Prostituierte: Zwang, Armut, Freiwilligkeit
Zumeist nennt sie sich Romana, hin und wieder auch Karin. Eine Frau, 29, die ihren Job, die Sexarbeit, als etwas Selbstverständliches ansieht. Jederzeit könne sie in ihren alten Beruf zurück, erzählt sie in Interviews. Sie redet, wenn auch anonym, mit Journalisten – und erzeugt mit ihnen ein Zerrbild. Denn repräsentativ ist sie für Österreichs Szene nicht: Sie gehört einer überschaubaren Anzahl an betont selbstbestimmten Frauen an, die abseits ökonomischen Zwangs arbeiten.
In der Mitte des Spektrums liegt die große Masse: Armutsprostituierte. Seit der EU-Osterweiterung sind es Rumäninnen, Bulgarinnen oder Ungarinnen, die vor der Armut in ihrer Heimat „fliehen“.
Die luxussüchtige Hure im Nerz ist ein Mythos: Die Frauen verdienen Geld, für sich, ihre Kinder, Eltern. Was unterscheidet sie von Zwangsprostituierten? Sie können sich für oder gegen die Tätigkeit entscheiden, wenn auch der Spielraum schmal ist.
Alltag von Gewalt bestimmt
Die Grenze zu Zwangsprostituierten, die diese Wahl nicht haben, ist fließend. Wie viele es gibt, ist unklar. Ihr Alltag wird von Gewalt bestimmt, ihre Peiniger sind Menschenhändler, die sie mit falschen Versprechungen in den goldenen Westen locken.
Schätzungen zufolge gibt es in Österreich 10.000 legale und illegale Prostituierte. Alleine in Wien sind 3400 gemeldet, 1700 gehen dem Geschäft nach. Straßenprostitution ist in Wien in Wohngebieten verboten – und ein Randphänomen: Bis zu 150 Frauen schaffen auf Wiens Straßen an.
Völlig liberalisiert ist das Gewerbe nicht: Eine Meldung und Gesundheitschecks sind verpflichtend. Seit dem Vorjahr ist es nicht mehr sittenwidrig.
Lange Zeit war der Freier unsichtbar. Alle redeten über die Prostituierten, niemand über die Kunden. Den typischen Freier gibt es nicht: Er ist Student, Pensionist, Familienvater, Arbeiter oder Manager, ledig oder verheiratet – ein Querschnitt aus allen Schichten. Er ist erstens scheu: Er schlendert umher, kopuliert, bezahlt, und ist weg. Interviews – niemals. Und es gibt ihn in einer großen Anzahl: Angenommen, dass jede (legale und illegale) Prostituierte einen Kunden täglich hat, sind es in Österreich 10.000 Männer pro Tag.
Das Prostitutionsverbot in Schweden brachte ein Umdenken: Dort werden Freier, nicht Frauen bestraft. Das Modell scheint Schule zu machen. In Frankreich mobilisiert eine Bewegung prominenter Männer gegen ein „Verbot von käuflichem Sex“ . „Hände weg von meiner Hure“, heißt ihr Slogan.
Der Kunde bestimmt mit seiner Nachfrage den Markt, feilscht, bezahlt Dumping-Preise. Bernd Ullrich, stv. Chefredakteur der Die Zeit, ätzte in einem Kommentar, wie selbstverständlich der Kauf von Frauen sei, und wie gewissenlos die Käufer. Wobei der Freier nicht „für den Sex, sondern die Abwesenheit der Frau bezahlt“, schreibt Ullrich.
Adressaten von Aufklärungskampagnen sind sie nirgends. Angelehnt an den Pariser Männerbund böte sich an: „Mir es nicht egal, wie es meiner Hure geht.“ Eine Light-Version der Freierbestrafung gibt es in Wien: Straßenprostitution ist im Wohngebiet verboten. Bahnt ein Mann an, wird er bestraft. Im Vorjahr waren es rund 170.
Corinna Milborn ist Journalistin und Co-Autorin von „Ware Frau“ (Ecowin, 19,95 €). Sie sagt: „Prostitution ist geprägt von Ausbeutung, Abwertung von Frauen, Gewalt und Menschenhandel.“ Was tun? Legalisierung und Gleichstellung mit anderen Berufen wie in Deutschland habe für die Sicherheit der Frauen nur wenig gebracht. Andererseits: „Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der man an jeder Ecke für 20, 30 Euro einen Frauenkörper benutzen darf? Dieses Ziel stand für den schwedischen Gesetzgeber im Vordergrund. Eine Gesellschaft zu bauen, in der das nicht mehr normal ist. Ein schönes Ziel.“
Der Bogen an Etablissements ist breit: Ein Hort des Profits sind Laufhäuser, die etwa in Wien boomen. Dahinter stecken keine Strizzis, sondern oft potente Geldgeber. Kleine Bordelle sind in Wien in der Überzahl. Reich werden ihre Besitzer selten.
