Senioren in Haft: Alte Eisen hinter Gittern

Senioren in Haft: Alte Eisen hinter Gittern
Die Justizanstalt Suben in OÖ hat eine eigene Abteilung für ältere Häftlinge. Die jüngsten sind 60, die ältesten über 80.

Sie büßen ihre Sünden ab: Die Justizanstalt Suben in Oberösterreich befindet sich in einem ehemaligen Kloster. Rund 230 Männer sitzen hier ihre Haftstrafe ab. 25 davon sind über 60 Jahre alt. Denn in Suben gibt es eine eigene Senioren-Abteilung. Eine Besonderheit – für Insassen, Justizwachebeamte und Sozialarbeiter. Die vier Blickwinkel auf die Haftanstalt.

 

Senioren in Haft: Alte Eisen hinter Gittern

Herr B. leitet die Bibliothek. Besonders gefragt sind Reiseberichte

Herr B., Häftling: Der 66-Jährige wurde wegen eines Sexualdeliktes verurteilt. Er arbeitet in der Anstaltsbibliothek. Am beliebtesten, erzählt er, seien Reiseberichte und Atlanten. Aber auch Krimis werden gern gelesen. Der 66-Jährige ist an Krebs erkrankt, hat ein Hüftleiden. Herr B. trägt eine Jogginghose und Badeschlapfen. „Ich bin hier auch der Seniorensprecher. Ich sammle die Anliegen und Beanstandung von allen und bringe die zwei Mal pro Jahr beim Oberst vor. Meistens geht es um die Wäsche oder Sportgeräte. Ich weiß schon, wir sind nicht im Vier-Sterne-Hotel, aber aktuell haben wir eine Anfrage für eine Bastel- und Kochgruppe gestellt. Damit du dir, wenn du rauskommst, wenigstens eine Kleinigkeit selbst machen kannst.“

Was er in Haft gelernt hat: Seine eigene Wäsche zu waschen und das Bett zu überziehen. Das hätte Herr B. vorher nie gemacht.

Seine Familie hält zu ihm. „Die Familie geht mir am meisten ab. Wenn ich die nicht hätte, wäre es wirklich schwer. Ich bin vor drei Jahren in Pension gegangen – und dann bald einmal in die Justizanstalt. Ich habe 47 Jahre gearbeitet, jetzt krieg’ ich keinen Groschen Pension. Das finde ich nicht richtig. Wenn ich heimgehe, komme ich über die Runden. Aber einer, der nichts hat, auch keine Familie, der die Wohnung verliert – der steht vor dem Nichts. So geht es vielen. Hier herinnen haben wir auch Leute mit 80 Jahren. Da schau ich mich ein bissl um. In diesem Alter sollte man nicht mehr eingesperrt sein. Ich vertreibe mir die Zeit mit Karten spielen, tratschen, rätseln und zeichnen. Du musst hier etwas tun, sonst zieht sich der Tag.“

Seniorenvollzug - Alt im Gefängnis

Carmen Hois, leitende Sozialarbeiterin: Wenn es Wünsche gibt, ist sie die erste Ansprechpartnerin. Aber sie kennt auch die Ängste, die speziell die älteren Insassen belasten. Angst vor Verlust, dem Alleinsein oder dem Tod.

„Familie und Verlust sind Themen, die die Senioren stark beschäftigen. Wir haben einmal einen Erste-Hilfe-Kurs mit ihnen gemacht – damit sie selbst handeln können, wenn etwas auf der Zelle passiert. Das war für manche schwierig. Dadurch wurden sie an ihr eigenes Alter erinnert. Oft sind keine Angehörigen mehr da. Dann bin ich hier, um einfach zuzuhören. Aber auch ihre Pensionsansprüche und die Ausgangsplanung sind ihnen ganz wichtig. Und das Wohnen nach der Haft. Die körperlichen Befindlichkeiten spielen bei den Gesprächen immer eine Rolle.“

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Sozialarbeiterin Hois hat viele Aufgaben. Die wichtigste: Zuhören

Hois hebt sich in der Justizanstalt deutlich ab. Die junge Frau trägt Hoodie und Jeans, lacht viel. Sie betreut junge Inhaftierte genauso wie die Senioren. Für die gibt es jeden Freitag eine eigene Sprechstunde.

Die Seniorenabteilung ist entsprechend den Bedürfnissen angepasst. Die Türen sind breiter, die Duschen ebenerdig, Haltegriffe sind montiert. Am Gang stehen Grünpflanzen und Trainingsgeräte. In der gemütlichen Sitzgruppe im Eck spielen die Herren Karten und plaudern. Vorzüge, die in den „normalen“ Abteilungen nicht zu finden sind.

