Misstrauensantrag in Graz: Ein politischer Sonderfall
In 16 Jahren Amtszeit hatte Siegfried Nagl fünf Stellvertreter. Drei Frauen und zwei Männer, von ganz links (Elke Kahr, KPÖ) über SPÖ (Walter Ferk und Martina Schröck) bis zu den Grünen (Lisa Rücker). 2017 kam er am rechten Politikspektrum an und ließ Mario Eustacchio zu seinem Stellvertreter wählen.
Das Arbeitsübereinkommen mit der FPÖ - rechtlich gibt es in Graz wegen des Proporzsystems keine Koalitionen - bringt jetzt aber auch den ÖVP-Chef selbst in eine verzwickte Lage: Erstmals überhaupt gibt es in der Landeshauptstadt einen Misstrauensantrag gegen einen amtierenden Vizebürgermeister. Er wurde am Dienstag eingebracht, laut Amtstempel um punkt 10.28 Uhr.
Nachtsitzung
Bereits, morgen, Donnerstag, wird darüber abgestimmt, dafür muss eigens eine Sondersitzung des Gemeinderates einberufen werden. Den Termin bestimmt laut Stadtstatut der Bürgermeister, Nagl hätte dafür acht Werktage Zeit gehabt. Weil am Donnerstag ohnedies eine reguläre Sitzung stattfindet, hängt Nagl den Sondergemeinderat der Einfachheit halber hinten dran, Start ist um 18 Uhr. Das bedeutet zwar eine nächtliche Debatte, erspart den 48 Gemeinderäten und sieben Regierungsmitgliedern aber das Unterbrechen des Osterurlaubs respektive der Karwoche.
Hinter dem Misstrauen gegenüber Eustacchio steckt die gesammelte Opposition: KPÖ, SPÖ und NEOS stärkten die Grünen, die bereits am Freitag Konsequenzen für den FPÖ-Chef forderten. Eustacchio hatte in der Vorwoche zunächst jede Distanz zu den rechtsextremen Identitären vermissen lassen, ehe er am Montag zurückruderte und so Amt sowie Koalition rettete. Die Grünen nehmen dem FPÖ-Stadtchef die Läuterung aber nicht so recht ab. „Was Eustacchio uns als Distanzierung verkauft hat, entbehrt jeglicher Ernsthaftigkeit“, kommentiert Klubobmann Karl Dreisiebner. Tatsächlich stieg der Druck von mehreren Seiten: Landes- wie Bundes-FPÖ bemühten sich zuletzt auffällig, jede Nähe zu den Identitären zu meiden. ÖVP-Chef Nagl drohte mit dem Aus der Zusammenarbeit.
Knappe Mehrheit
Ihm reiche Eustacchios „Klarstellung“ vom Montag, versicherte Nagl. Das sollte seinem Vize dann auch das Amt retten, gibt Nagl die Linie vor: Er gehe davon aus, das Schwarz-Blau geschlossen gegen den Misstrauensantrag stimmen werde. Für die acht FPÖ-Gemeinderäte mag das jedenfalls stimmen. Aber was ist mit jenen 19 der ÖVP? Die Abstimmung per Stimmzettel ist geheim: Gehorchen bloß vier der Parteiräson nicht, ist Eustacchio Vizebürgermeister gewesen. Die Mehrheit der ÖVP-FPÖ-Regierung ist mit 27 gegenüber den 21 Stimmen von KPÖ, Grünen, SPÖ und NEOS nur knapp abgesichert.
Um Eustacchio als Vizebürgermeister abzuwählen, reicht eine einfache Mehrheit, also 25 von 48 Stimmen. Sollte das tatsächlich passieren, würde der FPÖ-Chef seinen Stadtratssitz aufgrund des Proporzes behalten, Schwarz-Blau wäre damit aber nach zwei Jahren Geschichte. Es müsste auch ein neuer Vizebürgermeister gewählt werden. Das Vorschlagsrecht hätte dann als Erstes die zweitstärkste Fraktion im Rathaus, die KPÖ.
Beendete Koalitionen und Vizebürgerwechsel trotz weiterlaufender Periode wären aber im Gegensatz zu Misstrauensanträgen kein Novum in Graz: 2012 kündigte Nagl den Pakt mit den Grünen auf, 2016 verließ SPÖ-Chefin Martina Schröck die Politik. Ihr Amt übernahm KPÖ-Obfrau Elke Kahr als erste kommunistische Vizestadtchefin in Graz überhaupt.
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