Das Laufhausmodell ist auch umstritten: Prostituierte mieten sich – oft monatsweise – ein, berappen 80 Euro täglich(!). Das schafft für die Frauen den Zwang, den Betrag verdienen zu müssen.
Die Gesetzgebung ist in Österreich Ländersache. In Wien waren Bordelle bis zur Novelle des Prostitutionsgesetzes im November 2011 eine uneinsichtige Black Box. Das neues Gesetz änderte dies radikal: Lokale brauchen eine Genehmigung, die nur nach einer strengen Prüfung erteilt wird. Brandschutz, ein separater Straßenzugang, Alarmknöpfe neben den Betten – die Liste ist lang. Prostitution in Wohnungen ist illegal, weil sie keine Tür zur Straße haben.
Zweitens müssen Betreiber „zuverlässig“ sein, dürfen also nicht einschlägig vorbestraft sein (etwa wegen Menschenhandels). Strizzis sind rar, die einst mächtigen Gürtelbosse ausgestorben. Von den einst 450 Wiener Etablissements sind derzeit 238 genehmigt, 56 Verfahren laufen. Die übrigen sperrten zu. Polizisten haben, anders als in Deutschland, immer Zutritt.
Die Rolle von Vater Staat ist in Sachen Infrastruktur umstritten: Versucht er, Frauen die Sexarbeit zu erleichtern – etwa durch Boxen wie am Zürcher Strich –, gerät er in Verruf, das Gewerbe zu fördern. Tut er es nicht, setzt er sich dem Vorwurf aus, die Frauen sich selbst zu überlassen. Das kann in der Weigerung gipfeln, am ehemaligen Strich beim Prater ein Mobil-Klo aufzustellen.
Manfred Ainedter, Staranwalt: „Verbot Schwachsinn“
Nicht umsonst gilt doch Prostitution als „ältestes Gewerbe der Welt“. Und warum? Weil es sich über Jahrtausende bewährt hat. Natürlich spielen da der Menschenhandel und die brutale Ausbeutung der Frau mit hinein – aber grundsätzlich ist das, bitteschön, ein ganz anderes Thema. Ein Verbot wäre meiner Meinung nach totaler Schwachsinn. Damit würde die Prostitution ja keineswegs abgeschafft, die Prostituierten würden nur in die Illegalität abdriften. Dazu kommt noch die bedenkliche gesundheitliche Gefährdung, wenn behördliche Untersuchungen wegfallen. Das soziale Phänomen käuflicher „Liebe“ erfüllt eine Blitzableiter-Funktion. Es dient dem männlichen Aggressionsabbau. Das mag kulturpessimistisch klingen, aber es ist klüger, die Prostitution zu erlauben als an die männliche Sozialisation zu glauben.
Christine Schubert, Schauspielerin: „Stoppt Versklavung!“
(u. a. als die legendäre Wiener Vorstadtdirne der „Mutzenbacher“-Verfilmungen 1969/’70) Meine Haltung dazu? Dieser Staat kennt sich ja nicht einmal beim Budgetloch aus – wie will er denn da über die Prostitution „befinden“? Wo beginnt sie, wo endet sie? Früher haben sich die Reichen und der Adel ihre Mätresserln in den Jagdschlössern gehalten, seit jeher kennen wir die „Versorgungsprostitution“ namens Ehe, für die es im Wienerischen den Begriff „Schnitzelhur’“ gibt. Ich finde es ehrenvoll, wenn sich Prominente gegen die brutalen Begleiterscheinungen der Prostitution einsetzen – aber es würde schon genügen, wenn man endlich einmal bestehende Gesetze einhält oder rigoros durchsetzt. Menschenhandel und Sklavenhaltung, körperliche und seelische Gewalt – das sind die wahren Feindbilder jeder Gesellschaft.
