Rechtsstreit um lächerliche zehn Zentimeter

Rechtsstreit um lächerliche zehn Zentimeter
Kann man das Recht, eine Dachrinne auf das Nachbargrundstück ragen zu lassen, ersitzen? Ja, sagt der OGH.

Mit einem kuriosen Nachbarschaftsstreit hatte sich (wieder einmal) der Oberste Gerichtshof (OGH) zu beschäftigen. Diesmal ging es um die Frage: Kann man das Recht, eine Dachrinne auf das Nachbargrundstück ragen zu lassen, ersitzen?

Zur Vorgeschichte: Die Streitparteien sind jeweils Eigentümer zweier benachbarter, bebauter Liegenschaften in Kärnten. Der Kläger hat sein Haus, das in den 1950er-Jahren errichtet worden war, im Jahr 2004 in einer Zwangsversteigerung erstanden. Die hintere Außenmauer seines Hauses verläuft genau an der Grenze zum Nachbargrundstück. Die Dachrinne ragte seit Jahrzehnten in etwa 15 Meter Höhe um zirka 10 Zentimeter über die Grenze in den Garten der Beklagten - was weder von ihr noch von den früheren Eigentümern ihres Grundstücks jemals beanstandet worden war.

Im Luftraum des Nachbarn

Im Zuge eines Umbaus erneuerte der Kläger ab 2009 auch das Dach. Die alte Dachrinne wurde ersetzt, die neue ragt wieder um 10 Zentimeter über die Grundstücksgrenze. Im baubehördlichen Verfahren verlangte die Beklagte, dass der Umbau "ohne Inanspruchnahme ihres Grundstücks zu erfolgen" habe. Diese Auflage wurde dem Kläger bescheidmäßig erteilt und die Entfernung des zu langen Dachrinnenstücks aufgetragen.

In seiner Klage begehrte er die Feststellung und grundbücherliche Einverleibung der sogenannten Dienstbarkeit (Servitut), also des (Nutzungs-)Rechtes, "über dem Luftraum des Nachbargrundstücks eine Regenrinne führen zu dürfen". Seine Argumentation: Bereits die früheren Eigentümer seines Grundstücks hätten das Recht dazu durch Ersitzung erworben, spätestens er selbst aber habe die 30-jährige Ersitzungszeit vollendet.

Das Erstgericht wies die Klage ab. Es vertrat die Ansicht, der Kläger habe durch die Ersteigerung der Liegenschaft originär Eigentum erworben und könne sich die Ersitzungszeit seiner Vorgänger nicht anrechnen. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Ersitzung?

Der Oberste Gerichtshof gab jetzt allerdings der Revision des Klägers Folge (8 Ob 23/14m). Demnach hat er mit der Ersteigerung das Grundstück mit allen "außerbücherlichen, von den Voreigentümern ersessenen offenkundigen Servituten" übernommen. Ist die Ersitzungszeit noch nicht abgelaufen, kann er aber auch die von den früheren Eigentümern begonnene Ersitzung fortsetzen.

Ob die dreißigjährige Ersitzungsfrist bereits abgelaufen ist, konnte der OGH nicht beurteilen, weil aus den erstgerichtlichen Feststellungen nicht eindeutig hervorgeht, seit wann der strittige Dachrinnenüberhang tatsächlich bestanden hat. Das Höchstgericht hat daher die Urteile der Vorinstanzen aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückgewiesen.

Kommentare