"Habe bis heute Schlafstörungen"

In der Nacht auf den 2. Juni 2013 überrollte die Flut das Tiroler Dorf Kössen. Tagelanger Dauerregen hatte weite Teile Österreichs zum Katastrophengebiet werden lassen
Ein Jahr nach der Katastrophe / Lokalaugenschein in Tirol und Oberösterreich.

Die Wolken hängen tief in den Bergen rund um Kössen. Seit der Nacht auf den 2. Juni 2013 ist das eine Wetterlage, die auf die Stimmung der Bewohner des Orts im Tiroler Unterland drückt. Vor einem Jahr ging das Dorf in den Fluten unter. Das Ereignis hat sich in die Psyche der Hochwasseropfer eingebrannt. "Wenn es regnet, kann ich nicht mehr schlafen", sagt Anita Schwentner, die ihr gesamtes Hab und Gut verlor.

"Wir haben uns wieder aufgerappelt", erzählt die Mindestrentnerin in ihrem neuen Wohnzimmer. "Aber ich will das Gefühl haben, dass ich sicher bin." Doch das könne sich erst wieder einstellen, wenn der Hochwasserschutz steht. Dass die dritte Bauphase des Projekts noch nicht begonnen hat, sorgt für Unmut. Noch fehlt der Sanktus aus Wien.

Bürokratie

"Am Anfang wurde unbürokratische Hilfe versprochen. Aber jetzt zeigt sich, dass doch alles seinen bürokratischen Weg geht", ärgert sich Helmut Gründler, der mit seiner Frau Anneliese im Garten seines Hauses sitzt. Das Ehepaar lebt wie Schwentner im Ortsteil Erlau. Hier steht der Großteil der 380 betroffenen Häuser. Die Gründlers leben nach mühsamem Wiederaufbau wieder in ihren eigenen vier Wänden. "Aber am liebsten hätten wir die Koffer gepackt", sagen sie.

Nie ans Aufgeben gedacht hat Hans-Peter Kaserer: "Wir haben keine Angst und sind optimistisch." 750.000 Euro Schaden hat das Hochwasser in seinem Hotel Waidachhof angerichtet. So wurde etwa der gesamte Wellnessbereich ruiniert. Heute ist er, was er vor der Flut war: eine Wohlfühloase.

Eferdinger Becken

Schauplatzwechsel: Als das Hochwasser ab dem 2. Juni 2013 weite Teile des Eferdinger Beckens in Oberösterreich überschwemmte, war Doris Aiglsperger gerade am Übersiedeln: Ausgerechnet nach Hagenau, jenem Ortsteil von Goldwörth an der Donau, in dem das Wasser mehr als einem Meter hoch stand. Viele Bewohner mussten mit Booten evakuiert werden, die Pferde des Nachbarn rettete die Feuerwehr aus den Wassermassen. "Meine neue Wohnung befand sich mitten im Flutgebiet und auch im alten Zuhause war der Keller voll. Es ist mir alles zu viel geworden", erinnert sich die Geschäftsfrau-

Ein Jahr nach der Flut fühlt sich Aiglsperger in Hagenau dennoch "wie im Paradies". Die schlimmen Erlebnisse hat sie mit einer Gesprächstherapie überwunden. "Ich werde sicher hier bleiben und zerbreche mir nicht dauernd den Kopf, wann das nächste Hochwasser kommt." Dass manche ihrer Nachbarn die Ortschaft Hagenau verlassen wollen, kann Aiglsperger dennoch gut verstehen. "Absiedeln ist nicht so leicht, wie viele glauben. Die meisten wissen nicht, ob es sich mit dem Geld ausgeht, und dann bleibt die Frage, wohin man gehen soll."

Der 97-jährige Hermann Fellner verliert keinen Gedanken daran, aus Hagenau wegzuziehen: "Bei uns ist es halt das Wasser, woanders der Hagel", meint der pensionierte Landwirt.

Nach tagelangem Regen kam es ab dem 31. Mai 2013 zur Katastrophe. In Tirol richtete das Hochwasser einen Schaden von 110 Mio. Euro an, in Salzburg forderten Murenabgänge drei Tote. Weiter östlich wütete die Flut, vor allem in Ober- und Niederösterreich – die Schäden betrugen 230 bzw. 100 Mio. Euro. Im Eferdinger Becken retteten sich Menschen auf Hausdächer, in Grein bestand der Machlanddamm nur knapp seine Bewährungsprobe. Auch weiter donauabwärts wurden viele Ortschaften überflutet – zum Beispiel die Altstadt von Melk.

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