Mord im Gemeindebau: „Uns Tschetschenen mag hier keiner“

Mord im Gemeindebau: „Uns Tschetschenen mag hier keiner“
Die siebenjährige Hadish wurde erstochen. Im Gemeindebau blühen die Spekulationen über mögliche Täter.

Die Stimmung im Gemeindebau Dittes-Hof in Wien-Döbling gleicht einer Mischung aus Misstrauen, Angst und Trauer. Seit Sonntagmorgen steht fest, dass die kleine Hadish ermordet wurde. Sie starb durch einen Stich in den Hals, hat die Obduktion ergeben. Spuren von sexuellem Missbrauch gibt es laut Polizei keine. Am Samstagmorgen wurde der leblose Körper der Siebenjährigen – in einen Plastiksack gewickelt – im Müll gefunden. In der Nacht zuvor hatten Nachbarn noch am ganzen Areal nach Hadish gesucht. Auch am späteren Fundort, wie Bewohnerin Elisabeth G. erzählt: „Wir sind mit Taschenlampen herumgelaufen und haben auch in die Müllcontainer hineingeleuchtet. Das muss kurz vor Mitternacht gewesen sein. Aber da war die Kleine nicht. Wir hätten sie doch gesehen.“

Angst im eigenen Haus

Genau aus diesem Grund haben viele Bewohner den gleichen Gedanken im Kopf: „Das muss einer von hier gewesen sein. Der wusste genau, wann wir aufgehört haben zu suchen, und hat Hadish dann in die Tonne gelegt. Jeder hier weiß außerdem, dass der Restmüll immer am Samstag abgeholt wird“, sagt der Cousin der Ermordeten, Musa A. Immer wieder fällt in KURIER-Interviews der gleiche Satz von verschiedenen Bewohnern: „Wenn ich dem Mörder gegenüber stehe – ich will gar nicht laut sagen, was dann passiert.“

Hadish war eine von sieben Geschwistern. Am Sonntag sind Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen zum Dittes-Hof gekommen, um der Mutter beizustehen. Es gehe ihr sehr schlecht. Alle kämpfen mit den Tränen. Einer kann an diesem Tag nicht da sein – Hadishs Vater. Er befindet sich laut der Familie in Italien in Haft. Er wäre dort hingereist, aber wegen eines fehlenden Visums verhaftet worden. „Es ist schrecklich. Hadish war sein großer Liebling. Und noch schlimmer ist es, dass einige Nachbarn gesagt haben, er wäre gewalttätig und die Familie hätte etwas mit dem Tod von Hadish zu tun. Aber so ist das bei uns leider immer. Uns Tschetschenen mag hier keiner. Wir sind immer an allem selber schuld“, sagt Hadishs Cousine Kheda A.

Einige Familienmitglieder vermuten auch, dass die Polizei nicht intensiv genug nach der Volksschülerin gesucht habe. „Weil es in der Nachbarschaft Gerüchte gegeben hat, dass sie schon einmal weggelaufen ist, wurde das nicht so ernst genommen. Aber was geredet wird, ist Blödsinn. Sie war ein braves Kind“, sagt Hadishs Cousin. Immer wieder habe es Beschwerden der Nachbarn gegeben, weil die Kinder im Hof laut waren. „Das ist doch klar, dass sie zum Spielplatz gehen. Sieben Kinder können nicht die ganze Zeit in der Wohnung herumsitzen“, sagt Musa A. Die Familie betont, dass die Mutter sehr auf das Benehmen und das Erscheinungsbild der Kinder achten würde.

Mord im Gemeindebau: „Uns Tschetschenen mag hier keiner“

„Das muss einer von hier gewesen sein. Der wusste genau, wann wir aufgehört haben zu suchen“, sagt der Cousin der Ermordeten, Musa A.

Viele Zeugen

Die Kriminalpolizei ist schon seit den Morgenstunden des Sonntags im Dittes-Hof, um weiter Zeugen zu befragen. Manche glauben, einen Unbekannten gesehen zu haben. Er soll um die Müllcontainer herumgeschlichen sein. Wieder andere haben Angst, selbst verdächtigt zu werden. Als Kinder der Polizei erzählen, dass sie von einem Bewohner Schokolade bekommen haben, rechtfertigt sich der Mann: „Das mache ich immer. Ich bringe den Kindern Süßigkeiten.“ Andere Bewohner schalten sich in das Gespräch ein, entlasten den Mann. „Es ist doch kein Verbrechen, Süßigkeiten herzuschenken. Wir machen das alle.“

Mord im Gemeindebau: „Uns Tschetschenen mag hier keiner“

Die Familie ist am Sonntag zu Hadishs Mutter gekommen, um sie zu unterstützen. Es soll ihr sehr schlecht gehen. Sie will aus dem Gemeindebau ausziehen.

Fundort war versperrt

Bei der Besichtigung des Fundorts der Leiche fragt ein Ermittler einen anderen, ob der Bereich der Müllcontainer am Samstag versperrt war. Der Kollege bejaht. Weil es immer wieder Probleme mit unerlaubt abgelegtem Sperrmüll gegeben hatte, wurden die Container eingezäunt und Schlösser montiert. Das bedeutet: Theoretisch konnte nur ein Hausbewohner mit Schüssel zu den Mülltonnen gelangen.

Gittertüren zu den Hofeingängen seien hingegen entfernt worden, beklagen einige Bewohner. So habe jedermann ungehindert Zutritt zum Dittes-Hof. „Wir haben auch mehrmals bei Wiener Wohnen gebeten, den Hof mit Videokameras zu überwachen. Aber das ist denen zu teuer gewesen, außerdem wäre das wegen des Datenschutzes nicht möglich. Vielleicht wäre diese schreckliche Tat dann gar nicht passiert“, sagt Elisabeth G.

Mit den Informationen zum Fall Hadish hält sich die Polizei bisher zurück – was die Spekulationen zusätzlich anheizt. Weder äußern sich die Ermittler zum Tatort, zur Tatwaffe noch zu Tatverdächtigen. Die Exekutive rechtfertigt sich mit „ermittlungstechnischen Gründen“.

Solange Hadishs Mörder frei herumläuft, wird sie im Dittes-Hof weiterhin vorherrschen – die Mischung aus Misstrauen, Angst und Trauer.

Vermisste Siebenjährige wurde erstochen

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