Dietrich Siegl, Schauspieler: „Verboteritis nervt“
Renée Schroeder, Molekularbiologin: „Geht Staat nichts an“
Ich bin gegen ein Verbot der Prostitution, solange diese auf Augenhöhe stattfindet, wenn es ein Deal ist zwischen einem Mann und einer Frau. Das gilt übrigens für beide Seiten, auch Männer prostituieren sich, worüber man selten spricht. Die Sexualität zwischen zwei Menschen geht den Staat nichts an. Viele Ehen sind auch nichts anderes als ein Geschäft. Das wahre Problem ist der Menschenhandel mit Frauen und Kindern.
KURIER: Frau Schwarzer, Prostitution gilt als das älteste Gewerbe der Welt und war nie ein sauberes Geschäft, wo Frauen menschenwürdig behandelt wurden. Warum fordern Sie erst jetzt die Abschaffung? Und ist es nicht naiv, zu glauben, dass man dieses Gewerbe überhaupt abschaffen kann?
Alice Schwarzer: Noch älter ist wohl die Sklaverei. Und auch deren Abschaffung galt bis vor gar nicht so langer Zeit noch als utopisch. Heute gibt es auf der Welt zwar immer noch Sklaverei – aber kein aufgeklärter Staat würde sie verharmlosen, dulden oder gar propagieren. Doch genau das macht Deutschland im 21. Jahrhundert mit der Prostitution. Und in Österreich sieht es auch nicht viel besser aus.
Verhindert die Prostitution nicht auch viele Gewalttaten oder sexuelle Übergriffe auf Frauen im Alltag? Haben Sie keine Angst, sollte Ihr Projekt wirklich erfolgreich sein, dass die Zahl der Vergewaltigungen wieder ansteigt? Ist es da nicht besser, die Prostitution bleibt ...
Die meisten Kunden von Prostituierten sind nicht Männer, die keine Frauen abkriegen, sondern Männer, denen ihre eigenen Frauen zu anstrengend sind. Die keine Lust haben, sich auf eine Frau einzulassen, sondern lieber einen Schein hinlegen und der Frau sagen, was sie zu machen hat. Übrigens: Männer, die es für selbstverständlich halten, eine Frau zu benutzen, werden ganz im Gegenteil leichter zu Vergewaltigern, wenn es mal Widerstand gibt. Ich glaube also ganz im Gegenteil, dass die Akzeptanz der Prostitution die Vergewaltigung fördert.
Treibt ein Verbot nicht alle Beteiligten in den Untergrund?
Die Prostituierten in unseren Ländern sind schon längst im Untergrund. 90 bis 95 Prozent, so schätzt die Polizei, sind Ausländerinnen aus den ärmsten Ländern, die oft kein Wort Deutsch sprechen. Denn die Banden der Schlepper und Zuhälter boomen.
In Deutschland und Österreich gibt es Laufhäuser. Hier soll den Prostituierten ermöglicht werden, ihrem Gewerbe ohne Zuhälter nachzugehen. Wollen Sie auch diese schließen?
Ja, das sind diese neuen White-Collar-Zuhälter. Die kassieren, egal ob die Frau etwas verdient oder nicht. Im Kölner „Pascha“ zum Beispiel zahlt eine Prostituierte am Tag 180 Euro für eine 10-qm-Bude, also im Monat 5.400 Euro! Dann hat sie noch nichts zu essen. Und auch keine Wohnung. Viele schlafen in den Bordell-Zimmern. 180 Euro, das sind vier Freier à 50 Euro – oder auch mal sechs à 30 Euro, wenn das Geld her muss. Diese Wuchermieten müssen als erstes verboten werden.
Sollen aus Ihrer Sicht auch die Freier bestraft werden? In Frankreich kommt ein entsprechender Gesetzesentwurf ins Parlament. In Schweden werden die Freier bereits bestraft ...
Und würden 1500 Euro Strafe, diese Strafhöhe ist in Frankreich vorgesehen, wirklich die Männer abschrecken zu einer Prostituierten zu gehen?
Ja, ich denke, 1500 Euro – und bei Wiederholung das Doppelte – das tut schon weh. Noch mehr weh tut vermutlich der Brief, der dem Freier nach Hause geschickt wird – da staunt die Freundin oder Ehefrau.
In Ihrem neuen Buch „Prostitution – Ein deutscher Skandal“ behaupten Sie, Deutschland entwickelte sich zur Drehscheibe des Frauenhandels in Europa. Wie konnte es dazu kommen?
Deutschland ist heute ein Einreiseland für Sextouristen! Nirgendwo in Westeuropa kriegen Männer die Frauen so billig wie in Deutschland. Das verdanken wir der Liberalisierung der rotgrünen Regierung im Jahr 2002. Die sollte angeblich den Prostituierten nutzen, es profitieren jedoch nur die Menschenhändler und Zuhälter.
