Testlabor Deutschförderklasse: Lehrer bleiben skeptisch
Für bundesweit rund 34.000 „außerordentliche Schüler“ beginnt nach dreiwöchiger Eingewöhnung dieser Tage der Unterricht in einer der zirka 710 Deutschförderklassen. Für Kinder also, die mit dem Semester 2018/19 erstmals in Österreich schulpflichtig sind – und die den Lehrinhalten aufgrund sprachlicher Defizite noch nicht folgen können. Wie die ersten Erfahrungen mit dem umstrittenen Modell aussehen, konnte der KURIER beim Lokalaugenschein in der Wiener Volksschule Zehdengasse feststellen. In der Bundeshauptstadt gibt es mit 361 die meisten Deutschförderklassen. 5643 Schüler werden darin unterrichtet.
Spielerisches Lernen
Elf Kinder mit neun verschiedenen ethnischen Hintergründen holt Lehrerin Verena Harnischfeger Donnerstagfrüh aus ihren angestammten Klassen ab und bringt sie zum Spezialunterricht. Sie steckt den Kleinen bunte Filzblumen an, um ihnen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu vermitteln. Die außerordentlichen Schüler sollen sich nicht ausgestoßen fühlen.
Das Spektrum der Sprachdefizite ist breit. Ein kleiner Bub erzählt uns in gebrochenem Deutsch, dass er sechs Jahre alt sei, ein Mädchen zieht es mangels Vokabular vor, nur einsilbig auf Fragen zu antworten. „Es kommt ganz drauf an, wie der Sprachgebrauch im Elternhaus aussieht“, erklärt Schulleiterin Yvonne Windisch. Wer außerordentlichen Förderbedarf hat, wurde bereits bei der Schuleinschreibung eruiert.
In der Extraklasse ist nun 15 Stunden pro Woche – also drei Stunden pro Tag – spielerisches Lernen angesagt. Die Pädagogin liest aus einem bunten Bilderbuch vor und verwickelt die Kinder mit Hilfe eines Obstkorbs und anderer Gegenstände in einfache Dialoge. Den Schülern scheint es Spaß zu machen, sie zeigen eifrig auf. Danach kehren sie für die restlichen Fächer in ihre Stammklassen zurück.
Wiener Skepsis
Man erfülle zwar nach bestem Wissen und Gewissen den Auftrag der Bundesregierung, überzeugt sei man vom Konzept aber nicht, sagt Windisch.
Denn insbesondere in Halbtagsvolksschulen, wo sich die Kinder pro Woche 20 Stunden aufhalten, sei die Trennung der außerordentlichen Schüler von ihren Klassenkollegen „ein Drama für die Kinder“, befindet die Schulleiterin.
„Wenn ich sie täglich drei Stunden in die Deutschförderklasse hole, sind sie dreiviertel der Zeit nicht in ihrer angestammten Klasse.“ So funktioniere Integration „nicht so gut“.
Vom pädagogischen Standpunkt wäre es besser, die Kinder in ihrer Stammklasse zu belassen, wo sie sich durch die Kommunikation mit ihren deutschsprachigen Mitschülern und unterstützt von Förderlehrern die Sprache frei aneignen könnten, meint Windisch. „In der Deutschförderklasse gibt es dagegen nur den von einer Lehrperson gesteuerten Spracherwerb.“
In Ganztagsvolksschulen (wie etwa jener in der Zehdengasse) käme der negative Effekt der Segregation – also der Trennung von den Klassenkollegen – dagegen nicht so zum Tragen, erklärt Windisch. Verbringen die Schüler inklusive Lernzeiten, Mittagspausen und Freizeit dort doch insgesamt 40 Stunden pro Woche. Drei Stunden in der Deutschförderklasse fallen also weniger ins Gewicht, weil den außerordentlichen Schüler noch fünf Stunden in anderen Fächern in ihren Stammklassen bleiben.
„Versagen des Systems“
Im Unterrichtsministerium beurteilt man die Sache naturgemäß etwas anders. Dort sieht man sich durch die aktuelle Statistik bestätigt. Der prognostizierte Bedarf an Deutschförderklassen sei realistisch gewesen, heißt es – obwohl genaue Zahlen aus den Bundesländern vor dem 1. Oktober noch nicht feststehen.
Minister Heinz Faßmann (ÖVP) berichtet jedenfalls, dass „von den rund 34.000 außerordentlichen Schülern jeder zweite in Österreich aufgewachsen ist“. Die Anzahl sei „also nicht Konsequenz des letzten Migrations-Peaks, sondern ein Versagen des bisherigen politischen Systems“. Man werde daher an der nun eingeschlagenen Strategie weiter festhalten.
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