Psychiater Haller über Brandstifter: „Schrei nach Aufmerksamkeit“
Nach dem fünften Brand binnen einer Woche in der Donaustadt ist der Brandstifter weiter unbekannt. Psychiater Reinhard Haller sprach im KURIER über den Fall
Wieder rissen Flammen die Bewohner des Gemeindebaus am Rennbahnweg in der Nacht auf Dienstag aus dem Schlaf. Diesmal breitete sich der Brand aber nicht – wie schon viermal zuvor – in den Kellern aus. Das Feuer beschränkte sich auf einen Müllraum. Die Polizei will deshalb auch nicht von einer neuerlichen Brandstiftung sprechen.
Etwas anders sieht dies der renommierte Psychiater Reinhard Haller. Er blickt seit 40 Jahren in die Seelen der größten österreichischen Verbrecher. Im KURIER-Gespräch analysiert er, was Feuerteufel antreibt.
KURIER:Wie schätzen Sie den aktuellen Fall ein? Bewohner verdächtigen Jugendliche.
Reinhard Haller: Brandstifter lassen sich grob unterteilen. Jene mit kriminologischem Hintergrund und jene mit psychischer Störung. Der Großteil fällt in die erste Kategorie, es geht um Versicherungsbetrug oder Rache. Außerdem gibt es Bubenstreiche, das sind aber selten Serientäter.
Also keine Jugendbande?
Ich stelle keine Ferndiagnosen, aber die Erfahrung zeigt: Hinter Serien stecken oft pyromanisch veranlagte Menschen (pathologische Brandstifter, die die Tat befriedigt, Anm.). Es handelt sich primär um Einzeltäter.
Gibt es denn den typischen Pyromanen?
Er ist mehrheitlich männlich und ein Mensch in emotionaler Not. Das Feuer ist – wenn auch unbewusst – ein Symbol für Aggressivität, Leidenschaft, emotionale Wärme und sogar Liebe. Gleichzeitig sind die Flammen ein Schrei nach Aufmerksamkeit und eine Form des Protests. Viele Täter zeichnen sich durch eine unreife Persönlichkeit aus. Dazu gesellt sich Einsamkeit sowie häufig Substanzeinfluss, der zusätzlich enthemmt.
Warum bleiben Pyromanen anonym, wenn es ihnen um Aufmerksamkeit geht?
Wir reden hier von unbewussten Motiven. Einem Selbstwertmangel in irgendeiner Form und eine unbewusste Beziehung zum Feuer. Durch das Feuerlegen rücken sich diese Personen in den Mittelpunkt. Das gibt ihnen eine narzisstische Befriedigung, einen stillen Triumph.
Triumph – inwiefern?
Jeder sucht den „Feuerteufel“, aber nur die Täter kennen ihn. Sie sind – zumindest fühlt es sich für sie so an – schlauer, als es die Polizei erlaubt. Genau das wird ihnen in der Regel zum Verhängnis.
Stimmt es, dass es sich bei Pyromanen häufig um Feuerwehrleute handelt?
Da muss man vorsichtig sein. Die Feuerwehr achtet in der Ausbildung darauf, das frühzeitig zu erkennen. Ein Generalverdacht wäre falsch. Die Statistik zeigt jedoch, dass ein durchaus erheblicher Teil der Brandstifter bei der Feuerwehr ist. Der Beruf befriedigt in solchen Fällen den pyromanischen Impuls. Es ist aber nicht so, dass der Job diese Menschen zu Brandstiftern macht.
Im Gemeindebau brannten viermal die Keller, jetzt ein Müllraum. Ein Nachahmer?
Jedes Verbrechen hat das Potenzial für Trittbrettfahrer. Ohne Details zu kennen, würde ich aber nicht unbedingt von einem neuen Täter ausgehen. In Städten sind meistens Keller oder Mistkübel das Ziel. Dass es diesmal ein Müllraum war, muss nicht heißen, dass es wer anderer war.
Spielt die Berichterstattung für Nachahmer eine Rolle?
Definitiv. Es ist wichtig, dass sachlich berichtet wird. Es handelt sich um Menschen, die Hilfe brauchen.
Wird Feuerlegen zur Sucht?
Pyromanie ist eine Störung der Impulskontrolle, ähnlich wie Kaufsucht. Es kann dabei durchaus eine Art Rauschzustand entstehen.
Ja. Auf der einen Seite fühlt sich der Täter von der Gesellschaft ausgeschlossen, auf der anderen ist er derjenige, vor dem sie sich fürchtet.
Nimmt der Brandstifter in der Donaustadt in Kauf, dass Menschen verletzt werden?
Das ist eine kriminalistische bzw. juristische Frage. Generell gilt: Je weniger empathisch jemand ist, desto eher akzeptiert er menschlichen Schaden. Dahingehend sind diese Kellerbrände schon etwas Besonderes. Man weiß ja nie, wie sich das Feuer entwickelt.
Könnte es sich bei dem Pyromanen um einen Gemeindebaubewohner handeln?
Geht man davon aus, dass 0,3 bis 0,4 Prozent der Bevölkerung pyromanisch veranlagt sind und in dem Bau 8.000 Menschen leben, so scheint das nicht unwahrscheinlich.
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