Gehirnwäsche, Ausbeutung, Gewalt: In den Fängen des Online-Coaches

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Die Coaching-Branche boomt – und mit ihr auch unseriöse Anbieter. Angehörige von Anhängern der Liberator Academy erheben im KURIER schwere Vorwürfe gegen den Online-Guru.

Triggerwarnung: In diesem Text werden gewaltvolle Szenen beschrieben und bildlich dargestellt. 

Es ging alles so schnell, sagt Sebastian F.* An einem Freitag im März kam die Nachricht seines jüngeren Bruders, er interessiere sich für die Liberator Academy. Am Samstag kaufte er sich das Flugticket. Kurz darauf war er weg. Nach und nach ist der Kontakt zur Familie abgebrochen. Er lebt in Thailand oder Bali, jedenfalls bei seinem Guru Markus Streinz. Wenn er sich meldet, dann nur, um Geld zu fordern. Oder um seine Familie zu beschimpfen.

Markus Streinz – Oberösterreicher, Maschinenbautechniker und Geschäftsführer der Liberator Academy – verspricht seinen Anhängerinnen und Anhängern nicht nur finanziellen Reichtum. „In 15 Minuten so viel verdienen wie andere in einem halben Jahr“, heißt es in einem Social-Media-Video. Eine Masche, die auch andere unseriöse Online-Coaches längst für sich entdeckt haben (siehe unten). Mittels kostenloser Erstgespräche und manipulativer Verkaufstechniken locken sie Interessenten in teure Online-Kurse und Events, Kosten von Zehntausenden Euro sind keine Seltenheit.

Heilsversprechen

Was bei Markus Streinz neben monetären Verheißungen hinzukommt, ist das Versprechen von Erlösung – auch unter Einsatz von Gewalt. Ehemalige Mitglieder berichten von Schlägen und Würgen bis zur Bewusstlosigkeit, alles unter dem Vorwand, dadurch die nötige „Transformation“ herbeizuführen. Das belegen auch frei zugängliche Videos auf Instagram. Darauf sieht man, wie Streinz eine junge Frau würgt, bis ihr Gesicht rot anläuft. In einem anderen Clip schlägt er eine Anhängerin mit beiden Händen heftig auf die Ohren. Sie sitzt auf dem Bett, wimmert und weint. Auch Sebastian F.s Bruder soll solche Erfahrungen gemacht haben.

Jene, die Streinz besonders treu ergeben sind, wechseln von der digitalen in die reale Welt. Sie scharen sich um den selbst ernannten „Sektenführer“ und „Frauenschläger“. Laut seinen Social-Media-Profilen pendelt er offenbar zwischen Thailand, Bali und Europa.

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Screenshot von Markus Streinz' Instagram-Profil: In einem Video würgt er eine junge Frau vor laufender Kamera.

Plötzlich verändert

„In der Zeit davor habe ich eine Wesensveränderung bei meinem Bruder bemerkt. Er hat ständig sexualisierte Witze gemacht, seine Zündschnur war extrem kurz, er hat sich die Haare abrasiert“, sagt Sebastian F. Als er ihn darauf ansprach, hieß es nur: Dies sei unser Problem. „Ich habe gemerkt, dass er für uns nur mehr schwer erreichbar war.“

Jetzt kämpft F. um seinen zweiten Bruder. Auch er will der Familie den Rücken kehren und sich der esoterischen Gemeinschaft um Markus Streinz anschließen. „Er hat gerade seinen Job gekündigt und alles verkauft, um zu ihm zu fahren.“ Ein kürzlicher Versuch, ihn davor zu warnen, verlief ins Leere.

Angefangen hat alles vor zwei Jahren. Zuerst waren es harmlose Selbsthilfebücher. Dann stieg einer der beiden bei Infinity ein – einer Plattform, die Coachings für Kryptowährungen bietet, verbunden mit „Mindset-Trainings“ und Esoterik. Im Februar 2025 dann der erste Kontakt zu Markus Streinz, er war für ein Event in Wien. „Am Anfang wurden beide vor allem durch die finanziellen Versprechen geködert“, sagt Sebastian F. Nach und nach stülpte er ihnen auch sein Weltbild über. Denn für Erfolg brauche es ja das richtige Mindset.

