Mangelware Kassenärzte
Die Ärztekammer ruft einmal mehr "Alarmstufe Rot" aus. Diesmal geht es aber nicht um die Spitalsärzte, sondern um die Kassen-Mediziner. Derzeit gebe es bundesweit um rund 900 Kassenpraxen weniger als noch im Jahr 2000, rechnet Kammer-Vizepräsident Johannes Steinhart vor.
Besonders drastisch sei die Situation bei den praktischen Ärzten: Vor zehn Jahren gab es demnach rund 4100 Kassen-Allgemeinmediziner, heute nur noch 3880 – und davon würden in zehn Jahren mehr als 60 Prozent das Pensionsalter erreichen. Bei den Fachärzten sei die Zahl zwar konstant, doch auch hier stehe im kommenden Jahrzehnt eine große Pensionierungswelle bevor.
Aktuelles Beispiel: In Wien gelingt es seit Monaten nicht, Ärzte für vier frei gewordene Kinderarzt-Kassenstellen zu finden (der KURIER berichtete).
Folgen
"Das hat Konsequenzen für unsere Patienten: Wer es sich leisten kann, geht zum Wahlarzt. Wer es sich nicht leisten kann, wird über kurz oder lang von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen", warnt Steinhart.
Der Ärztekammer-Vizepräsident findet es schlichtweg unverständlich, dass die Sozialversicherung auf diese Entwicklung nicht reagiert. Man müsse die Rahmenbedingungen verbessern, damit vor allem junge Mediziner motiviert werden, als Kassenarzt zu arbeiten. Außerdem fordert Steinhart 1400 zusätzliche Planstellen für Kassenärzte.
Im Hauptverband der Sozialversichungsträger weist man die Vorwürfe zurück und hält der Ärztekammer vor, mit falschen Zahlen zu operieren: So sei die Zahl der Vertragsärzte in den Jahren 2000 bis 2014 nicht gesunken, sondern um 3,9 Prozent gestiegen. Darüber hinaus habe die Kammer bei ihrer Statistik die positive Entwicklung bei den Gruppenpraxen nicht berücksichtigt.
Zankapfel Ausbildung
Kassen und Kammer streiten derzeit auch über die Ärzte-Ausbildung: Mit dem aktuellen Modell absolvieren die Jungmediziner nach einer neunmonatigen Basisausbildung eine Ausbildung zum Allgemeinmediziner oder zum Facharzt. Von 2000 benötigten Ausbildungsstellen für die beiden Richtungen habe die zuständige Ärztekammer noch nicht einmal hundert bewilligt, kritisiert der stv. Hauptverbands-Generaldirektor Bernhard Wurzer in Ö1. Damit hingen die Ärzte, die ihre Basisausbildung absolviert haben, in der Luft.
Der Vorwurf sei "falsch", kontert Steinhart. Er macht vielmehr bürokratische Auflagen für die Verzögerungen verantwortlich und spricht von einem "Schwarzer-Peter-Spiel".
Die Salzburger Tourismusgemeinde Großarl stand im November 2014 vor einem großen Problem: Die beiden im weitläufigen Tal ordinierenden Ärzte standen kurz vor der Pensionierung. Nachfolger war keiner in Sicht. Deshalb suchte Vizebürgermeister Johann Ganitzer (SPÖ) Unterstützung in Wien: Mithilfe der Ärztekammer wollten die Großarler zwei junge Allgemeinmediziner aufs Land locken. Gute Lebensqualität und eine Vielzahl an Freizeitmöglichkeiten wurden als Argumente angeführt, warum sich ein junger Arzt nach seiner Ausbildung hier niederlassen sollte.
Gebracht hat das Werben in Wien nichts. Eineinhalb Jahre später sind die beiden Alt-Ärzte noch immer im Dienst. Ortschef Johann Rohrmoser (ÖVP) blickt wenig erfreut auf den Alleingang des Vizebürgermeisters zurück. „Das war eine rein politische Aktion, ich war damals auf Urlaub“, sagt Rohrmoser. Dennoch gibt er sich optimistisch: Einer der beiden Allgemeinmediziner im Ort geht mit Oktober in Pension. Ein Nachfolger habe sich bereits gefunden: Ein Jungarzt aus dem nahe gelegenen Altenmarkt ordiniert seit Juni in der Praxis, die er dann ab Herbst fortführen soll. Für die Nachbesetzung des zweiten Kassenarztes ist Rohrmoser zuversichtlich. „Wir sind als Gemeinde aber auf die Ärztekammer angewiesen. Ich hoffe, dass es gut geht.“
Aufwand schreckt ab
Großarl ist im Bundesland kein Einzelfall. In der Gemeinde Werfen sei seit drei Jahren eine Stelle vakant, sagt Walter Arnberger, Kurienobmann der niedergelassenen Ärzte in der Salzburger Ärztekammer. Seit Kurzem sucht auch Mühlbach am Hochkönig einen Kassenarzt. „In den vergangenen zehn Jahren war es unüblich, dass wir Stellen mehrmals – sogar österreichweit – ausschreiben mussten“, schildert Arnberger. Die Arbeitsbedingungen würden aufgrund vieler Bereitschafts- und Nachtdienste abschreckend wirken. Gegensteuern will er mit besser organisierten Vertretungen und Gruppenpraxen. „Derzeit steht da aber die Sozialversicherung auf der Bremse“, kritisiert Arnberger.
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