Steinalte Schweine, Hufe und anderes Getier
Verbrannte Kakteen und Holzkohle aus lokalen Sträuchern, die Künstler einst mit Schwefel und Kalzium zu Farben gemischt hatten, brachten argentinische Wissenschafter auf die Spur.
Mittels Radiokarbonmethode konnten sie die kolorierten Ritzzeichnungen in der Huenul-Höhle in Patagonien neu datieren. Die ältesten „Kämme“, die – überlagert von jüngeren „Kämmen“, geometrischen Formen, Menschen und Tieren – kaum noch sichtbar waren, stammen demnach aus den Jahren um 6.200 vor Christus. Wie das Team um Guadalupe Romero Villanueva kürzlich in Science Advances schrieb, wurde das entlegene Atelier in unwirtlicher Gegend wohl mehr als 3.000 Jahre lang sporadisch aufgesucht und bemalt. Es ist damit der bisher älteste Nachweis bildnerischen Werkens in Südamerika.
„In Europa gibt es überall, wo der Homo sapiens und offenbar auch der Neandertaler lebten, menschliche Hinterlassenschaften“, sagt Christine Neugebauer-Maresch und verweist auf möglicherweise bis zu 36.000 Jahre alte Stiere, Pferde, Fische und anderes Getier in der französischen Grotte von Lascaux. Die Decken im nordspanischen Altamira zieren seit der Steinzeit vor allem großflächige Bisons, mehrfarbige Hirsche und Wildschweine. Die Expertin für Ur- und Frühgeschichte hat in ihren fünf Jahrzehnten Forschung in Österreich nicht nur spätere Entdeckungen bis ins ferne Australien mitverfolgt, sondern auch den technischen Fortschritt in ihrer Disziplin.
45.500 Jahre alt
Waren in den 1970er-Jahren noch zwanzig Gramm Holzkohle notwendig, um prähistorische Zeugnisse zeitlich einordnen zu können, reicht heute ein Hauch davon für eine verlässlichere Bestimmung. So gilt das Warzenschwein aus Sulawesi, das 2021 aus der Finsternis einer indonesischen Karsthöhle ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde, mit mindestens 45.500 Jahren als derzeit ältestes Tierbild der Welt. Erst ab 60.000 Jahren wird die Berechnung mittels Zerfallsformel ungenau. Neuerdings präzisieren Genanalysen vom Fundort die Datierung organischen Materials.
„Die Darstellungen sind nicht als Kunst der Kunst wegen zu sehen, sie sind Informationsträger“, betont Neugebauer-Maresch. In erster Linie sollte Wissen weitergegeben werden. Das vermuteten auch der Londoner Möbelrestaurator Bennett Bacon und Gelehrte der Universität Cambridge. 2023 interpretierten sie die verschiedenen Kerben, die mit Knochen neben die paläolithischen Tiermotive geritzt worden waren, als Mondkalender. Die Zahl der Punkte bzw. Striche etwa über dem Hirschkopf in Lascaux soll den Monat der Paarung angeben, das Y für den Geburtsmonat des Nachwuchses stehen. Der Code gilt weit über das Tal der Vézère bei Montignac hinaus.
Abbild
In der Namib-Wüste ging es 2023 um Überlieferungen der anderen Art. Hier wurden indigene Fährtenleser zur Deutung steinzeitlicher Spuren zugezogen. Deutsche Forscher nützten die speziellen Fähigkeiten, um die Huf- bzw. Fußabdrücke auf sechs Felswänden auszuwerten. Bei mehr als 90 Prozent der analysierten Bilder – es waren 513 – konnten sie schließlich Spezies, Alter, Geschlecht und Laufrichtung bestimmen. Sie identifizierten verschiedene Arten – von Antilopen über Affen bis hin zur Rotschopftrappe. Zebras kreuzten alle Pfade. Nicht jede Art war in der Region tatsächlich heimisch.
„Man darf von den Darstellungen nur bedingt Rückschlüsse auf die Natur ziehen“, bestätigt Neugebauer-Maresch und gibt ein Beispiel: Während in der letzten Eiszeit vor allem Wildpferde und Rentiere, dazu Wollnashorn, Wolf, Fuchs und Vielfraß über die Steppen Europas zogen, hinterließen die seltenen Mammutherden bleibenderen Eindruck. Sie wurden in den steinernen Gemäldegalerien überproportional oft verewigt. Knochenfunde liefern den Beweis.
Apropos Knochen: „In der Gudenus-Höhle in der Wachau wurde ein rund 14.000 Jahre alter Röhrenknochen eines Adlers gefunden, da ist ein Rentier drauf“, schwenkt Neugebauer-Maresch zu Kleinkunstobjekten aus Österreich. Graffiti-taugliche Höhlenwände sucht man hierzulande nämlich vergebens.
Kommentare