Anschlagspläne vom Hauptbahnhof: Jugendlicher ist schuldfähig

Anschlagspläne vom Hauptbahnhof: Jugendlicher ist schuldfähig
Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen den 17-Jährigen wegen terroristischer Vereinigung. Er wird als zurechnungsfähig eingestuft.

Der 17-jährige Anhänger der radikal-islamistischen Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS), der eigenen Angaben zufolge am 11. September 2023 am Wiener Hauptbahnhof mit einem Kampfmesser einen Terror-Anschlag verüben wollte und im letzten Moment einen Rückzieher machte, war zum Zeitpunkt zurechnungsfähig und damit schuldfähig. Zu diesem Ergebnis kommt ein im Auftrag der Justiz eingeholtes Gutachten der Kinder- und Jugendpsychologin Julia Wachter.

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Ihrer Expertise zufolge, die der APA, Puls 24 und dem Standard vorliegt, weist der Bursch zwar eine Anpassungsstörung sowie eine kombinierte Entwicklungsstörung auf. Dieses Zustandsbild entspricht dem Gutachten zufolge aber weder einer Geisteskrankheit noch einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder einer anderen schweren, einem diesen Zustand gleichkommenden seelischen Störung, weshalb kein Schuldausschließungsgrund gegeben ist. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft Wien, die gegen den 17-Jährigen wegen terroristischer Vereinigung ermittelt, diesen als zurechnungsfähig behandeln, nach dem Terror-Paragrafen §278b StGB belangen und nach Abschluss der Ermittlungen eine entsprechende Anklage beim Landesgericht für Strafsachen einbringen kann.

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Ungünstige soziale Umstände und Mobbing hätten ihn geprägt

Die Sachverständige hält den Burschen ungeachtet seiner radikalislamistischen Gesinnung derzeit nicht für gefährlich genug, um für den Fall einer Verurteilung seine Unterbringung im Maßnahmenvollzug im Sinn des § 21 Absatz 2 StGB anzuregen. Der 17-Jährige sei durch den frühen Tod seiner Mutter - diese starb, als er sechs Jahre alt war - traumatisiert. Ungünstige soziale Umstände und weitere Belastungsfaktoren, etwa in der Schule erfahrenes Mobbing, hätten ihn geprägt. 

Aus all dem hätte sich "eine ich-schwache, unsichere, suggestible und für negative Einflüsse (wie z.B. extremistische Inhalte) anfällige Persönlichkeit mit geringer Selbstwirksamkeitserwartung und gleichzeitig großem Zugehörigkeitsbedürfnis und dem unrealistisch hohen Wunsch nach Erfolg und Anerkennung" gebildet. Die Voraussetzungen für eine Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum ließen sich "aus klinisch-psychologischer und jugendpsychologischer Sicht" aber nicht begründen, ist dem Gutachten zu entnehmen.

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Die Sachverständige verweist allerdings auf "zahlreiche Risikofaktoren, welche ohne gezielte multiprofessionelle Gegenmaßnahmen die Wahrscheinlichkeit für zukünftige Straftaten (darunter auch Gewalt- oder Sexualstraftaten) erhöhen". Sie empfiehlt daher, den 17-Jährigen nach seiner Enthaftung in einer sozialpädagogischen WG mit intensiver multiprofessionellen Betreuung unterzubringen sowie verpflichtende Bewährungshilfe, Psychotherapie und die Teilnahme an einem Deradikalisierungsprogramm anzuordnen.

Nach Analyse bestätigte sich eine verfestigte Radikalisierung

Nach der Festnahme des Burschen hatte man den Terror-Verdächtigen im Rahmen jugendgerichtlicher Erhebungen als Haftentscheidungshilfe dem so genannten DyRiAS-Verfahren unterzogen. DyRiAS steht für Dynamische Risiko Analyse Systeme, mit dem Radikalisierungsscreener Islamismus lassen sich Anzeichen für sich vollziehende Radikalisierungsprozesse erkennen. Dabei werden 13 relevante Verhaltensbereiche abgefragt, aus denen sich schließen lässt, ob beim jeweiligen Probanden eine gewaltorientierte Radikalisierung im islamistischen Bereich vorliegt oder nicht. Beim 17-Jährigen fiel das Ergebnis eindeutig aus. In sämtlichen 13 Bereichen bestätigte sich eine verfestigte Radikalisierung.

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Der Jugendliche hatte den Wunsch, in ein Kampfgebiet des IS auszureisen

Darüber hinaus waren vier so genannte Rote Flaggen-Faktoren feststellbar: der Jugendliche wollte in einer Gemeinschaft von IS-Anhängern leben und von diesen anerkannt werden und hatte daher den Wunsch, in ein Kampfgebiet des IS auszureisen. Er hatte bereits Zugang zu Waffen und einem extremistischen Umfeld - er verkehrte wöchentlich in einer Moschee im zwölften Wiener Gemeindebezirk, in der Radikalislamisten, darunter seinerzeit auch der Attentäter vom 2. November 2020, ihre Gebete verrichtet und Predigten gehört hatten.

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Zudem war er über Telegram, TikTok und Instagram mit Gleichgesinnten vernetzt und an Gruppenchats mit radikalen Inhalten beteiligt. So hatte er in einem Telegram-Chat mit 19 Islamisten nach einem vorangegangen Streit mit seinem Vater den Anschlag am Hauptbahnhof angekündigt, wobei er dabei - wie er später selbst erklärte - ums Leben kommen und Eingang ins Paradies finden wollte.

Er kaufte sich ein Messer, nachdem er im Waffengeschäft keine Schusswaffe bekam

Letzteres bekräftigte er auch gegenüber der ihn begutachtenden Kinder- und Jugendpsychologin. Er habe als "Märtyrer" sterben und "Ungläubige" töten wollen, um dadurch "ins VIP-Paradies" zu kommen, "im Sinn von ich geb' mein Leben, er (gemeint: Gott, Anm.) mir den Garten". Bei der fachärztlichen Untersuchung merkte der 17-Jährige außerdem an, er sei für das Bauen eines Sprengstoffgürtels oder einer Bombe "zu faul" gewesen, deshalb habe er ein Messer gekauft, nachdem er in einem Wiener Waffengeschäft keine Schusswaffe bekommen hatte. Am Hauptbahnhof habe ihn dann aber "der Mut verlassen". Er habe vorgehabt, "ziellos auf Menschen einzustechen", um von der Polizei erschossen zu werden. Nur Kinder und ältere Menschen hätte er "verschont".

Im Gespräch mit der Gutachterin betonte der 17-Jährige abschließend, er sei inzwischen kein Anhänger der Terror-Miliz "Islamischer Staat" (IS) mehr, sondern "nur ein normaler-gottesfürchtiger Moslem". Auf die Frage der Sachverständigen, ob er gegen irgendjemanden einen Hass verspüre, erwiderte der jugendliche Terror-Verdächtige: "Ungläubige, freche Polizisten und Homosexuelle. Die machen die Menschen irre."

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