Für Ihr neues Buch haben Sie und die EMMA-Redakteurinnen im Rotlicht-Milieu intensiv recherchiert. Was ist das Motiv der Männer sich Frauen zu kaufen?
Die eigenen emanzipierten Frauen sind ihnen oft zu anstrengend. Sie haben keinen Bock auf Gespräche. Vielen geht es auch um Macht. Macht über die Frauen finden sie geil.
In Wien versucht man den Straßenstrich zu verbieten. Prostituierte dürfen nicht mehr in bewohnten Gebieten – also nur mehr in Industriegebieten, bei Tankstellen auf der Autobahnabfahrt – anschaffen. In Zürich werden nun neuerdings Sexboxen getestet. Was halten Sie von diesen Lösungen? Ist das nicht nur eine räumliche Verdrängung des Problems??
Zum einen löst es natürlich nicht das Problem, indem man die Prostitution unsichtbar macht. Zum anderen hören wir jedoch von der Polizei, dass der Straßenstrich und die „Lovemobile“, diese vergammelten Wohnwagen am Straßenrand, das Gefährlichste sind für die Frauen. Sie sind isoliert, niemand kennt sie, es gibt keine Gesundheitskontrollen etc. Und sie sind der Gewalt der marodierenden Zuhälterbanden ausgeliefert, die heute häufig aus Osteuropa kommen. Und was die Sexboxen angeht: Die sind ja wie Besamungsboxen für Kühe. Wirklich menschenunwürdig.
Die meisten Prostituierten kommen heute aus Osteuropa. Warum gehen gerade diese Frauen anschaffen?
Das hat was mit Armut zu tun. Und einem relativ ungebrochenen Patriarchat. So manche wird ja auch von der eigenen Familie zum Anschaffen geschickt.
Wie schwer ist der Ausstieg für eine Prostituierte aus dem Rotlichtmilieu?
Sehr sehr schwer. Für die Ausländerinnen, die weder die Sprache noch ihre Rechte kennen, ist der Ausstieg fast unmöglich. Aber auch einheimische Frauen kommen aus diesem Teufelskreis kaum raus. Prostitution gilt ja heutzutage als „normale Dienstleistung“. Und es gibt kaum Ausstiegshilfen. Das gehört zum Dringendsten, was wir fordern: Beratung und Ausstiegshilfen für die Frauen!
Es taucht immer wieder der Mythos auf, dass Frauen existieren, die freiwillig und gerne Prostituierte sind. Haben Sie jemals eine solche Frau im Zuge Ihrer Recherchen für das neue Buch kennengelernt?
Reden Sie von diesem Dutzend der immer wieder selben Frauen, die seit Jahren in Talkshows sitzen und sagen, wie schön die Prostitution ist: Ich frage mich schon lange, was deren Haupteinnahmequelle ist – die eigene Prostitution oder die Propaganda für die Profiteure der Prostitution. Denn hier geht es ja um sehr viel Geld. Die Gewerkschaft „ver.di“ schätzt den Jahresumsatz der Sexindustrie allein in Deutschland im Jahr auf mindestens 14,5 Milliarden Euro. – Aber in der Tat, wir kennen auch ein paar sogenannte „freiwillige“ Prostituierte. Die reden allerdings unter vier Augen ganz anders als in der Öffentlichkeit. Sie sind meist seelisch kaputt, ihre Sexualität ist zerstört, und ihr Vertrauen in die Männer sowieso. Sehr häufig sind sie auch als Kind missbraucht worden – da war der erste Schritt in die Prostitution nicht mehr groß.
Früher gab es einen florierenden Sextourismus nach Asien, damit Männer ihr Sex-Fantasien ausleben können. Davon hört man nicht mehr viel. Was hat sich geändert in der Szene?
Das Problem sind sowohl die Zuhältergesetze wie auch die Verharmlosung der Prostitution. Prostitution, das kann man gar nicht deutlich genug sagen, ist eben kein „Beruf wie jeder andere“, und ein Mensch ist keine Ware. Prostitution ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde – die der Frauen wie die der Männer.
Wie würde Welt ohne Prostitution ausschauen?
Das wäre eine wirklich gleichberechtigte Welt. Eine Welt, in der es für Männer wie Frauen undenkbar ist, dass ein Mensch für einen Schein das Recht hat, den Körper und die Seele eines anderen zu benutzen. Es wäre eine wirklich humane Welt. Und die sollten wir anstreben – auch wenn sie nicht für morgen ist.
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