Nurten Yilmaz: "Sexualisierte Gewalt ist nicht das Problem von Zuwanderern“
Nach 30 Berufsjahren in der Politik ging Nurten Yilmaz Ende des Jahres in Pension.
KURIER: Wir sprechen aktuell wieder viel über Integration. Wie schwer fiel es Ihnen da, zu gehen?
Nurten Yilmaz: Ich habe immer gesagt, mit 65 Jahren soll Schluss sein. Und die Integration war schon immer ein Thema. Ich würde mir wünschen, dass das parteipolitische Klein-Klein aufhört und sich alle sachlich überlegen: Welche Probleme haben wir? Welche Antworten möchten wir geben? Vorarlberg macht das seit Jahren. Da gibt es Beschlüsse von allen Parteien, die der Integration dienen.
Woran liegt das?
Daran, dass die handelnden Personen kapiert haben, dass man, wenn etwas schief geht, nicht sofort einen Schuldigen suchen muss, sondern eine Lösung.
Sie sind 2013 ins Parlament eingezogen. Wie hat sich der Diskurs über Integration seit damals verändert?
Viele, die etwas zu diesem Thema zu sagen haben, wissen gar nicht, worum es geht. Aber sie haben gemerkt, mit dem Thema kann man etwas gewinnen. Auch in der ÖVP. Und das macht es so viel schwerer.
Wann hat das eingesetzt?
Mit dem Ministerwerden des Sebastian Kurz. Als Staatssekretär hat er wirklich gute Dinge gesagt und getan. Meine Hoffnung war, dass das so weitergeht, professionell, versachlicht. Das ist dann aber total umgeschlagen.
Inwiefern?
Das Wort Integration ist zu einem Spielball geworden. Dass wir bei der dritten Generation noch von Integration reden, da muss man sich ja schämen. Die Menschen sind hier geboren, aufgewachsen, arbeiten und wir reden von Integration. Oida.
Ist der politische Islam ein Problem?
Außer den Aussagen von Politikern habe ich diesbezüglich nichts in der Hand, nichts Wissenschaftliches. Probleme haben wir hingegen im Bildungssystem. Wir investieren viel zu wenig in ernst gemeinte Deutschförderung. Uns fehlen Millionen für Ganztagsschulen. Wir brauchen das zweite verpflichtende Kindergartenjahr.
Was wäre ernst gemeinte Deutschförderung?
Alle Wissenschaftler haben gesagt, Deutschförderklassen werden nichts bringen, weil Kinder voneinander lernen. Wenn es nur 30 Prozent aus einem Jahrgang in den ordentlichen Unterricht schaffen, muss man schon hinterfragen, was da nicht stimmt.
Eine andere Problemstellung ist die Zunahme von Sexualstraftaten zugewanderter junger Männer. Haben die Mahner recht gehabt?
Nein, haben sie nicht. Aber wir verdammen Menschen dazu, herumzulungern, weil sie nicht einmal den ersten Asyl-Interviewtermin bekommen.
Das erklärt aber keine sexualisierte Gewalt.
Sexualisierte Gewalt ist nicht das Problem von Zuwanderern, sondern ein Menschheitsproblem. K.o.-Tropfen sind keine Erfindung der Asylwerber.
Sollten Asylwerber arbeiten dürfen?
Ab dem ersten Tag.
Brauchen wir weitere Zäune an der EU-Außengrenze?
Haben die bestehenden Zäune etwas genutzt? Wir müssen den Außengrenzstaaten helfen, aber wir müssen ihnen auch sagen, dass sie nicht alle durchwinken können. Wie kommt es, dass wir 90.000 Asylanträge haben und Ungarn nur 50? Der beste Freund des Herrn Bundeskanzlers, Viktor Orbán, hält sich nicht an Abmachungen, dem sind wir egal. Er ist der größte Schlepper.
Verteilung ist auch ein österreichisches Problem. Wer war schuld an den Zelten? Der Bund oder die Länder?
Da ist sicherlich der Bund der Chef. Der Chef muss aber nicht nur anordnen. Er kann auch die Mitarbeiter fragen: Wir haben da ein Problem, wie lösen wir das? Man könnte auch einen Fonds für die Gemeinden gründen, die ihre Quote erfüllen. Alle zahlen ein und die können dann zum Beispiel das Wirtshaus sanieren oder ein Schwimmbad bauen. Es ist alles ein Deal.
Sie waren die erste SPÖ-Abgeordnete mit Migrationshintergrund, jetzt ist es wieder nur eine. Warum klappt es nicht mit der Diversität?
Es klappt schon. Es geht langsam, aber die Durchmischung innerhalb der Partei, in den Jugendorganisationen, auch im Wiener Rathausklub ist schon recht hoch.
Über welche parlamentarischen Initiativen sagen Sie: Dafür habe ich es gemacht?
Ich bin sehr stolz, dass ich beim Beschluss der Gratis-Zahnspange für Kinder dabei war. Wir beschließen so viele Sachen und man sieht sie nicht. Das war etwas, das man sofort gesehen hat.
Zugewandert
Im Alter von neun Jahren emigrierte die 1957 im türkischen Söke geborene Yilmaz mit ihren Eltern und zwei Geschwistern nach Österreich.
Karriere
Nach der Schule arbeitete sie erst in der Gebietskrankenkasse und dann im SPÖ-Bundesfrauensekretariat.
Politik
Mit 17 kam sie zur Sozialistischen Jugend, seit 1981 ist sie SPÖ-Mitglied. 1997 wurde sie Bezirksgeschäftsführerin in Ottakring, 1999 Bezirksrätin. 2001 wechselte sie in den Gemeinderat, 2013 schließlich in den Nationalrat. Seit 2010 ist sie im Bundesfrauenvorstand der Partei.
Ist das eine Frage der politischen Ebene?
Ja. Als Bezirksrätin habe ich eine Einbahn umgedreht, das siehst du 14 Tage später.
Ist das befriedigender?
Kurzfristig ja. Langfristig ist natürlich schon das große Ganze wichtig.
Sie wechseln ins Rapid-Präsidium, waren früher Ultra. Haben Sie dort etwas für die politische Karriere gelernt?
Ob es sich auszahlt, mit jemandem zu diskutieren.
Bleiben Sie auch als Präsidiumsmitglied auf der Westtribüne?
Ich werde ab und zu im VIP-Club sein, weil ich mich auch dort mit Leuten unterhalten möchte. Aber für das Spiel gehe ich rüber auf die West.
Wer gewinnt zuerst einen Titel: Rapid oder die Bundes-SPÖ?
Da ist die SPÖ vorher dran.
Mit der aktuellen Kapitänin?
Ja. Wo waren die anderen, die jetzt gerne das Kapitänskapperl haben wollen, als die Partei am Boden gelegen ist?
Welche weiteren Pläne haben Sie für die Pension?
Wenn meine Tochter anruft und fragt, ob ich meinen Enkel aus dem Kindergarten abholen kann, will ich ja sagen. Und nicht: Geht nicht, ich sitze im Untersuchungsausschuss.
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