Nur ein Besucher pro Woche im Heim "ist unmenschlich"
"In der Familie haben wir uns erst vor Kurzem gefragt: Was ist schlimmer - an Corona sterben oder an der Einsamkeit?", erzählt Margit L. "Ich weiß, das klingt fürchterlich. Aber die Einsamkeit ist auch fürchterlich."
Die Mutter der Tirolerin wird Ende April 95 Jahre alt. Sie lebt in einem Heim, einem "sehr guten", wie ihre Tochter versichert. Aber die Corona-Maßnahmen treffen die alte Dame hart: Nur einmal pro Woche darf sie Besuch empfangen - für eine halbe Stunde. "Und dann auch nur von meiner Schwester, sie gilt als Kontaktperson. Ich darf gar nicht zur Mama ins Heim", bedauert L.
So wie der Tiroler Familie geht es derzeit vielen Betroffenen mit Angehörigen in Heimen. 74.000 Österreicher leben in Senioren- und Pflegeheimen, eine verletzliche Gruppe, physisch wie psychisch. Die Anzahl der Todesopfer im Zusammenhang mit dem Virus in dieser Bevölkerungsgruppe ist hoch: Rund 3.400 Heimbewohner starben in diesem Jahr der Pandemie, das sind 43 Prozent aller corona-bedingten Todesfälle in Österreich.
Um die Senioren vor dem Virus zu schützen, verhängten anfangs die Länder, später dann der Bund allgemeingültige, strikte Besuchregeln: Pro Bewohner nur ein Besuch pro Woche für 30 bis 60 Minuten, wobei der Besucher einen aktuellen, negativen Corona-Test vorweisen muss.
Senioren drängen
Jetzt, da immer mehr Ältere geimpft sind, wünschen sich Bewohner, Angehörige und Seniorenverbände endlich Lockerungen.
Auch Margit L.s knapp 95-jährige Mutter Ida in Tirol hat bereits Corona-Schutzimpfungen erhalten, am 2. Februar schon die zweite Dosis. "Deshalb bin ich der Meinung, das Heim gehört wieder aufgesperrt“, fordert ihre Tochter Margit. "Ich will sie besuchen können, täglich. Auch ihre Enkelkinder wollen sie sehen." Das sollte mit Antigentests der Besucher und FFP2-Masken wohl möglich sein, fordert L.: "Es ist jetzt wirklich genug."
Peter Kostelka, Präsident des SPÖ-nahen Pensionistenverbandes, sieht das ganz gleich: "Die derzeitige Besuchsregelung ist unmenschlich, unerträglich und nicht länger zumutbar." Durch die Impfungen habe sich die Situation geändert: "Wir müssen die Menschen aus der Vereinsamung holen.“
Der Pensionistenverband ist nicht allein mit der Forderung nach mehr Zugang zu den Heimen. Auch der ÖVP-nahe Seniorenbund fordert Lockerungen. So schlägt etwa Josef Pühringer, Alt-Landeshauptmann und Landesobmann des Seniorenbundes in Oberösterreich, drei Besuchsmöglichkeiten pro Woche vor.
Impfung als Ausweg
Der monatelange Entzug engster Angehöriger stelle für die Heimbewohner eine Zumutung dar, die "womöglich auch gesundheitliche Folgen haben kann“, warnt Pühringer. 70 Prozent der Heime in Oberösterreich seien bereits durchgeimpft, das müsse Folgen haben. "Eine hohe Durchimpfungsrate wurde von der Politik immer als Rückfahrkarte in ein normales Leben in Aussicht gestellt“, erinnert Pühringer.
Auch Markus Wallner, ÖVP-Landeshauptmann von Vorarlberg, ist offen dafür und erwägt eine zweite Besuchsmöglichkeit pro Woche. Der Linzer Bürgermeister Klaus Luger (SPÖ) drängt ebenfalls auf Änderungen; dem Impferfolg müsse Normalisierung folgen. "Sonst drohen Gesundheitsschäden durch Vereinsamung, die vermeidbar wären.“
Wie aber stehen die Chancen auf Lockerungen? Die Besuchsregeln sind in der sogenannten Covid-Schutzmaßnahmen-Verordnung des Bundes festgeschrieben. Und nur der Bund, namentlich Gesundheits- und Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne), kann sie ändern.
Anders als noch zu Monatsbeginn, wo eine Lockerung vorerst ausgeschlossen wurde, gibt es nun Bewegung: Anfang März seien Gespräche mit Trägervereinen vereinbart, um Lockerungen zu beraten, ließ Anschober am Dienstag wissen. Er kündigte "langsame Schritte, aber deutliche Verbesserungen“ an - soweit es die Infektionslage zulasse.
Sie sei derzeit mit österreichweit 330 aktiv infizierten Bewohnern in Heimen vergleichsweise niedrig, im November lag die Zahl bei 4.300.
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