Rechtsanwältin Astrid Wagner: "Einem Mörder sieht man es nicht an"
Astrid Wagner ist die bekannteste Rechtsanwältin des Landes. Sie vertritt Inzest-Vater Josef Fritzl genauso wie die Mutter des im Käfig eingesperrten Buben. Wagner polarisiert – was sie amüsiert zur Kenntnis nimmt.
KURIER: Frau Dr. Wagner, zuletzt haben Sie eine Anzeige wegen Verhetzung auf einer Pro-Palästina-Demo bekommen. Warum treten Sie bei solchen Veranstaltungen auf?
Wagner: Ich wurde gebeten, Urteile („From the river to the sea“; Anm.) zu erläutern. Diese Aussage ist nicht per se verboten, nur wenn damit zur Gewalt aufgerufen wird.
Nach dem 7. Oktober (Angriff der Hamas auf Israel, Anm.) hat das aber einen besonderen Beigeschmack.
Ich bin ein Mensch, der Gewalt ablehnt. Aber dieser Spruch wird von Zionisten instrumentalisiert. Ich verstehe darunter, dass damit ein friedliches Palästina gemeint ist, in dem alle Ethnien leben. Beim Verlassen der Veranstaltung sind mir fünf bis an die Zähne bewaffnete Polizisten gefolgt, die meinen Ausweis gefordert haben. Ich habe eine Anzeige wegen Amtsmissbrauchs gemacht.
Wie ordnen Sie den 7. Oktober ein?
Das war ein furchtbar schrecklicher Massenmord. Wer es toll findet, wenn junge Frauen vergewaltigt und Menschen umgebracht werden – der hat ein Problem. Aber ich sehe das auch in einem historischen Kontext. Menschen sind nicht per se böse geboren, schon gar nicht ganze Völker. Die Geschichte beginnt nicht am 7. Oktober.
Ist die Hamas für Sie eine Terrororganisation?
Sie steht auf der Terrorliste. Wobei: Man weiß aus der Geschichte, dass ursprüngliche Terrororganisationen zu Befreiungsorganisationen wurden. Ich bin dafür, Politik und Religion zu trennen. Das führt sonst unweigerlich zu Intoleranz. Es gibt nicht nur eine wahre Religion. Schon gar nicht den Islam. Das ist ganz gefährlich.
Sie haben selbst ein Bild mit Kopftuch gepostet.
Das ist genau der Punkt – Kopftuch ist nicht gleich Islam. Ich bin ein Freigeist und dagegen, dass man Kleidungsstile vereinnahmt. Ich bin eine freie, selbstbewusste Frau. Und wenn ich ein Kopftuch aufsetze – das ist mein Kopf. Dann drücke ich zum Beispiel aus, dass mir die Farbe gefällt, oder ich habe einen Bad Hair Day. Aber damit bin ich kein Moslem, oder? Ich bin nicht einordenbar. Ich gehe genauso oben ohne.
Lebenslauf: Die 61-jährige Astrid Wagner wurde in Fürstenfeld in der Steiermark geboren. Der Vater war Hotelier, die Mutter Hausfrau. Aufgewachsen ist Wagner unter anderem in Paris.
Werdegang: Wagner studierte Rechtswissenschaften in Graz. Zudem machte sie eine Dolmetscherausbildung für Französisch und Italienisch. Von 1992 bis 1997 war sie als Juristin für die Mietervereinigung tätig. Seit 2001 ist Wagner als Rechtsanwältin in Wien tätig. Zudem schreibt sie Bücher über div. Kriminalfälle – unter anderem über Jack Unterweger und Josef Fritzl. Wagner, selbst Katzenhalterin, engagiert sich außerdem im Tierschutz.
Sie haben sehr viele böse Kommentare bekommen.
Aber auch gute. Die Welt ist nicht so einfach. Wenn man das weiterspinnt: Das Dirndl bei uns hat eine Schürze. Das könnte bedeuten: Frauen an den Herd. Kann man genauso sehen. Warum muss ich meinen kleinen, süßen Busen unbedingt bedecken? Das ist frauenfeindlich. Wenn ich mir im Bad anschaue, was für Männer da oft daherkommen ...
Wollen Sie mit solchen Bildern provozieren?
Nein, das sind keine geplanten Aktionen. Das ist spontan. Aber ein bissl ist schon die Message dahinter: Jeder wie er will. Ich empfinde den menschlichen Körper als etwas Schönes. Wir leben in einer Zeit der neuen Prüderie. Was am nackten Körper anstößig sein soll, ist mir unverständlich. Ich denke bei nackten Menschen nicht gleich an Sex. Da ist der islamische Kulturgeist leider ein Negativbeispiel. Ein nackter Knöchel, und da rasten die schon aus.
Gibt es Aussagen, die Sie im Nachhinein bereuen?
Da fällt mir nichts ein.
Sie haben Josef Fritzl als lieben, alten Mann bezeichnet.
Er kommt so rüber. Die Medien stellen das verkürzt dar. Aber ich kann nicht sagen, der Fritzl ist ein übel riechendes Monster mit Warzen. Er ist, muss man sagen, sehr charmant. Das erklärt auch, dass er so lange unerkannt sein konnte. Er wirkt tatsächlich wie ein freundlicher, alter Opa.
Geht sich das aus mit seiner Geschichte?
Ja natürlich. Einem Mörder sieht man es nicht an. Fritzl hatte sicher eine schreckliche, düstere, grauenhafte Seite in sich. Wobei ich der Meinung bin, dass er die nicht mehr hat.
Würden Sie das auch seiner Tochter sagen?
Wenn sie fragen würde, schon. Er ist auch im Gefängnis beliebt. Ich wurde einmal von einem englischen Medium gefragt, was ich sagen würde, wenn Fritzl mein Nachbar wäre. Ich habe gesagt, dass er ein sehr netter Nachbar wäre. Da waren die total fertig. Aber der mit seinem Rollator kann nichts mehr anrichten.
Sie wurden dafür auch beschimpft. Wie gehen Sie damit um?
Ich lese das nicht alles. Ich habe ein reines Gewissen. Ich vertrete einen 89-jährigen Mann, der Gnade verdient hat. Diejenigen, die sich aufpudeln, sind Pseudoempörte, die ihr Ego erhöhen wollen. Beim Fritzl darf jeder ungestraft hinspucken. Den Shitstorm nehme ich in Kauf. Ich habe schon in der Schule gerne provoziert. Ich finde es amüsant, wenn sich die Leute aufregen, das gebe ich zu.
Gibt es Fälle, die Sie ablehnen?
Ich sage niemals nie.
Empfinden Sie manchmal Abscheu?
Nein. Aber man ist nicht gefühllos. Manches geht mir nahe.
Ihr Name wird auch mit Prostituiertenmörder Jack Unterweger in Verbindung gebracht. Sie waren in ihn verliebt. Stört Sie das nicht?
Mittlerweile verbindet man mich eher mit Fritzl. Aber nein, es stört mich nicht. Es ist Bestandteil der Geschichte. (Wagner hat u. a. ein Buch darüber geschrieben, Anm.)
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