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Online inszeniert sich Streinz als Guru. 

Dies besteht nach außen hin aus Selbstoptimierung, der Verwirklichung geschäftlichen Erfolgs und einem tieferen Verständnis der menschlichen Psyche. So formuliert es die Bundesstelle für Sektenfragen in ihrem aktuellen Bericht. Darin sind Markus Streinz knapp fünf Seiten gewidmet. Zu keinem anderen Online-Coach verzeichnete die Bundesstelle im vergangenen Jahr so viele Anfragen wie zu Streinz – von verzweifelten Aussteigern sowie besorgten Familienangehörigen von Mitgliedern.

Das Bild, das sie aus dem Inneren der Liberator Academy zeichnen, ist ein anderes: Da ist die Rede von hohen Kosten für die meist jungen Anhängerinnen und Anhänger, Entfremdung und verbale Attacken gegen die Familien sowie unterschiedlicher Formen der Gewalt. Psychische Erniedrigungen während der Coaching-Einheiten würden als Ausdruck „gesunder Aggression“ normalisiert werden. Physische Gewalt in Form von Schlägen und langem Würgen sei quasi ritualisiert. „Personen aus Streinz’ Umfeld berichteten außerdem von sexualisierter Gewalt“, heißt es im Bericht der Sektenstelle. Belegen lassen sich die Vorwürfe nicht.

Markus Streinz selbst schweigt zu den Vorwürfen. Eine KURIER-Anfrage ließ er unbeantwortet.

Image des „bösen Buben“

Ulrike Schiesser, Psychologin und Leiterin der Sektenstelle, beobachtet Markus Streinz schon länger. Seinen Erfolg erklärt sie sich mit dem „Image des bösen Buben“. Er gebe sich toxisch männlich und zelebriere den „Status des Vergewaltigers“. In einer Welt, die Gewalt ablehnt, Respekt und moralische Grenzen vertritt, sei dieses Brechen von Tabus für manche faszinierend. Tatsächlich hält sie seine Lehre und die darin enthaltene Gewaltverherrlichung aber für lebensgefährlich. „Wir haben die Befürchtung, dass er jemanden früher oder später schwer verletzen oder töten könnte.“

Ulrike Schiesser

Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen bezeichnet Streinz als Gefahr für andere

Juristisch sei die Sache jedoch schwierig. Sowohl Betroffene und Angehörige, die Schiesser beraten hat, als auch die Bundesstelle für Sektenfragen selbst hätten Anzeige bei der Polizei erstattet. „Bei übergriffigen Abhängigkeitsbeziehungen, wie wir sie häufig in sektenartigen Gemeinschaften haben, gibt es aber kaum gesetzliche Handhabe“, sagt Ulrike Schiesser. Immerhin seien die Betroffenen volljährig und freiwillig bei diesen Gruppierungen.

Auch Sebastian F.s Vater ging zur Polizei. In einer Situation völliger Hilflosigkeit sei dies die einzige Möglichkeit gewesen, überhaupt etwas zu tun. Die Staatsanwaltschaft Wien hat die Ermittlungen gegen Markus Streinz jedenfalls Anfang des Jahres aufgenommen. Das bestätigt Sprecherin Nina Bussek auf KURIER-Anfrage.

Der Hass-Mob

Doch auch der Ausstieg wird den Mitgliedern schwer gemacht. Auf der Bewertungsplattform Trustpilot gibt es aktuell 254 Einträge zu Markus Streinz. In einem Viertel davon wird vor der Liberator Academy eindringlich gewarnt. Jene, die sich abwenden wollten, seien mit einer Flut an beleidigenden Nachrichten der Anhängerinnen und Anhänger fertiggemacht worden. „Geh sterben du hur***sohn“, sei etwa eine davon gewesen, schreibt User Benjamin Huber. Und jemand, der anonym auf der Plattform postet, meint, er sei nach Kritik an Streinz und seinen Online-Coachings zum Suizid aufgefordert worden.

Sebastian F. gehe es weder um die Tausenden Euro, die seine Brüder dem Guru bereits überwiesen hätten, noch um die Distanz, die derzeit zwischen ihnen herrsche. „Ich finde es abscheulich, dass meine Brüder zu solchen Menschen werden.“

* Name von der Redaktion geändert

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