„Die Jüngeren sind manchmal durchaus neidisch auf die Senioren. Auch deshalb, weil es im Seniorenvollzug längere Öffnungszeiten der Hafträume gibt – die Älteren also länger draußen bleiben können.“

 

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Vollzugsleiter Geiselmayr schaut drauf, dass alle beschäftigt sind 

Klaus Geiselmayr, Vollzugsleiter, Justizwache: Der Mann in Uniform ist seit 1996 Justizwache-Beamter, erst in Wels, seit etlichen Jahren schon in Suben. Er führt den KURIER durch einige der 16 Anstaltsbetriebe. Es gibt hier eine Schlosserei, einen Schuster, eine Bäckerei oder eine Buchbinderei. „Auch in den Betrieben gehen wir speziell auf das Alter ein.“ Beschäftigung hinter Gittern ist wichtig, ein Großteil der Senioren hat einen Job. Da kommen sie auch mit den Jungen zusammen. „Das funktioniert recht gut. Man merkt einen größeren Zusammenhalt. Die Gruppen helfen sich gegenseitig.“

Der älteste Insasse ist über 80 Jahre alt. „Aber verwechseln Sie uns nicht mit einer Geriatrie. Die Männer, die hier sind, haben keine Pflegestufe. Wenn der Pflegebedarf zu hoch wird, kommen sie in spezielle Abteilungen in Anstalten oder Krankenhäusern. Oder sie werden haftuntauglich eingestuft.“ Serienstraftäter sind ebenso im Seniorenvollzug wie Pensionisten, die im fortgeschrittenen Alter erstmals verurteilt wurden.

Die Alten seien ruhiger, beschreibt Geiselmayr, zu Übergriffen kommt es nicht. „Aber es kann natürlich passieren, dass sie geistig nicht mehr so fit sind. Dann findet einer eben nicht mehr in seine Abteilung zurück.“ Man versucht, dem entgegenzuwirken. Regelmäßig gibt es für die Senioren Gedächtnistrainings.

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Eintritt erst ab 60: Die Plätze im Seniorenvollzug sind begehrt

Im Jahr 2010 war die Seniorenabteilung in Suben ein Pilotprojekt, 2012 war der offizielle Start, sagt Anstaltsleiter Gerd Katzelberger. „Die Abteilung ist nach und nach immer mehr gewachsen. Unsere Erfahrungen damit sind gut. Und es gibt durchaus noch mehr Bedarf.“ Auch wegen der steigenden Überalterung der Österreicher.

Herr F., Häftling: Der 77-Jährige trägt einen roten Jogginganzug. Der Sport fehlt ihm. Er war lange Jahre Mitglied im Tennisklub.

„Ich war nicht irgendwer. Ich war in der Stadt bekannt. Und jetzt im Februar werden es zwei Jahre, die ich da bin.“ Herr F. verbüßt eine Haftstrafe wegen eines Sexualdelikts.

„Mit 74 bin ich zum ersten Mal in meinem Leben ins Gefängnis gegangen. Die Familie hat das z’rissen. Nur meine Frau, die hält zu mir. Und ein paar Bekannte vom Tennis. Wissen S’, ich habe Tennis gespielt. Aber die meisten von dort wollen nichts mehr mit mir zu tun haben.“

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Herr F., 77, vermisst das Tennisspielen. Sport war ihm immer wichtig

Er hat sich für die Arbeit in der Wäscherei gemeldet, stellt dort die Wäschepakete zusammen. Außerdem ist er Chef des Anstaltsgartens. Angebaut wird auf Hochbeeten – damit es einfacher ist für die älteren Herren. „Radieschen hab’ ich heuer gehabt, Salat, Paprika und Tomaten“, sagt Herr F. Täglich steht er um 6 Uhr Früh auf, rasiert sich, frühstückt. Um 7 Uhr geht’s zur Arbeit, um 11 Uhr gibt es Mittagessen.

Es ist nicht immer einfach, mit den anderen Älteren, sagt Herr F. Etwa, wenn es um das Rauchen geht. Herr F. ist Nichtraucher, wollte Nichtraucher-Zellen. „Aber die Alten sind stur“, sagt er.

Kommenden Mai wird er entlassen. „Dann geh ich heim. Das Leben dann wird ganz anders sein, wenn ich wieder rauskomme. Jetzt krieg’ ich das ja nicht so mit. Aber für meine Frau ist die Situation nicht einfach.“

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