Von außen deutet nichts darauf hin, was hier im Keller passiert. Es ist eines dieser alten Vorstadthäuser, die Eingangstür ist mit Milchglasfolie verklebt.
„Feuer frei!“, sagt ein Mann ein paar Stufen abwärts. Es macht bumm. Der Knall ist ohrenbetäubend – trotz Gehörschutzes. Danach riecht es irgendwie nach Feuerwerk.
Graue Betonwände, dumpfes Licht: Es ist ein ungemütlicher Ort. Und doch entzündet sich hier so mancher Funke der Begeisterung.
„Schnupperschießen“ nennt sich das, was Waffenhändler Markus Schwaiger in seinem Schießkeller am Rande von Wien anbietet. Und das Geschäft mit der Faszination Schusswaffe läuft gut.
Österreich und die Waffen – das ist eine innige Beziehung. Unsere Waffengesetze zählen zu den liberalsten in Europa. Wegen Herstellern wie Steyr Arms und Glock gehören wir zu den größten Waffen-Exportnationen. Und seit einiger Zeit rüsten wir auch privat auf. Gab es vor zehn Jahren knapp 900.000 registrierte Schusswaffen, sind es derzeit rund 1,5 Millionen – ein Anstieg um fast 70 Prozent. Unter den Ländern mit der höchsten Schusswaffendichte pro 100 Einwohner ist Österreich auf Platz 12 – und das weltweit. Woran liegt das?
Vorwand Sportschießen
„Die meisten sagen, sie wollen Sportschützen werden“, sagt Rainer Kastner. Das sei aber ein Vorwand. Er ist Waffenpsychologe beim Kuratorium für Verkehrssicherheit und führt die verpflichtenden psychologischen Gutachten für Waffenbesitzkarten durch. „Die Sportschützenvereine müssten in den letzten Jahren übergegangen sein. Sind sie aber nicht.“ Ein Rundruf bei Vereinen bestätigt: Die Mitgliederzahlen sind seit Jahren stabil.
In Wahrheit, sagt Kastner, gehe es dem Großteil um Selbstschutz. „Das subjektive Wohlbefinden ist verschwunden. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass sich die Menschen aufmagazinieren“, sagt er. Mehr Sicherheit durch Schusswaffen sei jedoch ein Trugschluss. „Man hat die Waffe ja nicht geladen unter dem Kopfpolster liegen, wenn ein Einbrecher kommt. Sie muss sicher verwahrt sein.“ Das erklärt er auch seinen Klienten. Doch die meisten beharren trotzdem darauf.
Die Angst vor dem Rückstoß: "Schnupperschießen" bei Euroguns im 14. Bezirk
Der Trend zu mehr Waffen lässt sich vor allem seit 2015 beobachten, dem Jahr der Flüchtlingskrise und des Terroranschlags in Paris. Obwohl Österreich laut Global Peace Index das drittfriedlichste Land der Welt ist, das politische System stabil und die Kriminalitätsrate verhältnismäßig niedrig ist, sagt das Bauchgefühl etwas anders. Und das schlägt sich auf die Waffenkäufe nieder.
Krisen als Zündstoff
Waffenhändler Markus Schwaiger sitzt an einem Tisch im sogenannten Schulungsraum seines Geschäfts. Vor ihm liegt ein Blatt Papier mit Zickzackkurve. „Bis 2015 hatten wir bei unseren Waffenführerschein-Kursen pro Monat 10 Teilnehmer. Nach Bataclan waren es 180 im Monat.“ In den Schulungen geht es um die sichere Verwahrung von Waffen, sie sind neben dem psychologischen Gutachten Voraussetzung für die Waffenbesitzkarte.
Nächster Spitzenwert war in der Pandemie. Als der erste Lockdown verkündet wurde, seien die Menschen vor seinem Geschäft Schlange gestanden. Bereits um zehn Uhr vormittags habe er den letzten Schuss Munition aus seinem Lager verkauft.
