Tag des Ehrenamts: Warum Menschen in ihrer Freizeit Straftäter betreuen
Fatih Öztürk ist Jurist, Lucy Stüber betreut Obdachlose. Auf den ersten Blick haben die beiden nicht viel gemeinsam. Das täuscht. Was die beiden Wiener eint, ist ihr Engagement.
In ihrer Freizeit helfen sie Straffälligen dabei, wieder Fuß zu fassen. Öztürk und Stüber sind zwei von insgesamt 981 Ehrenamtlichen, die beim Bewährungshilfe-Verein Neustart arbeiten.
Dass sich Stüber sozial engagieren will, hat sie schon früh erkannt. Sie ist Sozialarbeiterin, hat im Zuge ihrer Ausbildung ein Praktikum in Ruanda gemacht und dort mit Tätern und Opfern des Völkermords gearbeitet. Ein prägendes Erlebnis.
Jetzt betreut die 30-Jährige in ihrer Freizeit straffällig gewordene Jugendliche und junge Erwachsene. Der jüngste ist erst 14 Jahre alt.
„Jeder von uns war schon einmal straffällig, jeder hat irgendetwas Illegales getan“, sagt sie. „Ich verurteile niemanden.“
Heiße Phasen
Aktuell kümmert sie sich um vier männliche Klienten und eine junge Frau. Verurteilt wurden sie wegen Diebstahls, Betrugs oder wegen Suchtmitteln. „Das Schwierigste ist die Anlaufzeit“, sagt sie. Die Leute dazu zu bringen, Termine einzuhalten, Strukturen aufzubauen – und Vertrauen.
Stüber hilft bei der Ausbildung, der Jobsuche, der Wohnungssituation oder beim Kampf gegen die Drogensucht. Das normalerweise unter der Woche. „Aber bei einer heißen Phase mache ich Ausnahmen.“
Rückfälle, sagt sie, empfindet sie nicht als Niederlage. „Dann fangen wir eben wieder von vorne an.“ Doch bei Erfolgen kann sie sich mitfreuen. „Ein Klient von mir hat gerade seinen Führerschein geschafft. Für dich ist das etwas Kleines. Aber für ihn etwas ganz Großes“, schildert sie.
Bis zu drei Jahre begleitet sie die Menschen. „Das lernst du die Leute kennen.“ Das Schönste, sagt sie, ist die Wertschätzung und das Vertrauen. „Und wenn du ein Danke hörst.“
Vorbild
Fatih Öztürk kam als Sohn einer Gastarbeiterfamilie nach Österreich. Da war er zwei Jahre alt. Dass er Jurist geworden ist, war nicht selbstverständlich.
„Aber ich bin angekommen. Mir geht es gut hier. Und auch anderen soll es gut gehen, wir sitzen alle im selben Boot“, erklärt er. Er wolle seinen Beitrag leisten.
46 Prozent
der Österreicher ab 15 Jahren engagieren sich ehrenamtlich. Der Anteil von Männern und Frauen ist ausgeglichen. Doch das Engagement nimmt mit dem Alter zu
Bereiche
Die beliebtesten Bereiche für Freiwillige sind Sport, Katastrophen- und Rettungsdienste, Kunst, Sozial- und Gesundheitsdienste, Umwelt und religiöses Umfeld.
Hauptmotiv
Anderen helfen wollen und einen Beitrag fürs Gemeinwohl leisten.
Auch Öztürk kümmert sich um fünf Klienten. Alle haben Migrationshintergrund. Er will ihnen ein Vorbild sein. „Nach der Haftentlassung sind die Menschen oft allein. Ich sage ihnen: ,Ich bin da, ich will dich unterstützen‘.“
Rund ein Drittel der Bewährungshilfe-Klienten werden bei Neustart von Ehrenamtlichen betreut. Voraussetzung: Ein Mindestalter von 24 Jahren, Unbescholtenheit, psychische Stabilität, Toleranz und Verlässlichkeit.
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