Nach Missbrauchsgipfel: "Die Enttäuschung war vorprogrammiert"

"Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt" bemängelt fehlende Maßnahmen und fordert eine staatliche Opferschutzkommission.

Vergangenen Sonntag ging der Missbrauchs- und Kinderschutzgipfel im Vatikan zu Ende. Darin versprach Papst Franziskus ein härteres Durchgreifen - konkrete Schritte aber fehlten. International hagelte es Kritik. Massive Vorwürfe kommen nun auch von österreichischen Opfervertretern. Jakob Purkarthofer von der "Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt", die seit Anfang 2010 kirchliche Missbrauchsopfer psychologisch und juristisch unterstützt, kritisiert im KURIER-Interview das zaghafte Vorgehen der Kirche gegen Missbrauch und fordert eine Alternative zur Klasnic-Kommission.

KURIER: Am Sonntag ging der Missbrauchsgipfel im Vatikan zu Ende. Was ist Ihr Fazit?

Jakob Purkarthofer: Die Erwartungen der Betroffenen waren gering, die Enttäuschung vorprogrammiert, und so war es dann auch. Die Opfer fordern von Staat und Justiz ein Einschreiten, doch die Veranstaltung war dann eine Art interner Kongress.

Am gestrigen Dienstag wurde der ehemalige Finanzchef des Vatikans, der Australier George Pell, wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern schuldig gesprochen. Ihm drohen bis zu 50 Jahre Haft. Tut sich nicht doch etwas?

Das war nicht der Verdienst des Vatikans, sondern es zeigt nur, dass die Justiz in Australien aktiver ist.

Haben Sie Reaktionen von Opfern zum Missbrauchsgipfel im Vatikan erhalten?

Ein paar. Wesentlich mehr Reaktionen haben wir nach Christoph Schönborns Auftritt in der TV-Doku Anfang Februar erhalten (darin gab Schönborn zu, selbst beinahe Opfer eines sexuellen Übergriffs geworden zu sein, Anm.). Da gab es eine Unzahl von wütenden Anrufen. Er wurde als verharmlosend und anbiedernd empfunden und das sind noch die netteren Kommentare.

Was müsste die Kirche unternehmen, um effektiv gegen Missbrauch und dessen Aufklärung vorzugehen?

Wichtig wäre, dass die Kirche vor Gericht auf die Verjährung generell verzichtet und die Archive für die Strafverfolgungsbehörden öffnet. All das war nicht der Fall. 

Nach Missbrauchsgipfel: "Die Enttäuschung war vorprogrammiert"

Jakob Purkarthofer von der "Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt"

Sie üben immer wieder Kritik an der Klasnic-Kommission. Diese hat seit ihrer Gründung 2010 1.974 Fälle positiv entschieden und Hilfeleistungen von 27,3 Millionen Euro zuerkannt. Das klingt doch nach viel, oder?

Es klingt viel, ist es aber nicht. Im Schnitt wurden gerade einmal 30 Therapiestunden spendiert. Für schwer Betroffene ist das zu wenig. Und durchschnittlich 13.800 Euro für ein Leben, das meist aus den Rudern gelaufen ist, sind Almosen. Andere Länder – wie Irland oder die USA – gehen viel rigider damit um. Man überlässt die Aufarbeitung nicht der beschuldigten Einrichtung, die Entschädigungen sind um ein Vielfaches höher. Und entsprechend mehr Betroffene melden sich.

Ein weiterer Vorwurf Ihrerseits lautet, die Klasnic-Kommission sei kirchennah. Aber es sitzen auch ein Psychiater, eine Verfassungsjuristin und der ehemalige Präsident des Wiener Stadtschulrates darin.

Man muss eines festhalten: Die Klasnic-Kommission wird von der Kirche finanziert und Waltraud Klasnic erhält über eine PR-Agentur Aufträge von der Kirche. Ich glaube die anderen Mitglieder bereuen es schon längst, sich auf eine Art tätergestützte Privatjustiz eingelassen zu haben.

Gehören Ihrer Meinung nach auch Betroffene in die Kommission?

Nein (lacht), nicht in diese Kommission. Es braucht eine staatliche Kommission unter Einbindung der Betroffenen. Dass die Kirche das dann quasi vereinsintern auch selbst aufarbeitet, fände ich aber gut, als innerkirchliche Aufarbeitungsstelle macht sie schon Sinn. Ihr die Aufarbeitung zu überlassen, ist allerdings zynisch.

Ihre Plattform hat in den vergangenen neun Jahren 700 Fälle betreut. Von welchem Ausmaß gehen Sie tatsächlich aus?

Ich gehe von 15.000 Fällen Minimum aus, weil die Dunkelziffer enorm hoch ist. Bis jetzt haben sich ja fast nur Betroffene gemeldet, deren Leben aufgrund ihrer Traumatisierung so prekär verlaufen ist, dass sie sich auch schon über eine Mini-Abfindung der Klasnic-Kommission freuen. Die Kirche ist mit der Situation jedenfalls voll überfordert. Sie haben ein komplexbeladenes Verhältnis zur Sexualität. Entsprechend kommt sie mit dem Thema sexualisierter Gewalt in den eigenen Reihen gar nicht zurecht.

Gibt es Ihrer Meinung nach einen Zusammenhang mit dem Zölibat? Diese These steht ja immer wieder im Raum.

Es ist ja nicht nur das Zölibat. Es gibt eine Doktrin der Körperfeindlichkeit und einen verschämten, infantilen Umgang mit Sexualität. Und ich vermute, dass es eine lange Tradition des sexuellen Missbrauchs in der Kirche gibt. Viele sind zuerst Opfer in den eigenen Reihen und später dann auch Täter. Die Kirche stellt eine abgeschottete Welt voller Autoritäten dar, dort ist man als Pädokrimineller weitgehend sicher vor Strafverfolgung.

Lange Zeit hat die Kirche die Täter einfach versetzt, das gab Klasnic auch zu. Gab es auch Fälle, in denen Täter aus dem Klerikerstand entlassen wurden?

Ich glaube nur im Fall von „Pumpgun-Pater“. Er verbüßt ja aktuell eine mehrjährige Haftstrafe (der ehemalige Konviktsdirektor wurde wegen sexueller Übergriffe auf Zöglinge zu zwölf Jahren Haft verurteilt; seinen Spitznamen erhielt er wegen des illegalen Besitzes einer Pumpgun, Anm.).

Vatikan-Treffen zu Missbrauch

Was macht sexueller Missbrauch mit Menschen?

Menschen verlieren durch die Traumatisierung ihr Urvertrauen. Sie können Nähe schlecht aushalten. Sie verzweifeln oft ohne entsprechende Therapie. Und sie werden oft auch zu Tätern. Wir haben viele Briefe aus Haftanstalten bekommen – schwere Jungs, die als Kind in einem kirchlichen Heim Missbrauch erleiden mussten.

Würde ihnen eine bessere Aufklärung helfen?

Sie würden sich ernst genommen fühlen. Das Verbrechen an ihnen wäre damit ein Stück weit anerkannt und sie könnten sich der weiteren Aufarbeitung widmen.

Jakob Purkarthofer ist studierter Philosoph und betreut die Medienarbeit der "Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt". Er hat sich auf schwierige Auseinandersetzungen - vielfach im Rahmen von Gerichtsverfahren - spezialisiert. Neben der Plattform betreut er unter anderem die Opfer jenes steirischen Arztes, der sich aktuell wieder vor Gericht wegen Quälens seiner Kinder verantworten muss.

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