährige war kein normaler Tourist, sondern auf der Flucht.
Am 30. März 1985 waren die Eltern seiner Freundin in ihrem Haus in Virginia mit zahlreichen Messerstichen ermordet worden. Als der Student und die 21-Jährige unter Verdacht geraten, fliehen sie. Wenige Monate später werden die beiden in London festgenommen. 1990 wird der Sohn eines deutschen Diplomaten wegen Doppelmordes in den USA ins Gefängnis geschickt, wo er mehr als 33 Jahre bleibt.
Kommende Woche ist Jens Söring nach 40 Jahren wieder in Österreich. Im Casino Baden schildert der 2019 auf Bewährung entlassene seine Version der unglaublichen Kriminalgeschichte.
Vorgeschichte
Jens Söring, Sohn eines deutschen Diplomaten, kommt mit elf Jahren mit den Eltern in die USA. 1984 beginnt er ein Studium an der Universität von Virginia und eine Beziehung mit der zwei Jahre älteren kanadischen Studentin Elizabeth Haysom
Die Morde
Eine Nachbarin findet am 3. April 1985 die Eltern von Elizabeth Haysom. Nancy und Derek, tot in ihrem Haus in Virginia. Der Mann hatte 36 Stichwunden, seine Frau sechs. Beiden war die Kehle durchtrennt worden. Tatwaffe wurde keine gefunden, dafür zahlreiche Blutspuren, darunter ein Sockenabdruck
Die Flucht
Söring und Elizabeth Haysom sind im Tatzeitraum in Washington. Der Kilometerstand des Mietautos ist aber viel höher als die Strecke. Söring wird am 6. Oktober 1985 vernommen, will aber keine Aussage machen. Wenig später flieht er aus den USA, Haysom folgt wenige Tage später nach Europa
Die Festnahme
Am 30. April 1986 werden die beiden in London bei einer Betrugsmasche ertappt und festgenommen. Bei Vernehmungen legt Söring ein Geständnis ab
Die Auslieferungen
Nach ihrer Auslieferung an Virginia wird Haysom wegen Anstiftung zum Mord zu zweimal 45 Jahren Haft verurteilt. Söring wird 1990 ausgeliefert – unter der Voraussetzung, dass er nicht zum Tode verurteilt wird
Die Prozesse
Der Söring-Prozess findet ab 1990 statt. Er nimmt das Geständnis zurück und erklärt, er habe lediglich seine Freundin vor der Todesstrafe bewahren wollen. Söring wird zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt
Die Inhaftierung
Söring bleibt in den USA bis zum 26. November 2019 in Haft. Er ist damit 33 Jahre, 6 Monate und 27 Tage im Gefängnis. Anträge auf Strafaussetzung werden abgelehnt. Im November 2019 wird Söring auf Bewährung aus der Haft entlassen und nach Deutschland überstellt. Begnadigt wird er nicht. In Deutschland ist Söring ein freier Mann. In die USA darf er nie wieder einreisen. 2021 erscheint sein Buch „Rückkehr ins Leben“, er lebt heute in Hamburg
Noch im Gefängnis beginnt Söring, Bücher zu schreiben. „Nicht schuldig! Wie ich zum Opfer der US-Justiz wurde“ erscheint etwa 2012. 2016 versucht der Dokumentarfilm „Das Versprechen“ den Fall zu rekonstruieren. Seit Söring 2019 frei kam und nach Deutschland abgeschoben wurde, ist er auch immer wieder in Medien präsent. 2021 erscheint sein Buch „Rückkehr ins Leben – Mein erstes Jahr in Freiheit nach 33 Jahren Haft“ und 2023 auch eine Netflix-Serie.
„In der Serie werden bestimmte Dinge meiner Ansicht nach vollkommen falsch dargestellt“, sagt Söring zum KURIER. Viele Menschen hätte dadurch jedoch von seinem Fall erfahren.

Ankunft von Söring im Dezember 2019 am Flughafen Frankfurt
„Ich bin unschuldig“
Seit 2022 hält Söring auch Lesungen und Vorträge. Dort, in Büchern und Medien beteuert er: „Ich verbrachte 12.262 Tage im Gefängnis – für ein Verbrechen, das ich nicht begangen habe.“ Söring wurde nur auf Bewährung entlassen, eine offizielle Unschuldserklärung hat er nicht erhalten. „Das habe ich aber verdient“, betont er. Damit würde ein Justizirrtum nicht nur anerkannt werden, er hätte auch Anrecht auf 1,4 Millionen Dollar Haftentschädigung, meint er.
Der spektakuläre Fall ist nach wie vor rätselhaft – und polarisiert. „Warum sollte ich das alles machen, wenn ich schuldig wäre? Dann wäre ich doch still“, sagt Söring. „Ich laufe nicht weg.“
Besucher erwartet am 6. März im Casino Baden (ccb.at) ein Bühnengespräch mit dem vermeintlichen Doppelmörder. „Alle Fragen sind erlaubt, denn ich habe nichts zu verbergen“, sagt Söring. „Seit Jahren spreche ich offen über meine Sicht der Dinge, da in diesem Fall so viele Aspekte ungeklärt blieben, die unweigerlich Fragen aufwerfen.“
Mitorganisatorin Gabriele Hasmann ist es ein Anliegen, keine Position zu beziehen. „Niemand von uns war vor Ort und kann zu hundert Prozent sagen, was wirklich geschehen ist.“ Man könne sich selbst ein Bild davon machen, was passiert sein könnte, und „einem mutmaßlichen Verbrecher Fragen stellen, was es so noch nie gegeben hat“, sagt die Autorin. „Der Abend wird schaurig, spannend und spektakulär, mit Einblicken in ein furchtbares Verbrechen, einen umstrittenen Prozess und den jahrzehntelangen Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit.“
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