Sie schreiben über Wutbürger, über Impfgegner, die bei Demos Schilder mit „Mein Körper, meine Entscheidung“ trugen. Sehen Sie eine Doppelmoral, was das Kopftuch anbelangt?
Ja, es ist eine Doppelmoral: Sagt eine Muslima, es ist ihr Körper und sie möchte ein Kopftuch tragen, fällt das unter Religionsfreiheit. Die Impfgegner schaden aber anderen. Gerade diese Menschen sprechen einer Muslima oft das Recht ab, Kopftuch zu tragen. Und Wutbürger nehmen viel Raum ein: Bei ihnen mündet Wut dann in Politik – bei Marginalisierten aber nicht. Denn die emotional aufgeladenen Debatten bringen Wählerstimmen.
Sind es Wutbürger oder eher Hassbürger?
Wut kann zu Hass werden: Wenn man eine verachtende Haltung an den Tag legt, andere entmenschlicht. Es gab eine Studie, laut der Befragte kein Problem damit hätten, Rechte der Muslime einzuschränken. Beim Impfen pocht man aber auf die persönliche Freiheit. Das ist widersprüchlich, da richtet man es sich, wie es einem passt.
Im Buch äußern Sie den Gedanken, wo man eine Parallelgesellschaft wirklich findet: in Villen in Hietzing?
Ich wollte das einmal in einen anderen Kontext stellen. Fast alle dort sind sozioökonomisch sehr gut situiert, die Schulen kaum durchmischt. Wenn der Rest der Stadt aber sehr wohl durchmischt ist, wer ist dann die Parallelgesellschaft? Es ist wichtig, starre Denkkonstrukte zu dekonstruieren.
Es gibt deutlich mehr Menschen, die vor finanziellen Herausforderungen stehen, als Villenbewohner. Sind wir uns der Gemeinsamkeiten oft zu wenig bewusst?
Nicht jeder Weiße ist gut situiert, überhaupt nicht. Das ist natürlich eine Frage von sozioökonomischen Möglichkeiten, vom Zugang zu Ressourcen. Nehmen wir das Beispiel einer Lehrerin aus dem 10. Bezirk: Sie sagt, Aisha und Anna lesen gleich schlecht. Warum? Weil beide aus sozial schwachen Familien kommen – das eint sie.
Hier geht es also um den sozioökonomischen Hintergrund. Verlieren wir uns in Anfeindungen aufgrund von Kultur und Religion, anstatt mehr zusammenzuhelfen?
Jein. Fokussieren wir uns nur auf die sozialen Unterschiede, verschließen wir die Augen vor dem Rassismus. Die Politik spielt aber eine Rolle dabei, die Menschen auseinanderzudividieren. Wenn Politiker über die Eltern von Aisha schimpfen, werden die Eltern von Anna ihnen gegenüber nicht aufgeschlossen sein. Uns wird zum Beispiel die Brille der Religion aufgesetzt. Die Brille, die zeigt, was uns trennt – anstatt der Brille, die zeigt, was uns eint.
Derzeit wird über kulturelle Aneignung debattiert, etwa, wer was übersetzen darf. Darf jeder zu Integration und zu Rassismus forschen, auch wenn er nicht betroffen ist?
Forschen sowieso – die Wissenschaft ist frei. Wichtig ist Transparenz, dass man die eigene Sozialisierung offenlegt: Aus welcher Position heraus schaue ich mir etwas an? Wenn man über Rassismus spricht, ist es aber auch wichtig, das Mikrofon an Betroffene weiterzugeben, die erzählen, wie sie etwas erleben. Dass man zuhört.
Könnte besseres Zuhören das Zusammenleben verbessern?
Zuhören ist ganz wichtig – auch sich selbst, den eigenen Bedürfnissen und Emotionen. Eine Voraussetzung für Empathie ist, dass man weiß, was mit einem selbst los ist. Das alles ist ein ständiger Lernprozess. Wir leben ja auch nicht isoliert, wir nutzen dieselben Öffis, wir gehen in denselben Supermarkt. Auch wenn wir nicht ständig miteinander sprechen, ist es ein ständiges Ausloten: Was ist in Ordnung, was nicht? Die Frage ist nicht, ob wir miteinander umgehen, sondern wie. Wir können das aktiv gestalten. Und unsere Emotionen geben uns Informationen, wie wir es gestalten sollen.
Sie erwähnen im Buch, wie anstrengend es ist, permanent auf das Kopftuch angesprochen und darauf reduziert zu werden. Wenn Sie sich in eine Österreicherin hineinversetzen, deren Vorfahrinnen sich für Frauenrechte eingesetzt haben: Können Sie nachvollziehen, dass die Frauen angesichts des Kopftuchs die Sorge haben, das könnte ein Rückschritt sein?
Ganz wichtig ist: Die Frauen haben für etwas gekämpft, nämlich für gerechte Verhältnisse – aber nicht gegen das Kopftuch. Das würde ja bedeuten, dass man das Kopftuch automatisch als Unterdrückung empfindet. Woher kommt das Denken, dass das Unterdrückung ist? Von der FPÖ? Es geht nicht gegen das Kopftuch – sondern gegen Unterdrückung.
Es ist eben eine augenfällige Ungleichheit, da ja Männer kein Kopftuch tragen.
Ungleich ist nicht gleich ungerecht, aber das ist auch nicht der Fokus im Buch. Eine Frau soll selbst entscheiden, wie sie sich kleidet. Wobei ich mittlerweile weniger darauf angeredet werde, hier hat sich der gesellschaftliche Fokus schon verändert.
Oder etwa der Burkini – könne Sie nachvollziehen, dass Frauen da Bedenken haben?
Es betrifft die Person, die ihn trägt. Wer einen Burkini trägt, sagt ja nicht, du musst ihn auch tragen. Niemandem soll etwas aufgezwungen werden – und niemand soll gezwungen werden, etwas abzunehmen. Man soll das den Menschen selbst überlassen.
Wie können wir solche Debatten auf eine sachlichere Ebene holen, ohne in Rassismus abzugleiten?
Wichtig ist Bildung. Inhaltlich, aber auch Bildung des Herzens. Wir sind verschieden, das kann bereichernd sein. Man kann solidarisch, empathisch sein. Man kann eine andere Perspektive haben, ohne dass man einem anderen schaden möchte. Man sollte Umstände schaffen, damit alle ein gutes Leben führen können. Dass man nicht immerzu kämpfen, argumentieren, sich rechtfertigen muss.
Wie kann Wut dabei helfen?
Wut kann einen konstruktiven Anteil haben. Wut kann Veränderung bedeuten – daher ist sie auch unbequem. Wut kann man somit auch als Versprechen für die Möglichkeit eines besseren Lebens sehen.
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