Studie: So gefährlich ist der Stress im Häfen
Als im Frühjahr 2014 einem Justizwachebeamten in der Haftanstalt Stein Verwesungsgeruch aus einer Zelle entgegen wehte und die vollkommene Verwahrlosung eines 74-jährigen Häftlings entdeckt wurde, rückte der Strafvollzug in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Es wurden Schuldige gefunden und drei Beamte suspendiert, die Suche nach Ursachen und eine Debatte über die angespannte Situation der Justizwache blieben jedoch aus.
54 Prozent Fremde
Die Psychotherapeutin und evangelische Theologin Rotraud Perner untersuchte für eine Studie den Stress der Justizwachebeamtenschaft zu einer Zeit, zu der sich die Population der Gefangenen deutlich verändert hat: 54 Prozent der rund 9000 Häftlinge in Österreich sind Ausländer, der überwiegende Anteil davon stammt aus Ländern, die nicht zur EU gehören. Die Studie zeigt auch auf, welche Maßnahmen zur verbesserten Salutogenese (Wechselwirkung der Risiko- und Schutzfaktoren auf den Gesundheitsprozess) erforderlich wären.
Im Mai/Juni 2016 wurden Mitarbeitern aller niederösterreichischen Justizanstalten (81 Prozent davon Justizwachebeamte, der Rest verteilt sich auf Psychologen, Sozialarbeitern, Medizinern) Fragebögen zu Stress- und Belastungsfaktoren übermittelt, dazu wurden auch persönliche Gespräche geführt. Die Ergebnisse können als Querschnitt auf Justizwachebeamte in anderen Bundesländern umgelegt werden. Was auffällt: Männer (74 Prozent) schätzen ihr berufliches Belastungsniveau subjektiv deutlich schlechter ein als weibliche Beamte. Die Frauen fanden die Insassen kooperativer, fühlten sich in der Justizanstalt ausreichender gesichert und von Vorgesetzten wertschätzender behandelt.
Dass im Strafvollzug Kollegen und Vorgesetzte an einem Strang ziehen und die gleichen Ziele verfolgen würden, unterschreiben nur 13,5 Prozent. 58 Prozent sind der Ansicht, der Dienstgeber (Justizminister) fälle seine Entscheidungen oftmals nach politischer Opportunität. Und nur 38,8 Prozent können sich mit seinen Zielen identifizieren. Persönliches Engagement findet offenbar weder bei Kollegen Anerkennung (64,5 Prozent verneinen diese), noch bei Vorgesetzten (54 Prozent verneinen).
Rotraud Perner und die Mitarbeiter an der Studie orten als "roten Faden" im System die Sicherheit. Für die Gesellschaft heiße das, Personen wegzusperren, die ihr Sicherheit nehmen.
Keine Transparenz
Rotraud Perner vermisst eine Analyse der Arbeitsabläufe sowie Transparenz und Kommunikation der Vollzugs- und Therapiepläne unter allen Bediensteten wie auch den Untergebrachten in den Anstalten. Das würde helfen, den "propagierten Willen, bestimmte Menschen im Sinne der Vollzugslockerungen eine Realbewährung zu ermöglichen, erkennbar und motivierend zu machen."
Beklagt wird in der Studie auch die mangelnde medizinische Ausbildung von Wachekommendanten, die etwa bei behaupteten Brustschmerzen von Insassen sofort riskante Entscheidungen treffen müssen. Dazu können sie in der streng geheimen EDV nicht einmal Einsicht in Gesundheitszustand und Behandlung von Insassen nehmen, "was Irreführungen und Täuschungen fördert".
KURIER: Sie haben vergeblich versucht, auch von den Personalvertretern bzw. der Gewerkschaft der Justizwachebeamten eine Stellungnahme für ihr Buch zu bekommen. Warum wurde nicht darauf reagiert?
Rotraud Perner: Erstens haben die Gewerkschafter andere „wichtigere“ Sorgen, zum Beispiel Personalvertretungswahlen. Zweitens wollen sie sich nicht exponieren, also die mögliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber nicht gefährden, positiv formuliert. Negativ formuliert: Zuviel Vorsicht stößt oft hart an die Grenzen von Ignoranz. Und „wahre Männer haben keinen Stress“, da gibt es doch auch so ein Lied von der EAV. Es liegt aber auch an meiner Person: „realitätsferne Fantasien“.
In Ihren Interviews mit Justizwachebeamten kam hervor, dass diese ständig mit körperlichen Attacken rechnen. Auf welchen Erfahrungen beruht das?
Bei den Zellenöffnungen haben sie den Eindruck, dass sich die fremdsprachigen Insassen absprechen und sind daher ständig in Alarmbereitschaft. Daher auch die Kritik an den Volksanwälten, die (im Rahmen von unangemeldeten Kontrollbesuchen durch Kommissionen in Justizanstalten, Anm.) auf Zellenöffnungen bestehen und mit Insassen allein sprechen wollen, aber nicht an die Gefahr von Geiselnahmen denken.
Sie kritisieren im Buch, dass die Gewerkschaft immer nach mehr Personal ruft. Was sollte sie stattdessen fordern?
Mehr Personal ist schon wichtig, vor allem mit Qualifikationen aus den Nachbarberufen (zum Beispiel Sozialarbeit) – es gibt genug Mehrberufler, wie mich. Und dann eine „gescheite“ also multidisziplinäre Supervision, nicht nur Krisen nachbesprechen, sondern eine, die mit Fortbildung gekoppelt ist. Ich mache das seit Jahren, habe aber eben auch alle nötigen Ausbildungen. Da gibt es noch ein Angebot von mir, meine „salutogenen Tankstellen“, das ist mehrfach auf Anonymität gesicherte Online Supervision, Beratung und Coaching innerhalb von 24 Stunden nach Anfrage. Das gab es 2013 bis 2015 für alle Landeslehrerinnen in NÖ, wurde dann aber aus Budgetgründen eingespart.
Überwachen „Überwachen als Beruf – Justizwachdienst&Stress“ von Rotraud A. Perner und Roman A. Perner (Herausgeber) ist im Aaptos Verlag erschienen (12,10 Euro). Die Studie wurde von dem durch Rotraud Perner ins Leben gerufenen Institut für Stressprophylaxe&Salutogenese durchgeführt, das sich jährlich einer vom Land Niederösterreich finanziell unterstützten Erhebung von Stressfaktoren und ihrer Bewältigung bei bestimmten Personengruppen widmet.
Beiträge Ausgewertet wurden die Daten der Studie vom Arbeitspsychologen Michael Benesch. Es gibt auch Beiträge vom Gefängnisseelsorger Markus Fellinger und vom Leiter der Personalabteilung für den Strafvollzug, Franz Higatsberger.
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