Österreich: Gegner des Zölibats im Aufwind
Die Ankündigung des Vatikans, den Pflichtzölibat zu hinterfragen und offen zur Diskussion zu stellen, sorgte unter den Gläubigen für Aufbruchsstimmung. Auch unter den 5,36 Millionen Katholiken Österreichs ist das Thema Tagesgespräch.
Eine KURIER-Umfrage vor dem Steffl in Wien und dem St. Pöltner Dom zeigte durchwegs positive Reaktionen der Katholiken. „Der Zölibat gehört aufgehoben. Schluss mit der Geheimniskrämerei. Unsere Kirche muss doch lebendig sein. Eine Entscheidung der Kirchenfürsten ist hier längst fällig. Der Zölibat provoziert ja die grauslichen Vorkommnisse. Weg damit.“ Stellvertretend für viele gleich lautende Meinungen nahm sich Elisabeth Kisilak vor dem Stephansdom kein Blatt vor dem Mund.
Die überraschend offensive Politik der Kirchenleitung in Rom hat in erster Linie einen profanen Hintergrund: Das globale Problem des Priestermangels bedroht die Weltkirche (der KURIER berichtete). Denn ohne Priester können keine Messen abgehalten werden.
Herzinfarkt
Der KURIER sprach mit dem Moraltheologen Prof. Paul Zulehner. Er bestätigte den starken Druck auf der Weltkirche: „Ohne Eucharistiefeiern, also Messen, droht, wenn man so will, der Herzinfarkt. Die Lebendigkeit der Gemeinden steht auf dem Spiel.“ Zulehner er zählt sich selbst zu den konservativen Kirchenkreisen, glaubt, dass Rom „ernsthaft über den Zölibat nachdenkt“.
Aber unter die kollektive Aufbruchsstimmung mischt sich auch (gelernte) Skepsis. Helmut Schüller, Pfarrer der Gemeinde Probstdorf (Bezirk Gänserndorf) und Österreichs aktivster „Kirchenrebell“ bleibt vorsichtig: „Warten wir einmal auf das erste Dementi aus Rom.“
Für Kircheninsider Zulehner – mit der Strategie der Vatikan-Politik bestens vertraut – wäre aber gerade ein solches Dementi aussagekräftig: „Das würde bedeuten, dass die Entscheidungsträger ernsthaft am Thema dran sind. Dementis gehören ganz einfach dazu.“
Aber nicht nur die Politik des Vatikans, auch das Erscheinungsbild der Priester steht auf dem Prüfstand. Hans Peter Hurka, Sprecher der Plattform Wir sind Kirche kennt viele Priester, die in versteckten Beziehungen leben: „Es geht um die Würde des Priesters und seiner Partnerin, sich in der Öffentlichkeit zeigen zu dürfen.“ Zulehner ergänzt: „Die römisch-katholische Kirche hat keinen Mangel an Berufenen. Sie kann die Berufenen nur nicht weihen.“
Offenes Geheimnis
Beide Experten sprechen damit ein offenes Geheimnis an. Denn interne Umfragen unter Österreichs römisch-katholischen Gottesmännern bestätigen, dass ohnehin 25 Prozent der knapp 4000 heimischen Priester in einer Beziehung leben, diese aber nach allen Regeln der Kunst geheim halten müssen. Dieses Versteckspiel hält hunderte junge Männer – die sich Religion und Kirche zugeneigt fühlen – davon ab, in der Kirche eine berufliche Laufbahn anzustreben.
„Also stellt sich Rom jetzt die Frage, wie lebe ich Kirche heute. Leitet man die Reformdiskussion nicht ein, ist das mit Sabotage zu vergleichen – als würde ein Arzt seinen Patienten keine Antibiotika verabreichen. Die ersten entscheidenden Schritte liegen schon in der Luft“, skizziert Zulehner den Status quo in Rom.
Und sie bewegt sich doch – die katholische Kirche. Knapp 350 Jahre hatte es gedauert, bis der Vatikan Galileos Erkenntnis, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht wir das Zentrum des Universums sind, anerkannt hat. Und jetzt nach fast 500 Jahren nach dem Konzil von Trient (1545–1563), das nach dem Höhepunkt der Verkommenheit der hohen Geistlichkeit einberufen worden war und den Pflichtzölibat für Priester festgelegt hatte, tut sich wieder etwas: Die zwangsweise Ehelosigkeit der Geistlichkeit sei diskutierbar, heißt es aus dem Vatikan. Das ist geradezu eine Revolution, und es ist gut so – auch wenn das Ganze aus der Not geboren ist, denn die Kirche leidet unter massiver Personalnot. So hatte der italienische Erzbischof Pietro Parolin argumentiert. Der erfahrene katholische Diplomat ist künftig (ab dem 15. Oktober) die neue Nummer zwei im Kirchenstaat. Sein Wort als de facto Regierungschef des Vatikans hat Gewicht, und es ist auszuschließen, dass er seinen Vorstoß ohne Absprache mit Papst Franziskus gewagt hat.
Was bedeutet das nun? Jedenfalls nicht, dass der Pflichtzölibat morgen abgeschafft wird, aber: In den vergangenen Jahrzehnten hatte sich noch nie ein derart hoher Würdenträger so weit aus dem Fenster gelehnt. Von allen Ecken der Welt kamen derartige Forderungen, doch die Antwort aus Rom lautete stets: Sicher nicht.
Es würde der katholischen Kirche guttun, verheiratete Priester in ihren Reihen zu haben, die dann auch fundiert über Familienprobleme reden könnten und auch über ihr Scheitern in der Beziehung (sind es nicht genau die, die den Beistand besonders brauchen?).
Papst Franziskus ist zu wünschen, dass er nach dieser Ansage keine Angst vor der eigenen Courage bekommt und die Frohe Botschaft zulässt.
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