Neue Kritik an ÖBB-Sparplänen: "Es drohen tödliche Folgen"

Ein rot-weißer Cityjet-Doppelstockzug der ÖBB auf einem Bahnhofsgleis.
Daniel Schmid, Lokführer und Bundesrat, prangert die Einsparung von Zugbegleitern und Einsatzleitern bei den ÖBB an.

Daniel Schmid ist SPÖ-Bundesrat und ÖBB-Triebfahrzeugführer. Der 46-jährige Tiroler übt im Interview massive Kritik an den geplanten Einsparungen von 36 Einsatzleitern und Zügen ohne Zugbegleitern mit bis zu 1700 Passagieren. Er sieht darin eine katastrophale Fehlentwicklung.

KURIER: Bei den ÖBB sollen Einsatzleiter und Zugbegleiter reduziert werden...

Daniel Schmid: Das ist extrem problematisch. Wenn bei sicherheitsrelevantem Personal eingespart wird, erhöht sich das Risiko für Fahrgäste und Beschäftigte gleichermaßen. Einsatzleiter sind im Notfall die zentrale Schnittstelle vor Ort – zu Feuerwehr, Polizei und Rettung. Ihre rasche Anwesenheit kann im Ernstfall entscheidend sein. Hier zählt jede Minute. Sicherheit darf niemals zum Sparfaktor werden. Betroffen sind unter anderem Standorte wie Saalfelden, Linz, Salzburg, Wien-Hütteldorf, Gänserndorf, Lienz, St. Michael und Mürzzuschlag. Ab spätestens 2027 sollen an diesen Orten zwischen 22 und 6 Uhr keine Einsatzleiter mehr im Dienst sein. Das bedeutet konkret: Bei einem Unfall oder Brand in der Nacht gibt es keine Einsatzleitung mehr vor Ort und damit keine Möglichkeit, sofort sicherheitsrelevante Entscheidungen zu treffen.

Ein Mann mit dunklem Haar und Bart trägt einen schwarzen Anzug und steht vor einem roten Hintergrund.

Daniel Schmid ist ÖBB-Lokführer

Was bedeutet das konkret? 

Ein Beispiel: Ein Zug fährt von Wörgl in Richtung Saalfelden und entgleist im Gemeindegebiet von Leogang. Feuerwehr, Rettung und Polizei sind nach zehn Minuten da – aber sie dürfen nicht helfen. Erst wenn die Oberleitung geerdet ist, kann der Gleisbereich betreten werden. Diese Erdung darf ausschließlich durch den Einsatzleiter der ÖBB vorgenommen werden. Wird der Standort Saalfelden gestrichen, muss der Einsatzleiter aus Schwarzach mit 50 Minuten Fahrzeit oder aus Wörgl mit rund einer Stunde 12 Minuten anreisen. Das bedeutet: Eine Stunde, in der Menschen eventuell schwer verletzt und eingeklemmt festsitzen, während Einsatzkräfte tatenlos zusehen müssen.

Die ÖBB argumentieren, dass neue Technik und Drohnen die Sicherheit sogar erhöhen werden.

Technik kann unterstützen, aber sie ersetzt keine erfahrenen Menschen vor Ort. Das ist brandgefährlich. Ein konkretes Beispiel ist der Brand im Telfer Tunnel im Juni 2023. Damals waren Einsatzkräfte und der ÖBB-Einsatzleiter rasch vor Ort und trotzdem durften die Rettungskräfte den Tunnel 25 Minuten lang nicht betreten, weil die Erdung der Oberleitung noch nicht zweifelsfrei bestätigt war. Wenn künftig Einsatzleiter fehlen oder verspätet eintreffen, drohen deutlich längere Verzögerungen mit möglicherweise tödlichen Folgen. Und in Tunneln wie dem Arlbergtunnel verschärft sich die Situation zusätzlich: Dort sind keine Notsprechstellen mehr vorhanden, und Mobiltelefone funktionieren nicht. Die Kommunikation nach außen erfolgt ausschließlich über das GSM-R-Funksystem der ÖBB – das aber nur vom Lokführer aus bedient werden kann. Fällt der Lokführer aus oder das GSM-R-System versagt, ist der gesamte Zug von der Außenwelt abgeschnitten.

Sie sehen also eine massive Verschlechterung der Sicherheitsstandards? 

Genau das ist es. Die Kombination aus Personalabbau und technischer Abhängigkeit ist Hinblick auf die öffentliche Sicherheit ein Pulverfass. Wenn Einsatzleiter fehlen und gleichzeitig immer mehr Züge im sogenannten Null-zu-Null-Betrieb unterwegs sind – also ohne Zugbegleiter oder Zugführer, nur mit dem Lokführer allein – dann werden Fahrgäste im Notfall völlig sich selbst überlassen. Wenn der Lokführer verletzt oder bewusstlos ist, gibt es niemanden mehr, der Hilfe koordiniert oder Einsatzkräfte informiert.

Wen sehen Sie in der Verantwortung?

Wer solche Entscheidungen trifft, muss sich bewusst sein, dass er nicht Kosten, sondern Sicherheit kürzt. Diese Einsparungen sind keine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, sie sind eine gefährliche Fehlentscheidung. Wenn das Management den Sparkurs weiterfährt, riskiert es, dass im Ernstfall Menschen sterben, weil niemand rechtzeitig handeln kann. Ich kann nur hoffen, dass die politischen Verantwortungsträger den geplanten Einsparungen eine klare Absage erteilen.

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