Blickt man auf das Frühjahr 2022, schlägt die Kurve erneut nach oben aus. Russland griff die Ukraine an. Es scheint, als könnte man die Stimmungslage der Welt auf Markus Schwaigers A4-Zettel ablesen.
Es gibt aber noch einen weiteren Grund, warum es immer mehr Waffenbesitzer gibt: Österreichs liberales Waffengesetz. Langwaffen wie Büchsen oder Flinten (Kategorie C) kann man in Österreich – im Gegensatz zu Pistolen oder Revolvern (Kategorie B) – einfach so kaufen. Kein psychologisches Gutachten. Keine Einführung zur richtigen Handhabung. Alles, was man dafür braucht, ist ein Mindestalter von 18 Jahren. Man muss EWR-Bürger sein und drei Tage warten („Abkühlphase“). Das ist in der Europäischen Union ziemlich einzigartig.
Kritik am freien Zugang zu Kategorie-C-Waffen gibt es schon lange. So fordern etwa die Gewaltschutzzentren eine psychologische Begutachtung vor dem Kauf. Denn: „Die Folgen eines Schusses mit einer Schrotflinte können ebenso schwerwiegend sein wie jene eines Schusses mit einer Pistole“, heißt es in ihren Reformvorschlägen. Selbst Waffenhändler Markus Schwaiger hält eine Ausbildung zu Handhabung und eine Einführung ins Waffenrecht für sinnvoll. Es könne nicht sein, dass er einem 17-jährigen Mädchen keinen Pfefferspray, einem 18-Jährigen jedoch eine Schusswaffe verkaufen könne.
Befürworter des liberalen Waffengesetzes halten entgegen: Trotz Zunahme steigt die Zahl der Gewaltdelikte nicht. Laut Innenministerium sind die Straftaten mit Schusswaffen seit 2018 in etwa gleichgeblieben. Außerdem seien die Zahlen teils trügerisch, sagen Befürworter. Aufgrund einer Novellierung des Waffengesetzes mussten alle Flinten, die bis 2019 nicht registrierungspflichtig waren, im Nachhinein erfasst werden. Österreich war also immer schon ein Land vieler Waffen. Aber erst in den vergangenen Jahren schlägt sich das in der Statistik nieder.
Waffenbesitzkarte: Die Urkunde berechtigt zum Erwerb und Besitz (nicht aber zum Bei-Sich-Tragen) von Schusswaffen der Kat. B.
Waffenführerschein: Dieser ist Voraussetzung, um eine Waffenbesitzkarte zu beantragen, und Nachweis über den sicheren Umgang mit einer Waffe.
Verlässlichkeit: Eine psychologische Begutachtung (inkl. positivem Ergebnis) ist ebenfalls Bedingung für die Waffenbesitzkarte.
Waffenpass: Dieser ermöglicht das Bei-Sich-Tragen von Waffen und ist Berufsgruppen vorbehalten, die einer Bedrohung ausgesetzt sind.
21 Jahre ist das Mindestalter für die Waffenbesitzkarte in Österreich.
Anstieg bei Femiziden
Dies bedeute nicht, dass es nicht trotzdem Nachbesserungsbedarf gebe, sagt Agnes Prammer. Die Sicherheitssprecherin der Grünen verweist auf eine aktuelle parlamentarische Anfragebeantwortung. Zwar seien die Gewaltdelikte mit legalen Schusswaffen insgesamt nicht gestiegen, aber der Anteil der Frauen, die mit solchen ermordet worden sind, sehr wohl. „Wir fordern, dass Waffenbesitzer die psychologische Verlässlichkeitsprüfung alle drei bis fünf Jahre wiederholen “, sagt sie.
Und auch die sichere Verwahrung im Tresor solle häufiger überprüft werden. Eine Umfrage des Kuratoriums für Verkehrssicherheit unter Waffenbesitzerinnen und -besitzern ergab nämlich: 20 Prozent legen ihre Schusswaffe in den Kleiderschrank. Und acht Prozent unter den Kopfpolster.
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