Lagebericht zu Covid-19: Was genau hat es mit diesem R0 auf sich?

Lagebericht zu Covid-19: Was genau hat es mit diesem R0 auf sich?
Lediglich um 2,4 Prozent sind die Infektionszahlen in den vergangenen Tagen gestiegen. Was bedeutet das - und wie genau soll eigentlich dieses R0 berechnet werden? Der Statistiker Erich Neuwirth hat sich der Sache für den KURIER angenommen.

Bevor wir auf das aktuelle Thema eingehen, hier ein kurzer Überblick über die Lage in Österreich

Der aktuelle Stand - 7. April, 15.00 Uhr

Registrierte Infektionen: 12519
Neue Fälle (vergangene 24 Stunden): 313
Neue Genesene: 583
Genesene insgesamt: 4046

Im Vergleich zum Montag ist das eine Steigerung um 2,56 Prozent. Angenommen, es bliebe bei dieser Rate, würden sich die Fälle erst nach 27,42 Tagen verdoppelt haben.

Auf vier Tage gemittelt beträgt die Steigerungsrate 2,41 Prozent, was einer Verdoppelungsrate von 29,1 Tagen entspricht. 

Und damit zum heutigen Thema: 

Was ist die Basisreprodukzionszahl und wie wird sie berechnet? 

R0, die Basisreproduktionszahl, gibt an, wieviele nicht immune Personen eine infizierte Person im Schnitt über ihren gesamten Infektionszeitraum hinweg ansteckt. 

Liegt der Wert über eins, steckt jede Person mehr als eine weitere Person an und als Folge steigt die Zahl der Infizierten mit exponentiellem Wachstum. Liegt der Wert unter eins, nimmt die Zahl der Neuerkrankungen ab. Und bei R0=0 kommt es zu keinen neuen Infektionen mehr, die Krankheit ist nach einiger Zeit zumindest lokal ausgerottet.

Diese Zahl kann man nicht unmittelbar beobachten, man kann sie aber näherungsweise aus beobachteten Daten berechnen. Dazu brauchen wir zwei Inputs: Die durchschnittliche Dauer des Zustands, in dem ein Infizierter andere infizieren kann, und die Zahl der Infizierten am Anfang und am Ende so eines Zeitraums.

Rechnen wir das einmal vereinfacht: 

Wir nehmen auch an, dass vor 10 Tagen 1000 Leute infektiös waren und die genau 10 Tage lang infektiös geblieben sind. Wenn dann die Basisreproduktionsrate R0 den Wert 2 hat, dann haben die ursprünglich Infizierten 2000 weiter Personen infiziert es gibt jetzt insgesamt 3000 Infizierte.

Die Berechnung aus den Daten, die wir haben, ist schwieriger, weil die jeweils aktuelle Zahl der registrierten infizierten Fälle auch die enthält, die schon vor längerer Zeit infiziert wurden und daher nicht mehr infektiös sind. Außerdem braucht man eigentlich auch die Zahl der asymptomatisch Infizierten, also all derer, die zwar Infektionsträger sind und andere infizieren können, das selbst aber gar nicht merken.

Langfristige Trends

Mit aufwändigeren Rechenverfahren kann man aber R0 aus den vorliegenden Zahlen zumindest näherungsweise schätzen. Exakt geht das aus mehreren Gründen nicht: Zum Beispiel, weil wir asymptomatische Fälle gar nicht erfassen und weil wir auch den Zeitraum, in dem jemand nach einer Neuinfektion andere infizieren kann, nicht genau kennen. Diese Verfahren gehen von Modellannahmen aus, und da verschiedene Wissenschafter dabei verschiedene Annahmen machen, können sie auch zu verschiedenen Ergebnissen kommen.

Hätten wir Tracking, also alle Infektionsketten (inklusive asymptomatischer Fälle) komplett dokumentiert, dann könnten wird die Basisreproduktionszahl aus diesen Daten konkret berechnen. Infektionsketten kennen heißt, dass man bei jedem Infizierten weiß, wann er von welcher anderen Person infiziert wurde. Das ist aber einerseits technisch nicht durchführbar und würde auch bedeuten, dass wir wirklich alle Infizierten (auch die asymptomatischen) erfassen müssten.

Wieso ist Rdennoch eine derart wichtige Kenngröße? Weil die langfristigen Trends in der Entwicklung der Zahl der Infizierten gut zum Ausdruck gebracht werden. R0>1 bedeutet, dass diese Zahl exponentiell zunimmt. R0=1 heißt, dass die Zahl der Neuinfektionen annähernd konstant bleibt, und R0<1 bedeutet, dass die Zahl der Neuinfektionen laufend abnimmt.

Eigentlich Rt,eff

Es gibt noch weitere Größen, die mit Rzusammenhängen. Rist ja im Grunde genommen die Zahl der Neuinfektionen, die von einem Infizierten ausgehen, wenn es in der gesamten Bevölkerung noch kaum immune Personen gibt und auch keine Einschränkungen beim Sozialverhalten erfolgt sind. Sie ist also eine Kennzahl einer Krankheit, die sich „in freier Wildbahn“ ausbreiten kann.

Wenn schon ein merkbarer Teil der Bevölkerung immun ist, dann führen Kontakte zwischen Infizierten und Immunen ja zu keiner Neuinfektion mehr, ein Infizierter wird also weniger Infizierbare anstecken. Die Kennzahl, die angibt, wieviele Neuinfektionen in dieser Situation von einem Infizierten ausgehen, wird mit Reff(R effektiv) bezeichnet. Und schließlich ändert sich die Basisreproduktionszahl auch im Laufe der Zeit durch Maßnahmen wir Quarantäne und Social Distancing.

Will man ausdrücken, dass diese Zahl sich im Laufe der Zeit durch verschiedene Maßnahmen ändert, dann wählt man die Bezeichnung Rt. Wenn jetzt in der Öffentlichkeit immer wieder davon gesprochen wird, dass R0 gesenkt wurde, dann ist das eigentlich ungenau. Gemeint ist da eine Kennzahl, die die Eigenschaften von Reff und Rt kombiniert. Wollte man (als pizeliger Mathematiker) das korrekt anschreiben, dann müsste man die Bezeichnung Rt,eff verwenden.

Von Erich Neuwirth

"Alle Daten erzählen Geschichten, die sprechen aber nicht besonders laut dabei. Und Statistiker sind Leute, die den Daten besonders gut zuhören können."

Erich Neuwirth, Jahrgang 1948, ist so etwas wie das Urgestein der Hochrechnung und Pionier der Wählerstromanalyse in Österreich. Bei der Nationalratswahl 1983 war er es, der staunenden ORF-Zuschauern erstmals eine Wählerstromanalyse präsentierte. 2017 wurde ihm der Gerhart-Bruckmann-Preis der österreichischen statistischen Gesellschaft verliehen. 

Der außerordentliche Universitätsprofessor im Ruhestand für Statistik und Informatik an der Universität Wien verfolgt auch die aktuelle Corona-Krise durch die Augen eines Mathematikers. Auf seinem Blog just-the-covid-facts.neuwirth.priv.at bereitet er die Daten täglich neu auf. Ab sofort wird er das zwei Mal wöchentlich auch für den KURIER tun. 

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