Sekten-Expertin: „Viele Menschen finden Halt in esoterischen Gruppen“

Sekten-Expertin: „Viele Menschen finden Halt in esoterischen Gruppen“
Psychologin Ulrike Schiesser über spirituelle Trends, gefährliche Rituale und das Geschäft mit der Sinnsuche.

Seit der Corona-Pandemie hat die Esoterik ein Imageproblem. Zu sehr hatte sie sich damals – zumindest in Teilen – an die Verschwörungsszene angeschmiegt. Was blieb, war der Anschein, im „rechten Eck“ zu stehen.

Schamanen in Österreich hadern seit Kurzem noch aus einem anderen Grund mit ihrem Ruf: der spektakuläre Betrugsfall rund um „Amela“.

Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen spricht im Interview über schwarze Schafe und problematische Spiritualität.

KURIER: Der aktuelle Betrugsfall rückt Schamanen in Österreich in ein schlechtes Licht. Wann ist Vorsicht geboten?

Schiesser: Immer, wenn Angst erzeugt wird. Also wenn der Schamane Katastrophen für die Zukunft prophezeit und sagt, nur er könne den Menschen davor bewahren. Wenn Stillschweigen verlangt wird, denn das soll denjenigen isolieren. Wenn Zeitdruck erzeugt wird. Wenn Kritik nicht zugelassen wird. All das sind Warnzeichen.

Und natürlich, wenn die Schulmedizin abgelehnt wird.

Schiesser: Ja. Schamanen sind in Österreich nicht dazu berechtigt, Diagnosen auszusprechen oder von Behandlungen abzuraten. Das ist den medizinischen Berufen vorbehalten.

Welche Fälle in Bezug auf Schamanismus landen bei Ihnen in der Bundesstelle für Sektenfragen?

Schiesser: Die meisten Probleme gibt es bei Ritualen mit der psychoaktiven Substanz Ayahuasca, die in Südamerika verbreitet sind. Dort gibt es eine Tradition, damit umzugehen, bei uns aber nicht. Denn sie kann Psychosen auslösen. Ich hatte auch einen Fall, wo jemand nicht gewusst hat, dass es sich dabei um ein Halluzinogen handelt und dementsprechend in Panik geraten ist. Manche erwischen auch einfach einen Bad Trip – und die Schamanen, die das anbieten, sind dann überfordert.

Warum wenden sich Menschen überhaupt an esoterische Angebote wie den Schamanismus?

Schiesser: Spiritualität kann Hoffnung und Kraft geben. Viele Menschen finden in den Großkirchen keinen Halt mehr, sondern in Freikirchen und esoterischen Gruppen. Sie vermitteln ein elitäres Gefühl und unterstützen sich gegenseitig. Oft haben sie auf strikte Lebensregeln, aber das ist genau das, was viele Menschen suchen, die sich verloren und einsam fühlen.

Die zahlreichen Krisen unserer Zeit erhöhen den Zulauf.

Schiesser: Wir leben in Zeiten, in denen ständig Ängste geschürt werden. Vor allem auch auf Social Media. Viele sagen, sie würden sich nie an esoterische Angebote wenden. Aber wenn man zum Beispiel in eine gesundheitliche Krise gerät, zu wenig Begleitung im Gesundheitssystem findet, dazu vielleicht noch keinen stabilen Freundeskreis hat, kann jemand wie ein Schamane sehr unterstützend sein. Er hört zu, er liefert vielleicht eine Erklärung für die Erkrankung, er führt Rituale durch.

Inwiefern hat der Schamanismus hierzulande mit dem traditionellen Schamanismus indigener Kulturen zu tun?

Schiesser: Das, was in Österreich angeboten wird, wird dem indigenen Schamanismus in Sibirien oder Südamerika nicht gerecht. Es handelt sich dabei um Neo-Schamanismus, also eine mitteleuropäische Interpretation dessen. Dabei werden viele okkulte Praktiken unter dem Etikett Schamanismus verkauft. Man muss sich das wie einen Containerbegriff vorstellen, in den alles hineingeworfen wird, weil es gut klingt. Häufig soll es Naturverbundenheit vermitteln. Aber wir haben in Österreich keine schamanische Tradition, auch wenn das gerne behauptet wird.

Also gibt es auch in der Esoterik so etwas wie einen Trend zur Regionalität?

Schiesser: Lange Zeit waren fernöstliche Religionen wie der Buddhismus in Mode. Heute findet eine Rückbesinnung auf vermeintlich europäische Traditionen statt. Also statt der Traditionellen Chinesischen Medizin wird Traditionelle Europäische Medizin praktiziert. Statt Yoga das sogenannte Wyda, eine Art Kelten-Yoga. Wir sehen auch einen Trend hin zur braunen Esoterik, bei der es um völkische Ideologien geht und wo man schnell bei einem rechtsextremen Weltbild angelangt.

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