Geheim und knallhart: Wie der ORF mit Wien und Innsbruck um den ESC verhandelt

Eurovision Song Contest 2015
Der ORF verhandelt geheim mit beiden Bewerbern – und versucht dabei, möglichst viele Kosten an die Städte abzuwälzen.

Erst vor wenigen Tagen hat der Innsbrucker Gemeinderat seinen politischen Segen zur Bewerbung um den Europäischen Song Contest (ESC) gegeben. Jetzt werden erste kritische Stimmen laut, die fürchten, dass die Tiroler Landeshauptstadt dem Event gar nicht gewachsen wäre. Vor allem mit Blick auf die Infrastruktur gibt es Bedenken.

Neben Innsbruck bemüht sich auch Wien, das den ESC zuletzt 2015 austrug, um die Großveranstaltung. Derzeit laufen die Detailverhandlungen mit dem ORF, der letztlich die Entscheidung trifft. Details sind (zumindest offiziell) wenige bekannt. Für die Bewerber gilt eine strenge Geheimhalteklausel – manche nennen sie „Knebelvertrag“ –, weswegen der Gemeinderat in Innsbruck auch in geheimer Sitzung tagte.

Wer hat die größere Halle?

Auch sonst wagt sich kaum jemand aus der Deckung. Aber: So manche Tourismus- und Eventexperten sehen eine Austragung des ESC in Innsbruck durchaus skeptisch. Die erwarteten Besuchermassen aus ganz Europa könnten die lokale Infrastruktur an die Belastungsgrenzen bringen.

Bei der Veranstaltungshalle kann man mit Wien (fast) noch mithalten. Für den ESC benötigt man eine Halle für mindestens 10.000 Besucher. In die Innsbrucker Olympiahalle passen bis zu 12.000 Menschen – demgegenüber steht in Wien mit der Stadthalle Österreichs größte Location ihrer Art. Fassungsvermögen: 16.000. Sie sei eine der „Trumpfkarten“ der Bundeshauptstadt, sind manche überzeugt.

Weiter auseinander liegt man schon bei den verfügbaren Betten in der Hotellerie. Hier sehen Tourismusexperten einen Knackpunkt: Die Stadt Innsbruck verzeichnete im Jahr 2023 nach eigenen Angaben 9.105 Betten. In Wien sind es 82.000 Betten in Hotels aller Kategorien. Gerade die Verfügbarkeit billig(er)er Unterkünfte ist beim ESC, der sich als inklusive Veranstaltung versteht, ein Asset.

Für wen sind die Hotelbetten?

Zu bedenken sei, merken Kritiker an, dass ein Gutteil der 9.000 Betten in Innsbruck wohl gar nicht für die eigentlichen Besucher zur Verfügung stünde. Der ESC-Tross der EBU (der Europäischen Rundfunkunion) müsse ebenso untergebracht werden wie die Künstler, ihre Entourage und Medienvertreter. Gut möglich, dass mancher Fan durch die Finger schaut – und sich im Tiroler Umland nach einem Zimmer umschauen muss. (In ganz Tirol gibt es dafür rund 340.000 Betten.)

Unklar ist der Termin des ESC-Finales – zwei Wochenenden stehen zur Auswahl: jenes vom 16. Mai sowie jenes vom 23. Mai. Bei beiden handelt es sich um sogenannte „lange Wochenenden“ – Christi Himmelfahrt und Pfingsten. Die Verkehrslage auf den Straßen ist da erwartungsgemäß auch ohne ESC angespannt, was Wien-Unterstützer als weiteres Argument für sich verbuchen. Wien sei per Bahn und Flugzeug (mit Direktflügen in derzeit 65 Länder) deutlich besser angebunden.

Anekdote am Rande: Bekäme Innsbruck den Zuschlag für das Wochenende um den 17. Mai, böte dies wohl ein interessantes Bild. Da findet hier das Alpenregionstreffen der Schützen unter dem Motto: „Miteinander für unsere Heimat!“ statt. 10.000 Schützen werden erwartet, geplant ist eine Schützenparade durch die Innsbrucker Innenstadt.

Dass man in Tirol Erfahrung mit (sportlichen) Großevents – von Olympischen Spielen bis zur Rad-WM – hat, das muss freilich erwähnt werden. Den ESC hat bisher aber nur Wien erfolgreich über die Bühne gebracht, wo derzeit eine alte Umfrage die Runde macht. 2015 befragte man ESC-Journalisten zu ihrer Meinung über die Wiener Performance. 79 Prozent bewerteten ihn „besser“ oder „viel besser“ als vorangegangene ESC.

Viel Taktik im ORF

ORF-Generaldirektor Roland Weißmann spricht von zwei „spannenden und vielversprechenden Bewerbungen“ – und lässt keine Präferenz durchklingen. Klar: Der ORF – der schon erste Begehungen in der Stadthalle und der Olympiaworld durchgeführt hat – will sich nicht in die Karten blicken lassen. Denn das Ringen um den ESC ist vor allem auch ein Finanz-Poker.

Der ORF will so viele Kosten wie möglich an die Städte auslagern. Dass die Verhandlungen geheim vonstattengehen, hilft dem ORF, den Preis für beide Städte immer mehr in die Höhe zu treiben. Sowohl Innsbruck als auch Wien planen mit einem Budget von rund 20 Millionen Euro. Ein Vergleich: Der ESC in Basel hat 64 Millionen Euro gekostet, wobei die Stadt 37,7 Millionen Euro beisteuerte.

Vor allem das genannte Thema der Logistik und Infrastruktur scheint auch manchem im ORF selbst Kopfschmerzen zu bereiten. Er betreibt zwar ein Landesstudio vor Ort, müsste für die ESC-Berichterstattung jedoch mit dem großen Gerät aus Wien anreisen. Nicht zuletzt ein weiterer Kostenfaktor.

Ein Wörtchen mitzureden hat letztlich auch noch die EBU, die sich stets international attraktive Austragungsorte wünscht. Wien muss sich um dieses Asset keine Sorgen machen; Innsbruck freilich auch nicht. Dort wirbt man nicht zuletzt mit der Nähe zu München, Zürich und Mailand.

Politisch umstritten?

Politisch ist der ESC in Innsbruck umstrittener als in Wien. Im Innsbrucker Gemeinderat fand sich eine knappe Mehrheit für die Bewerbung, die Opposition übt Kritik an den Kosten. Im Gemeinderat in Wien sprach sich nur die FPÖ gegen die Austragung aus. Neben Rot-Pink sind auch Grüne und ÖVP an Bord, wobei Letztere auf den Schuldenstand der Stadt verweist.

Die finale Entscheidung über den Austragungsort hätte eigentlich am 8. August fallen sollen. Mittlerweile hat der ORF diese Deadline gekippt. In der zweiten Augusthälfte soll es so weit sein. Ein paar Pokerrunden stehen also noch an.

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