Sommercamp für Geschwister von schwerkranken Kindern

Sommercamp für Geschwister von schwerkranken Kindern
Aus-Zeit: Im Yspertal bekommen die jungen Teilnehmer acht Tage lang viel Aufmerksamkeit – von professionellen Betreuern.
Von Uwe Mauch

Giulio lacht heute ganz entspannt, so wie junge Menschen an einem unbeschwerten Sommersamstagnachmittag gerne lachen. „Das ist die schönste Woche im ganzen Jahr“, eröffnet er. „Ich habe mich schon das ganze Jahr auf diese eine Woche gefreut.“ Dann lacht er nicht mehr, weil Marie ihn schmerzlich daran erinnert: „Morgen müssen wir leider wieder heimfahren, die Woche ist leider wieder viel zu schnell vergangen.“

Die beiden 15-Jährigen sitzen nach dem Mittagessen noch eine Zeit lang unten beim Teich. Sie nehmen mit 17 anderen Kindern an einem außergewöhnlichen Feriencamp teil. Untergebracht sind die 19 Kinder zum wiederholten Mal im wunderbar unaufdringlichen „Landhotel“ in der nö. Gemeinde Yspertal.

Sommercamp für Geschwister von schwerkranken Kindern

Die 19 Campteilnehmer teilen ähnliche Schicksale in ihren Familien. Giulio erzählt offen von seiner Familie in Kärnten: „Wir sind Drillinge daheim. Meine beiden Schwestern haben Augenkrebs.“

Marie, die in der Nähe von Wels lebt, weiß ziemlich genau, was das für die eigene Psyche bedeutet: „Meine Schwester leidet an einem unheilbaren Immundefekt.“

Die Stimmung der Kinder war schon bei ihrer Ankunft hier im „Landhotel“ nicht ganz schlecht. Das hat auch damit zu tun, dass alle Erwachsenen-Augen, auch jene des Hotelpersonals, auf sie gerichtet sind. Die Stimmung wurde dann mit jedem weiteren Tag im Camp noch besser. Auch deshalb, weil sich hier niemand lange erklären muss. Endlich sind da andere Kinder, die ihre Außenseiterstellung verstehen! Weil sie auch Außenseiter sind.

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Sommercamp für Geschwister von schwerkranken Kindern

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Zu Hause ist oft viel Schatten

Zu Hause, in ihren Familien, liegt fast zwangsläufig die meiste Aufmerksamkeit auf ihren schwer kranken Geschwistern. Giulio erklärt: „Das ist absolut verständlich, auf Dauer tut das aber weh.“

Zu Hause können sie sich auch nur wenigen Gleichaltrigen anvertrauen. Marie erzählt: „Ich habe nur wenige echte Freunde, die meine persönlichen Probleme verstehen.“

Zu Hause nagen Schuldgefühle und öfters auch Zweifel an ihrem Selbstwert. Giulio führt dazu aus: „Mir fehlt oft jegliches Selbstvertrauen. Ich hatte sogar Angst, in der Schule ein Referat zu halten.“

Auffallend behutsam versuchen die Erwachsenen, die Kinder hier auf andere Gedanken zu bringen. Die Erwachsenen sind zu acht, was einen tollen Betreuungsschlüssel ergibt. Sie sind ein Team aus acht erfahrenen Profis. Sie kommen aus der Psychologie, der Psychotherapie, der Sozialarbeit und der Erlebnispädagogik.

„Wunderwege“ sollen in der noch relativ intakten Natur am südlichen Ende des Waldviertels in kleiner oder in der Großgruppe beschritten werden. Dazu erläutert die Psychologin Judith Raunig: „Ein Kind glaubt ja zunächst einmal, dass all das Traurige nur ihm selbst widerfährt.“

Mithilfe sehr gezielter psychotherapeutisch-erlebnispädagogischer Interventionen gelingt es schneller, dass die Kinder Vertrauen fassen: zu sich, zu den anderen Kindern, zur Gruppe, zu ihren Betreuern. Zum Beispiel, wenn es ihnen gelingt, sich mit einer Binde vor den Augen an einem Seil entlang durch den Wald zu hanteln.

Hilfreich sei auch der geschützte Rahmen im Camp, betont Marie. „Es gilt für uns alle, dass nichts aus unserer Gruppe nach außen dringen darf.“ Giulio fügt hinzu: „Das macht auch niemand, weil ja auch keiner von uns möchte, dass das jemand anderer macht.“

Sommercamp für Geschwister von schwerkranken Kindern

Und morgen wieder zu Hause

Auf die Heimfahrt freuen sich die wenigsten Kinder. Weil sie wissen, was sie zu Hause erwartet. Einige müssen in ihren Familien schneller erwachsen werden. Alle treten nach der Woche, in der sie klar die Stars waren, wieder in das zweite Glied zurück. Einige fürchten sich auch vor den zum Teil komplizierten Beziehungen in ihren Familien.

„Die Frage, wie es uns geht“, sagt Giulio nachdenklich, „hören wir übers Jahr nicht sehr oft“. Er freut sich jedenfalls heute schon auf ein Wiedersehen – im Sommer 2024.

Trauerwochen: Der  gemeinnützige Verein „Tralalobe“ organisiert auch eigene Trauerwochen für Familien, die ein Kind durch Tod verloren haben.

Geschwistercamps: Das nächste findet von 13. bis 21. Juli 2024 statt.

Anmelden und spenden: Mehr Infos hier. Spendenkonto: AT70 2011 1841 5332 5500.

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