Nachkriegsarchitektur: "Schönheit steht nicht im Denkmalschutz"
Geliebt oder gehasst: Wohl kaum eine andere Architekturrichtung polarisiert so sehr wie der Brutalismus. Der vom Wort „béton brut“ (roher Beton) rührende Ausdruck bezeichnet den Einsatz „roher Materialien“. Vor allem die in Sichtbeton-Bauweise errichteten Gebäude der 1950er- bis 1970er-Jahre scheiden die Geister. Jüngstes Beispiel ist das Kulturzentrum Mattersburg, dessen Umbau derzeit ins Finale geht.
1976 war das KUZ vom damaligen (burgenländischen) Kulturminister Fred Sinowatz eröffnet worden, 2014 musste das Haus wegen baulicher Mängel schließen. Neubauen oder abreißen – das war die Frage.
Die internationale Architekturvereinigung Docomomo hatte das Kulturzentrum Mattersburg – als einen von 150 Bauten der Sichtbetonarchitektur weltweit – im deutschen Architekturmuseum Frankfurt gelistet.
Auch die Plattform „Rettet das Kulturzentrum“ machte sich für den Erhalt des Gebäudes stark, Unterschriften wurden gesammelt.
Kompromiss
Unter Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) fand man einen Kompromiss, und das Projekt wurde neu aufgesetzt. Jener Bereich der nicht unter Denkmalschutz steht, wurde abgerissen. Die Außenhülle des geschützten Teiles blieb bestehen. Ein Foyer mit einer lichtdurchfluteten Glasfront soll zum Bindeglied zwischen neuer und alter Bausubstanz fungieren.
Die Fertigstellung des Projekts ist für den Jahreswechsel geplant, der Probebetrieb soll im Frühjahr 2022 starten. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil und Infrastrukturlandesrat Heinrich Dorner (beide SPÖ) besichtigten die Baustelle am Dienstag mit Architekt Michael Ogertschnig von Holodeck architects.
„Uns ist nach etlichen Jahren der Diskussion 2018 ein neuer Anlauf für dieses Projekt gelungen, indem wir auch die Zukunft des Landesarchivs und der Landesbibliothek in die Planung einbezogen haben“, erklärte Doskozil.
Das Kulturzentrum wird auf 4.750 Quadratmetern Wissenschaft, Bildung und Kultur an einem Ort vereinen. Nicht nur die Kulturbetriebe, auch Landesarchiv und -bibliothek sowie Literaturhaus und Volkshochschule werden hier untergebracht. Im Frühjahr 2022 sollen die Arbeiten an dem Objekt, in das das Land 20 Millionen Euro investiert, abgeschlossen sein.
Erhalt des "Torsos gelungen"
Das Ergebnis mit dem Erhalt des „Torsos“ sowie die Betonrestaurierung sei ein sehr gutes, sagt Landeskonservator Peter Adam vom Bundesdenkmalamt (BDA). Auch die Mahagoni-Holzfenster von 1976 wurden im Originalzustand erhalten.
Dass nicht der gesamte Komplex bestehen blieb, ist für Denkmalschützer ein Wermutstropfen. Aber man müsse eben versuchen, alle Interessen so gut als möglich unter einen Hut zu bringen, sagt Adam.
Die Diskussionen rund um die Brutalismus-Bauwerke sind mit dem Um- bzw. Neubau des KUZ Mattersburg aber längst nicht beendet – im Gegenteil. Die Diskussionen rund um das Kulturzentrum waren Auslöser dafür, die Architektur der Nachkriegszeit zu bewerten.
Bewertung nach wissenschaftlichen Kriterien
Seit 2016 setzt sich das BDA verstärkt mit den Gebäuden des Brutalismus in Österreich auseinander und prüft laufend Objekte auf deren Denkmaleigenschaften, sagt Sabine Weigl vom BDA. Etwa 50 Objekte der Nachkriegsmoderne stehen im Burgenland unter Schutz; in Österreich sind es etwa 1.700 Objekte. Ob einem diese Architekturströmung gefällt, oder nicht: „Schönheit ist nicht Thema der Denkmalpflege“, sagt Adam. Zu bewerten seien die Objekte nach wissenschaftlichen Kriterien. Das BDA kann Bauobjekte unter Schutz stellen, wenn sie von „geschichtlicher, künstlerischer oder sonstiger kultureller Bedeutung“ sind und wenn ihre Erhaltung „dieser Bedeutung wegen im öffentlichen Interesse gelegen ist.
Jüngstes Beispiel für ein Gebäude im Brutalismus, das das BDA unter Schutz gestellt hat, ist das Hallenbad Neusiedl am See. Aber auch zwei Leichenhallen und eine Schule im Mittelburgenland wurden als schützenswert beurteilt.
Nicht alle lieben die skurrilen „Beton-Monster“. Nicht alle haben ein Sensorium für den Reiz dieser Architektur. Aber einiges ist erhaltungswürdig, was in den 60er- und 70er-Jahren zwischen Jennersdorf und Neusiedl entstand. Als erstmals Geld für öffentliche Bauten in die Region floss. Während heute Bürgermeister klagen, kein Geld für die Erhaltung dieses zementgebundenen Erbes zu haben.
Wer sich die teils ungeliebten Relikte der Vergangenheit genauer ansieht, kann oft ihre erstaunliche Qualität erkennen. Ein Elementarereignis fürs Bauen in Sichtbeton war etwa die Osterkirche von Günther Domenig und Eilfried Huth, die Friedrich Achleitner den „Donnerschlag von Oberwart“ nannte. Die Ästhetik des unbehandelten Betons polarisiert. Aber für den Denkmalschutz ist Schönheit sowieso kein Kriterium. Ein Denkmal ist ein Zeitzeuge aus Stein und Beton. Es muss weder uralt noch schön sein. Folgerichtig werden weltweit immer mehr dieser Gebäude unter Schutz gestellt (www.SOSBrutalism.org).
Das ist gut und richtig so. Das kommende Neue ist noch lange nicht das Bessere des bestehenden Alten. Oft braucht es Zeit, bis die Verachtung vieler Mitbürger – wie einst schon bei den revolutionären Bauten von Josef Hoffmann oder Adolf Loos – einem besseren Verständnis weicht.
Von Werner Rosenberger
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