"Täterarbeit ist für die Frauen wichtig"

ARCHIV - ILLUSTRATION - Eine Frau versucht sich am (06.06.2012) in Berlin vor der Gewalt eines Mannes zu schützen. Der Platzverweis für prügelnde Männer hat sich in Baden-Württemberg nach Auffassung von Innenminister Gall (SPD) bewährt. «Das Instrument ist ein Erfolgskonzept und ein wesentlicher Fortschritt im Opferschutz», sagte Gall in einer Bilanz zehn Jahre nach Einführung der «Roten Karte» für gewalttätige Partner in einem dpa-Gespräch am Freitag 10.08.2012. Diese kann die Polizei zunächst für bis zu vier Tagen aus dem Umkreis des Opfers verbannen. Foto: Maurizio Gambarini dpa/lsw (Zu lsw Thema des Tages: «Innenminister zieht Bilanz: Platzverweis ist Erfolgskonzept» vom 10.08.2012) +++(c) dpa - Bildfunk+++
Experte fordert verpflichtende Beratung und Trainings für weggewiesene Gewalttäter.

Zwanzig Mal täglich. So oft werden in Österreich Männer, die ihre Frauen prügeln, von der Exekutive aus ihrem Heim verwiesen. Zehn solcher Fälle ereignen sich pro Tag in Wien. Im Vergleich: Die Wiener Männerberatung hatte 2011 rund 600 Klienten. Das sei nur „die Spitze eines Eisbergs“, sagt Romeo Bissuti, Leiter von White Ribbon in Österreich, einer Kampagne gegen Männergewalt. Trotzdem, kritisiert der 45-jährige Psychologe, sei die Arbeit mit Tätern kaum existent, unterfinanziert und sie werde missverstanden.

KURIER: Zuerst etwas Grundsätzliches: Warum schlagen Männer zu?
Romeo Bissuti:
Männer wehren damit Gefühle wie Schwäche, Ohnmacht oder Hilflosigkeit ab. Sie versuchen, diese Gefühle zu verstecken, indem sie andere Menschen schwach und hilflos machen. Es gibt aber viele weitere Gründe.

"Täterarbeit ist für die Frauen wichtig"
Romeo Bissuti, Männerarbeit, White Ribbon Österreich
Sie sagen auch, dass das Verhalten kulturimmanent sei. Wie lässt sich das aufbrechen?
Wir müssen eine Diskussion über Männlichkeit und das Gewaltprivileg, das Männern zugesprochen wird, führen. Ich finde es erschreckend, dass es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, dass Männer aus gutem Grund Gewalt anwenden dürfen. Wenn man das mit sexistischen Einstellungen paart, ist der Weg zur Gewalt nicht mehr weit.

Viele wollen Täter lieber im Gefängnis als beim Therapeuten sehen. Verstehen Sie das?
Täterarbeit ist ja ein wesentlicher Beitrag zur Opferarbeit. Sie ist wichtig für die Sicherheit und das Sicherheitsgefühl der Opfer. Es gibt viele Morde, Gewaltverbrechen, wo Täter zwar eine Wegweisung hatten, aber in keinem Täterarbeitsprogramm waren.

Sie fordern verpflichtende Gewalttrainings für weg­gewiesene Täter. Wie soll das funktionieren?
Nach einer Wegweisung oder einstweiligen Verfügung muss ein Täter die Auflage bekommen, eine Männerberatung zu kontaktieren. Es wäre wichtig, dass in der Situation der Wegweisung mit ihnen gearbeitet wird. Das ist ein Schlüsselmoment: Viele Männer haben Schuldgefühle und sind in diesem Moment erreichbar.

Stichwort: Anti-Gewalt-Programme. Wie läuft das ab?
Es ist ein achtmonatiges Programm, das heißt die Täter kommen ein Mal in der Woche zusammen für eine Gruppensitzung. Ziel ist es immer, gleichberechtigte Bilder von Frau und Mann zu erzeugen. Sie müssen lernen, mit Schwächen umzugehen und Gefühle zu managen.

Wie sieht die Rückfallquote aus?
Es gibt Evaluationen, bei denen Frauen befragt werden. Bei den Frauen ist das Sicherheitsgefühl gestiegen, es gibt keine Gewaltvorfälle oder sie kommen nur mehr gemildert vor.

Wieso gibt es kaum Programme?
Wir wissen, wie wir Täterarbeit machen sollen. Das Problem ist, das kaum etwas bis nichts finanziert wird. Die Einrichtungen sind jedes Jahr vom Zusperren bedroht. Diese Ignoranz ist ein Skandal.

Wer ist für die Finanzierung zuständig?
Der Ball wird wie eine heiße Kartoffel herumgeschoben. Hier wird ein Frauenthema nicht wichtig genommen. Täterarbeit ist für die Frauen wichtig. Da ich verstehe, dass das Frauenministerium keine Täterarbeit finanzieren kann, bleibt aus meiner Sicht das Innenministerium übrig. Die Anträge, die die Wiener Männerberatung dort für 2012 und heuer gestellt hat, wurden aber abgelehnt.

Um welche Beträge handelt es sich da pro Ansuchen?
So rund 30.000 Euro.

In Kärnten ersticht Anfang Dezember 2012 ein 43-Jähriger seine Lebensgefährtin, als diese gerade ihr Kind aus dem Hort abholen will. Zuletzt mehrten sich Mordfälle im sozialen Nahbereich. Reflexartig wird danach die Frage gestellt: Wie hätte man das verhindern können?

Am Mittwoch gaben auf Einladung des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie (ÖBVP) Experten Antworten auf die Frage. Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser, lobt zwar allgemein die „effizienten Gewaltschutzgesetze“, jedoch gebe es noch „viel zu tun“, insbesondere in der Prävention.

Es werde „zu selten“, kritisierte Rösslhumer, die U-Haft über gewalttätige Männer verhängt. Eva Mückstein, Präsidentin des ÖBVP, assistiert: „Gewalt ist selten ein singuläres Phänomen“, sondern eine „langfristige Strategie“. Diese zusammen mit dem Täterprofil in eine „Risikoeinschätzung“ zusammenzufassen, sei unumgänglich – aber äußerst selten der Fall. Gerade in Trennungssituationen – wie jene in Kärnten – seien Frauen, aber auch Kinder, sehr gefährdet. Rösslhumer fordert deshalb eine Schulungs- und Sensibilisierungsoffensive „im juristischen Bereich“ und zum Schutz der Frauen mehr U-Haft-Verhängungen.

Mückstein bringt auch ihren Berufsstand ins Spiel: Oft würden Opfer ihre Gewalterfahrung weitergeben und so zu Tätern werden. „Psychotherapie hilft, Traumata zu heilen und Gewalt zu erkennen.“ Sie verlangt deshalb einen „niederschwelligen Zugang zur Psychotherapie“. Derzeit sei das Antragsprozedere zu aufwendig und damit eine Hürde. Überdies ist sie derzeit rationiert oder müsse oft privat finanziert werden.

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